Ausgabe 21/2010: Mit breiter Brust

Mit breiter BrustIFA-Kongress 2010 E Auf dem 11. Tag der Automobilwirtschaft in Nürtingen demonstrierte die Branche nach den Krisenjahren 2008 und 2009 wieder Selbstbewusstsein. Von Ralf PadrtkaSelbstbewusst ja, selbstgefällig nein – die deutsche Autobranche präsentierte sich auf dem 11. Tag der Automobilwirtschaft am 20. Oktober in Nürtingen mit breiter Brust. Nach den Krisenjahren 2008 und 2009 geht der Blick nach vorne – nicht zuletzt dank der boomenden Auslandsmärkte. „Das Grundvertrauen ist wieder da, die Branche lebt“, erklärte Professor Willi Diez, Direktor des veranstaltenden Instituts für Automobilwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Geislingen. Der Kongress stand in diesem Jahr unter dem Motto: „Die Automobilwirtschaft auf dem Weg in ein neues Jahrzehnt.“Diez erwartet für das laufende Jahr einen weltweiten Absatz von 54,3 Millionen Fahrzeugen. Im Jahr 2020 könnten es bereits gut 74 Millionen Autos sein. Optimistisch ist der IFA-Chef auch mit Blick auf den deutschen Markt: „2011 werden wir bei den Neuzulassungen wieder eine Drei vor dem Komma sehen.“ Dank der wachsenden Nachfrage sowohl bei Privatkunden als auch bei Firmenkunden sei im nächsten Jahr ein Neuzulassungsvolumen von rund 3,2 Millionen Neuwagen möglich, nach voraussichtlich knapp 2,9 Millionen im Jahr 2010.Trotz der wieder glänzenden Geschäfte warnte BMW-Chef Norbert Reithofer, Top-Referent der Veranstaltung, vor zu großer Euphorie. „Wir freuen uns alle, wie 2010 läuft“, sagte der Konzernlenker. „Aber die Zukunft wird volatiler sein, als wir das in den letzten zehn Jahren gewöhnt waren.“ Die Autobranche befinde sich in einer „Phase der Transformation, des Umbruchs und des Aufbruchs“. Eine große Herausforderung für die Autobauer seien die immer differenzierteren Anforderungen an die Mobilität.ZDK-Präsident Robert Rademacher drückte ebenfalls leicht auf die Stimmungsbremse. Der nach wie vor gebeutelte Autohandel könne nicht wie die Hersteller in die florierenden Auslandsmärkte in den BRIC-Staaten ausweichen, betonte er vor rund 500 Kongressteilnehmern. Das Kfz-Gewerbe wolle gemeinsam mit den Herstellern die großen Branchenaufgaben – neue Antriebsarten, Sicherheitsstandards, mobile Kommunikation und Assistenzsysteme – angehen. Als größte Hilfestellung der Hersteller nannte der Verbandschef eine verantwortungsvolle Belieferung. Dem pflichtete Reithofer bei: „Eine Druckbetankung macht die Restwerte langfristig kaputt.“Verkauf und Service professionalisierenAn die Adresse von Händlern und Werkstätten richtete Rademacher den Appell, Verkauf und Service professioneller aufzustellen. „Wir müssen alle Register ziehen. Ohne starke Kundenorientierung werden einige Betriebe in einem engeren Markt nicht mithalten können.“ Kompetenz und Engagement würden sich aber auch in Zukunft auszahlen. Die Kfz-Branche sei nach wie vor ein hochinteressantes Betätigungsfeld. „Das Auto hat seine besten Tage noch vor sich.“Gewohnt vorsichtig blickte Volkswagen in Person von Vertriebsvorstand Christian Klingler in die Zukunft. „Die Weltmärkte entwickeln sich zum Teil sehr unterschiedlich und es bestehen weiterhin Risiken.“ Der Wolfsburger Konzern werde aber überdurchschnittlich wachsen. Klinglers optimistische Prognose für 2011: „Der deutsche Markt kommt 2010 besser raus als gedacht. Es gibt keinen Grund, warum sich diese Entwicklung von heute auf morgen verändern soll.“Eine konkrete Neuzulassungsprognose gab der Manager zwar nicht ab. Dafür gewährte er einen Einblick in die globale Vertriebsstrategie der Wolfsburger. Bis 2020 würde die Entwicklung der unterschiedlichen Automobilmärkte durch das Verhalten der Kunden sowie durch „Megatrends“ stark beeinflusst. Im Vordergrund stehe bei VW stets der Kunde sowie eine einheitliche Markenidentität und -führung auf sämtlichen Märkten der Welt. „Wir benötigen bei jeder Marke die beste Vertriebsmannschaft“, hob Klingler hervor. Ohne Kundenzufriedenheit sei kein Wachstum möglich.„Hervorragende“ Renditesituation im VW-HandelDie eigenen Handelsaktivitäten will VW nicht ausbauen. „Es gibt keine Strategie, das Retailgeschäft zu stärken. Wir bekennen uns zum unabhängigen Markt“, sagte Klingler. Wenn der Konzern einen angeschlagenen Vertragspartner übernehme, hänge das auch mit der speziellen Situation des Unternehmens zusammen. Künftig sei es in manchen Fällen vorstellbar, Werksbetriebe wieder in Privathand zu überführen. Klingler unterstrich: „Wir brauchen profitable Händler“. Die Renditesituation der deutschen Vertriebspartner bezeichnete er als „hervorragend“, ohne Zahlen zu nennen. Stellschrauben der Profitabilität seien aktuell die Verringerung der Komplexität auf Herstellerseite und damit der Kosten beim Händler, eine Professionalisierung von Gebrauchtwagen- und Aftersales-Geschäft sowie die Zusammenarbeit bei Financial Services. „Der Umsatz pro Kunde muss in den Vordergrund.“Nach einem leidenschaftlichen Plädoyer für Smart von der neuen Markenchefin Annette Winkler („Jetzt ist die Zeit reif für den Smart“) diskutierten vier Experten aus Handel und Industrie die „Mobilität 2020 – wie werden wir in Zukunft Auto fahren?“ Prof. Andreas Knie, Bereichsleiter der DB Rent GmbH, kam mit drei Botschaften ins Schwabenland: „Erstens wollen die Menschen auch in Zukunft individuell mobil sein. Zweitens sind die Zeiten, in denen man mit einem Auto angeben konnte, vorbei. Drittens muss es über das Auto hinaus eine Mobilitätsverknüpfung geben.“ Knie zeigte sich überzeugt, dass integrierte Mobilitätslösungen bestehend aus Auto, Fahrrad und Öffentlichem Nahverkehr in Städten und Metropolen einen festen Platz haben werden.Das sequentielle Mobilitätskonzept „Mu by Peugeot“ stand im Fokus des Impulsvortrags von Deutschland-Geschäftsführer Thomas Bauch. Eine Kernaussage: dem Vertragshandel neue Renditechancen eröffnen. „Wir binden die Händler von Anfang an aktiv mit ein“, erklärte Bauch. Der französische Hersteller wolle das Konzept zu einem Value-Businessbereich im Autohaus aufbauen, der Umsatz, Ertrag und Kundenbindung bringen soll. „Jeder Mietvorgang ist auch eine Probefahrt“Mit dem Mu-Projekt ging der Autobauer hierzulande zunächst in Berlin an den Start. Seit Mai dieses Jahres kann jeder Privatkunde Fahrzeuge aus der gesamten Modellpalette – Fahrräder, Motorroller, Autos und Transporter – zu „transparenten Konditionen“ mieten. Bezahlt wird über ein Onlinekonto mit sogenannten Mobilitätspunkten. Ein E-Bike kostet etwa zehn Euro für einen Tag. Laut Bauch nutzen derzeit rund 500 Kunden das neue Konzept. Das Unternehmen registriere 50 Mietvorgänge in der Woche. „Jeder Mietvorgang ist auch eine Probefahrt“, betonte er. Da das Mu-Programm in Deutschland auch anderen Mobilitätspartnern offen steht, biete es dem Handel weitere Chancen zum Geldverdienen. „Noch müssen die Kunden aber den Schalter im Kopf für sequentielle Mobilität umlegen“, räumte Bauch ein. Eine Schubwirkung für das Konzept verspricht sich der Manager von der Einführung der ersten Serienelektrofahrzeuge wie den Peugeot iOn zum Jahresende.Als „Traditionalist, der sein Auto nicht teilt“, outete sich anschließend Jörg Felske, Vorstandsvorsitzender der Procar Automobile AG. Aus Sicht des BMW-Händlers werden Autohäuser mit Car-Sharing künftig nicht das große Rad drehen: „Wer will schon seinen Premiumwagen mit einem Fremden teilen.“ Außerdem böten alle Händler bereits jedes Auto auch zum Mieten an. Für Car-Sharing sprächen vor allem gesellschaftliche Entwicklungen wie der Anstieg der Single-Haushalte oder die zunehmende Urbanisierung.Diese Trends griff auch Lars-Henner Santelmann, Vertriebsvorstand der Volkswagen Financial Services AG, in seinem Vortrag auf. Beispielsweise hätten in Paris 58 Prozent der Haushalte gar kein eigenes Auto mehr. Der Besitz eines Autos werde immer teurer. Santelmann forderte eine Neuausrichtung der automobilen Wertschöpfung. Für den Finanzexperten geht die Entwicklung immer stärker von Besitz zum Nutzen: „Früher stand die Finanzierung im Fokus, künftig rücken Car-Sharing, Autovermietung, integrierte Gesamtkonzepte und sogar der Stromhandel in den Mittelpunkt.“Opel-Elektroauto: Nutzen, Ökologie, EmotionOpel-Vertriebsleiterin Imelda Labbé thematisierte abschließend die Herausforderungen der Industrie bei der Elektrifizierung des Automobils am Beispiel des Rüsselsheimer Herstellers. „Die Elektromobilität bietet für Opel hervorragende Perspektiven“, sagte sie. Opel setze dabei auf eine „optimale Symbiose von Kundenanforderungen und Umweltschutz“. „Als Marke in der Mitte der Gesellschaft gilt es Nutzen, Ökologie und Emotion zusammenzubringen.“Der 2011 startende Ampera besitzt nach Meinung von Labbé genau diese Eigenschaften. Das Design sei fortschrittlich, der Elektroantrieb vermittle großen Fahrspaß. Zudem mache der „Range Extender“ – ein Benzin-Hilfsmotor lädt bei Bedarf die Batterie auf – das Kompaktmodell mit einer Reichweite von rund 500 Kilometern alltagstauglich. Für den Ampera will Opel ein zweistufiges Service-Netz aufbauen: eine Säule sind in der Breite qualifizierte Werkstattmitarbeiter, die andere speziell geschulte Techniker. Neben dem Stromer mit Reichweitenverlängerer arbeitet der Hersteller auch mit „voller Energie“ an einem rein batteriebetriebenen Auto. „Das Fahrzeug wird definitiv kommen“, sagte Labbé. Planungen gebe es ferner zu einem Elektroauto mit Brennstoffzellenantrieb.Nach den Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Kongressgesprächen sieht Diez die Kfz-Branche auf einem nachhaltigen Weg. Sein Fazit: „Obwohl es der Branche wieder besser geht, habe ich nicht das Gefühl, dass sie sich zurücklehnt. Alle Marktteilnehmer haben ihre Handlungsfelder erkannt und setzen bereits viele Konzepte konkret um.“ zLesen SIe hier...... wie die Kfz-Branche die „automobile Zukunft“ gestalten will, welche Chancen und Risiken dabei bestehen sowie welche Mobilitätskonzepte sie als nachhaltig erachtet.

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