Ausgabe 03/2019: Mercedes im Visier

Während sich an der VW-Dieselfront zwischenzeitlich etwas Entspannung zeigt, suchen die einschlägigen Anwaltskanzleien nach neuen Betätigungsfeldern für ihren aufgerüsteten Apparat. Um an neue Serienmandate heranzukommen und die notwendige Aufmerksamkeit zu erlangen, fokussieren sie sich aktuell auf Mercedes-Dieselfahrzeuge und rühren die Werbetrommel für Klageaufträge gegen den Hersteller. Betroffen sind aber auch Händler, die Fahrzeuge neu oder gebraucht im eigenen Namen verkauft haben. Die Zielgruppe der Kampagne ist wesentlich kleiner als bei VW, die Stimmung dort aber gleichfalls empfänglich vor dem Hintergrund von Fahrverboten, Rückrufaktionen, Musterklagen und dem Versprechen finanzieller Vorteile. Anknüpfungspunkt ist die vom Kraftfahrt-Bundesamt angeordnete bzw. angekündigte Verpflichtung des Herstellers, europaweit etwa 700.000 Dieselfahrzeuge der Euro-6b-Norm zurückzurufen und mit einem Update zu versehen. Beanstandet wird die Abschaltung bzw. Reduzierung der Abgasreinigung bei Motoren bestimmter Herstellungszeiträume, vor allem der Modelle Vito, C-Klasse und GLC mit 1,6 l und 2,2 l Hubraum, aber auch bei 3 l-Motoren im GLS. Von den betroffenen Fahrzeugen laufen ca. 280.000 in Deutschland. Die werbenden Anwälte berufen sich aktuell auf fünf landgerichtliche Urteile, mit denen Kläger "Siege gegen Daimler" errungen haben "mit Anspruch auf bis zu Euro 40.000 Schadensersatz". Vermittelt wird der Eindruck, es gäbe mit diesen Entscheidungen einen "Durchbruch", der die Erfolgsaussichten weiterer Klagen garantiere. Auf dem Boden der Tatsachen betrachtet relativiert sich die verbreitete Euphorie zunächst in Anbetracht der Tatsache, dass den zitierten fünf Urteilen etwa 50 von den Agitatoren verschwiegene Entscheidungen gegenüberstehen, mit denen in gleich gelagerten Fällen individuelle Klagen gegen die Daimler Benz AG abgewiesen wurden. Die Ausgangslage In technischer Hinsicht geht es um die Beurteilung, ob über das sogenannte "Thermofenster" hinaus in unzulässiger Weise Abschaltungen der Abgasreinigung programmiert sind, die bei Ausschöpfung der technischen Möglichkeiten nicht erforderlich sind, um den Motor vor Beschädigungen zu schützen. Art. 5 der EG-Verordnung Nr. 715/2007 vom 20.06.2007 über die Typ-Genehmigung von Kraftfahrzeugen verpflichtet den Hersteller, "die das Emissionsverhalten beeinflussenden Bauteile so zu konstruieren, zu fertigen und zu montieren, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht". Dies bedeutet im Klartext, dass auch die in der Verordnung festgelegten Emissionsgrenzwerte im normalen Betrieb eingehalten werden müssen. Art. 5 Abs. 2 bestimmt weiter: "Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig." Drei Ausnahmen werden hierzu definiert, wobei sich die hier maßgeblich zu beurteilende Ausnahmevorschrift auf eine Abschalteinrichtungen bezieht, die erforderlich ist, "um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeuges zu gewährleisten". Verschiedene Hersteller und insbesondere auch Daimler berufen sich vor allem darauf, eine Abschaltung der Abgasreinigungsanlage sei bei Dieselfahrzeugen in der Warmlaufphase und bei niedrigen Außentemperaturen für den Bauteilschutz notwendig, um schadensträchtige Ablagerungen (Versottungen) im Abgaskühler oder im Einlasssystem zu verhindern. Darüber, ob andere technische Lösungen tauglich zur Verfügung stehen, wird bereits seit Bekanntwerden der Problematik diskutiert. Abhängig von der technischen Beurteilung geht es rechtlich um die Frage, ob Mercedes die Kunden der betroffenen Fahrzeuge vorsätzlich sittenwidrig geschädigt und/oder arglistig getäuscht hat, jedenfalls aber mangelhafte Fahrzeuge lieferte. Die Problemstellungen sind hier relativ vergleichbar mit denen in den VW-Prozessen. Der Unterschied besteht darin, dass VW bei seinen EA 189-Motoren den sogenannten "2. Betriebsmodus" generell außerhalb des Testverfahrens installiert hatte und sich nicht auf ein zulässiges Thermofenster berufen konnte. Urteile bisher nicht rechtskräftig Die fünf Urteile gegen Daimler, mit denen die Werbetrommel der anwaltlichen Prozessindustrie für weitere Klagen betrieben wird, können aber auch bei gutem Willen nur bedingt als Paukenschlag bezeichnet werden. Es handelt sich um landgerichtliche Urteile 1. Instanz, die sämtlich nicht rechtskräftig sind und eine Überprüfung zumindest beim OLG erfahren werden. In der zeitlichen Reihenfolge geht es um ein Urteil des LG Karlsruhe vom 05.06.2018 (Az. 18 O 24/18), welches ohne mündliche Verhandlung als Versäumnisurteil alleine auf der Grundlage des klägerischen Sachvortrages erlassen wurde. Die Beklagte Daimler AG hatte nicht rechtzeitig ihre Verteidigungsabsicht im schriftlichen Vorverfahren angezeigt. Das Urteil ist deshalb zur Orientierung nicht belastbar. Nachdem Einspruch gegen dieses Versäumnisurteil eingelegt wurde, ist in derselben Instanz weiter zu verhandeln und die Entscheidung ist offen. Ein weiteres Urteil vom 07.06.2018 (Az. 9 O 6. 70/18) hat das Landgericht Hanau gesprochen. Es ging um einen Mercedes-Benz Vito, den der Kläger Ende 2016 für 59.500 Euro als Euro 6-Fahrzeug gekauft hatte. Er behauptete, das Fahrzeug verfüge - wie bei VW - über einen im normalen Fahrbetrieb abgeschalteten Prüfstandmodus, so dass der NOx-Ausstoß des Fahrzeuges außerhalb des NEFZ die Grenzwerte der Euro 6-Norm um ein Vielfaches überschreite. Noch bevor die Beklagte eine Rücknahme ablehnte, verkaufte der Kläger das Fahrzeug Ende 2017 für 45.000 Euro bei einem Kilometerstand von 15.000 Euro. Seine ursprünglich über knapp 57.000 Euro erhobene Klage musste er hieraufhin weitgehend zurücknehmen und auf etwas weniger als 14.000 Euro reduzieren. Dieser Betrag wurde ihm dann allerdings ohne jede Beweisaufnahme zugesprochen, obwohl die Beklagte das behauptete Vorliegen einer manipulierenden Software, die Nichteinhaltung der gesetzlichen Emissionsgrenzwerte und einen erhöhten Schadstoffausstoß im Straßenbetrieb gegenüber dem NEFZ-Zyklus - jedenfalls bei gleichen Betriebsbedingungen - bestritten hatte. Dieses Bestreiten bewertete der Richter -schwer nachvollziehbar - als unzureichend und nachdem der Prozessvertreter hierzu im Verhandlungstermin keine taugliche Erklärung abgeben konnte, verurteilte das Gericht die Beklagte alleine aufgrund der klägerischen Behauptungen ohne Beweisaufnahme wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung zum Schadensersatz. Selbst wenn dieses Urteil einer Überprüfung in der Berufungsinstanz standhalten sollte, wird es mit Sicherheit kein zweites Verfahren geben, in welchem sich vom Gericht gesehene Versäumnisse der Beklagten wiederholen. Auch dieses Urteil ist deshalb für weitere Verfahren bei realistischer Betrachtung nicht belastbar. Urteile des LG Stuttgart Erheblich konkreter und detaillierter sind drei ganz aktuelle Urteile des LG Stuttgart vom 17.01.2019 (23 O 180 /18; 23 O 178/18; 23 O 172/18). Die weitgehend identischen Urteilsgründe stammen sämtlich vom selben Richter. Die Daimler AG wird unter dem Gesichtspunkt des deliktischen Schadensersatzes jeweils zur Rücknahme des Fahrzeuges und Erstattung des Kaufpreises nach Abzug der gezogenen Nutzungen verurteilt. In einem Fall handelt es sich um ein Gebrauchtfahrzeug, das der Kläger von einem Händler außerhalb der Vertriebsorganisation erworben hatte. Das Gericht beurteilt jede Form des "Thermofensters" als unzulässige Abschaltvorrichtung, wenn und solange der Hersteller nicht das konkrete Vorliegen der eng auszulegenden Ausnahmevoraussetzungen des Art. 5 der EU-Verordnung Nr. 715/2007 vorträgt und nachweist. In den Verfahren hatte sich Daimler darauf berufen, dass die Stickoxid-Emissionen über ein Mehrwege-AGR kontrolliert werden mit einer Niedrigdruck-Abgasrückführung. Zum Schutz des Motors werde bei Temperaturen von 5 °C und kälter auf eine Hochdruck-AGR umgeschaltet und so die Abgasrückführungsrate im Bereich zwischen 20 und 50 Prozent angepasst, um Schäden durch Versottungen zu vermeiden. Es fehlte dem Gericht aber die Darlegung, dass es keine andere technische Lösung gibt, auf welche zur Vermeidung der Abschaltung zurückgegriffen werden kann. Unabhängig davon hält das Gericht nach dem Zweck der EU-Verordnung eine Abschalteinrichtung bereits dann für generell unzulässig, wenn sie unter bestimmten Bedingungen dauerhaft arbeitet und keine vollständige Korrektur bietet. Das Urteil kritisiert hier die Auffassungen des KBA und des BMVI als nicht nachvollziehbar und bezieht sich insbesondere auf Stellungnahmen des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Den notwendigen Schaden der Kläger sieht das Gericht bereits im Abschluss der Fahrzeugkaufverträge unabhängig von der Vermögenslage. Die Beklagten hätten entgegen ihrer berechtigten Erwartung kein mangelfreies, den gesetzlichen Bestimmungen vollständig entsprechendes Fahrzeug erworben und seien von der Beklagten hierüber in sittenwidriger Weise getäuscht worden. Die Beklagte habe die Unzulässigkeit ihrer Abschaltvorrichtungen nicht offengelegt. Das verwerfliche Motiv sei entweder die Erzielung eines höheren Gewinnes durch Ersparnis von Entwicklungskosten gewesen oder aber die Absicht, die Unfähigkeit der Motorenentwickler zu vertuschen, "zu marktgerechten Preisen einen Motor zu entwickeln, der über keine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofenster verfügt". Diese richterliche Überzeugung findet in den Erkenntnissen des Verfahrens, das rein anhand formelljuristischer Beurteilungen zur EU-Typgenehmigungsverordnung ohne Beleuchtung der technischen Hintergründe entschieden wurde, keine objektive Stütze und bedarf in Anbetracht des vom Gericht ausdrücklich vermissten Vortrags zu alternativen Lösungsmöglichkeiten zumindest des Ausschlusses möglicher anderer Motivlagen. Dieser Aspekt wird deshalb vorhersehbar ein wesentlicher Angriffspunkt in den von Daimler bereits angekündigten Berufungsverfahren sein. Fest steht aber, dass es wegen des Vertriebssystems von Mercedes und der geringeren Zahl der betroffenen Fahrzeuge auf der Händlerseite weit weniger Beklagte geben wird als bei VW. Kurzfassung Keines der fünf Schaden zusprechenden Urteile ist rechtskräftig. In etwa 50 weiteren Fällen wurden die Klagen abgewiesen. Belastbar für eine positive Prognose der Klageaussicht sind allenfalls drei Urteile des LG Stuttgart vom 17.01.2019. Thermofenster werden dort als generell unzulässig beurteilt, wenn der Hersteller nicht nachweist, dass es keine anderen technischen Lösungen gibt.Händler können von den Verfahren selbst nur dann betroffen sein, wenn sie Mercedes-Fahrzeuge neu oder gebraucht in eigenem Namen verkauft haben. Kommentar Dass man es auch bei anderen Autoherstellern mit der Einhaltung der Schadstoffgrenzwerte außerhalb des NEFZ nicht so genau genommen hat, wurde bereits zu Beginn des VW-Skandals gemunkelt. Es wurden dann auch bei anderen Fabrikaten Abschalteinrichtungen entdeckt, wobei die Hersteller beteuerten, dass solche in legaler Weise verbaut wurden, um Schäden an den Motoren zu verhindern. Die aktuelle Diskussion im Fall Daimler bezieht sich auf relativ neue Euro-6-Fahrzeuge und lässt ein bisschen mehr Klarheit darüber erwarten, welche Abschalteinrichtungen tatsächlich den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen und welche unzulässig alleine den Herstellern dazu dienen, mögliche technische Lösungen aus Kostengründen einzusparen. Vom Kraftfahrtbundesamt angeordnete Rückrufaktionen lassen zum einen darauf schließen, dass hier tatsächlich einiges im Argen liegt. Zum anderen wird aber weiterhin offensichtlich von einer Behebbarkeit der Beanstandungen alleine durch Softwarelösungen ausgegangen. Eine neue Klagewelle nunmehr gegen Mercedes mag erwartet werden. Die aktuellen Urteile des LG Stuttgart bieten - jedenfalls was die technischen Möglichkeiten und die Lesart der maßgeblichen EU-Verordnung angeht - gute Ansätze für eine grundsätzliche Klärung.Rechtsanwalt Robert Glocker

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