Ausgabe 01-02/2014: König Verbraucher

Es ist seit langem bekannt, dass der Verbraucherschutz ein besonderes Anliegen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ist. In AUTOHAUS 20/2012 wurde u. a. über eine Entscheidung des EuGH vom 6. September 2012 (Az. C-190/11) berichtet. Es ging darum, dass ein österreichischer Verbraucher über das Internet auf einen deutschen Fahrzeughändler aufmerksam wurde, dessen Website international ausgerichtet war, und es später in Deutschland vor Ort zu einem Kaufvertrag über einen Gebrauchtwagen kam. Der EuGH entschied, dass der österreichische Verbraucher seine Sachmängelklage bei dem für seinen österreichischen Wohnsitz zuständigen Landesgericht erheben durfte. Offen blieb in dieser Entscheidung, wie der EuGH urteilen würde, wenn ein Verbraucher aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat einen Kaufvertrag mit einem inländischen Autohaus abschließt und der Käufer überhaupt keine Kenntnis von der Existenz eines Internetauftritts des Verkäufers hat. Auch diese Frage hat der EuGH nunmehr beantwortet (Urteil 17.10.2013; Az. C-211/12).Der FallEin französischer Autohändler hatte in einem Ort nahe der deutschen Grenze einen Gebrauchtwagenhandel. Er unterhielt eine Internetseite mit näheren Angaben zu seinem Unternehmen, darunter eine französische Telefonnummer und eine deutsche Mobilfunknummer. Beide Telefonnummern waren jeweils mit internationaler Vorwahl versehen. Ein deutscher Verbraucher erfuhr über Bekannte - nicht über das Internet (!) - von dem französischen Händler und begab sich aufgrund der Empfehlung seiner Bekannten zu dessen Unternehmenssitz in Frankreich. Im September 2010 schloss der deutsche Käufer als Verbraucher mit dem französischen Händler in dessen Geschäftsräumen einen schriftlichen Kaufvertrag über einen Gebrauchtwagen. Das Fahrzeug war mangelhaft. Nachdem der Händler Sachmängelansprüche zurückwies, erhob der Käufer Klage zum Amtsgericht (AG) Saarbrücken. Das AG wies die Klage ab, weil die gewerbliche Tätigkeit nicht im Sinne der anzuwendenden europarechtlichen Vorschriften auf Deutschland "ausgerichtet" sei. Der Käufer legte Berufung zum Landgericht (LG) Saarbrücken ein.Für das LG stand es gegenteilig fest, dass die gewerbliche Tätigkeit des französischen Händlers sehr wohl auch auf Deutschland ausgerichtet war. Insbesondere durch die Angabe einer deutschen Mobilfunknummer und die Angabe der internationalen Vorwahl für alle Telefonnummern wurde der Eindruck vermittelt, dass auch im Ausland ansässige Kunden angesprochen werden sollten. Weil aber die internationale Ausrichtung der Internetseite für den konkreten Vertragsschluss überhaupt keine Rolle gespielt hatte, setzte das LG das Verfahren aus und legte den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.Die Entscheidung des EuGHGemäß Urteil des EuGH vom 17.10.2013 befindet sich nunmehr der Gerichtsstand auch dann am Wohnsitz des Verbrauchers, wenn ein ausländischer Gewerbetreibender seine Tätigkeit mithilfe eines geeigneten Internetauftritts auf den Mitgliedsstaat des Verbrauchers "ausrichtet", wobei der Internetauftritt nicht ursächlich für den Vertragsschluss des Verbrauchers sein muss. Liegt ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Internetauftritt und dem Vertragsschluss vor, ist dies ein (bloßer) Hinweis dafür, dass der Gewerbetreibende seine Leistungen (auch) auf den Mitgliedsstaat des Verbrauchers ausgerichtet hat - so der EuGH. Zur Begründung stützt sich der EuGH auf Art. 15 Abs. 1 lit. C der Brüssel I-Verordnung. Nach dieser Bestimmung ist (auch) das Gericht des Wohnsitzstaates des Verbrauchers zuständig, wenn Gegenstand eines Gerichtsverfahrens vertragliche Ansprüche des Verbrauchers sind und wenn "der andere Vertragspartner in dem Mitgliedsstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedsstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedsstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt." Aufgrund des von der Brüssel I-Verordnung angestrebten Verbraucherschutzes darf nach Meinung des EuGH der Verbraucher nicht damit belastet werden, einen Ursachenzusammenhang zwischen der EU-Ausrichtung der Tätigkeit des Gewerbetreibenden und dem Vertragsschluss vor Gericht beweisen zu müssen.Konsequente Verbraucherfreundlichkeit des EuGHZwar soll nach den Erwägungen der Brüssel I-Verordnung bei Verbrauchersachen die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeinen gesetzlichen Regelungen. Allerdings ist in den Gesetzesmaterialien zur sogenannten Rom I-Verordnung ausdrücklich festgehalten, dass es für die Begründung einer Gerichtszuständigkeit am Wohnsitz des Verbrauchers erforderlich ist, dass der Internetauftritt eines Gewerbetreibenden auch den Vertragsabschluss im Fernabsatz anbietet und dass tatsächlich ein Vertragsabschluss im Fernabsatz auch erfolgt ist, mit welchem Mittel auch immer. Nachdem in der Betrachtung des EuGH immer und ausnahmslos der Verbraucher die schwächere und schützenswerte Partei ist, wird über eine derartig klare Regelung letzten Endes hinweggegangen. Das zu verwirklichende Ziel ist der Verbraucherschutz.Kurzfassung1. Nach der Brüssel I-Verordnung ist in einem Gerichtsverfahren über vertragliche Verbraucheransprüche (auch) das Gericht des Wohnsitzstaates des Verbrauchers zuständig, wenn dessen ausländischer Vertragspartner im EU-Mitgliedsstaat des Verbrauchers eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche von seinem ausländischen Geschäftssitz aus auf einen anderen EU-Mitgliedsstaat "ausrichtet", z. B. mittels Internetauftritt.2. Liegt irgendein Ursachenzusammenhang zwischen dem Internetauftritt eines Gewerbetreibenden und dem Vertragsschluss mit einem Verbraucher eines anderen EU-Mitgliedsstaates vor, ist dies als Hinweis dafür zu betrachten, dass der Gewerbetreibende seine Leistung auf den EU-Mitgliedsstaat des Verbrauchers "ausgerichtet" hat.3. Nach dem Urteil des EuGH vom 17.10.2013 befindet sich nunmehr der Gerichtsstand auch dann wahlweise am Wohnsitz des Verbrauchers, wenn zwar eine "Ausrichtung" des Internetauftritts des Gewerbetreibenden auf andere EU-Mitgliedsstaaten vorhanden ist, der Verbraucher aber bei Vertragsschluss nicht einmal Kenntnis von der Existenz eines Internetauftritts des Gewerbetreibenden hatte - das abstrakte Vorhandensein einer "Ausrichtung" genügt.Kommentar"Stoppt den europäischen Gerichtshof". Dies war der Titel einer gemeinsamen Veröffentlichung von Bundespräsident a. D.Roman Herzog und Lüder Gerken, Vorstand des Zentrums für europäische Politik, im September 2008. Inhalt der harschen Kritik war u. a., dass der EuGH "zentrale Grundsätze der abendländischen richterlichen Rechtsauslegung bewusst und systematisch ignoriert, Entscheidungen unsauber begründet, den Willen des Gesetzgebers übergeht oder gar in sein Gegenteil verkehrt und Rechtsgrundsätze erfindet (...)". Tatsache ist, dass Aufgabe des EuGH nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV (lediglich) ist, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der EU-Verträge zu sichern. Die Urteile des EuGH gehen aber teilweise deutlich über diesen gesetzlichen Auftrag hinaus. Die Befürworter des EuGH sehen ihn als einen legitimierten europäischen Motor zur Lösung grenzüberschreitender Probleme und zur Überwindung nationaler Egoismen. Letztlich steht hinter der Urteilspraxis des EuGH ein politischer Wille, der zum Teil jenseits juristischer Erwägungen und Grundsätze umgesetzt wird.Rechtsanwalt Robert Glocker

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