Neue Wege gehen: Mobilität zu Land und zu Wasser

KURZFASSUNG: Schon früh hat das Familienunternehmen Scherhag Alternativen zum Volkswagen-Handel aufgebaut. Jetzt geht es mit VW-Service, einer freien Werkstatt, Hyundai und einem Wassersportzentrum weiter. Das Autohaus Scherhag in Koblenz ist einer der zirka 300 Händler von Volkswagen, die Ende März ihren Vertriebsvertrag für die Marke verloren haben. "Ich bezweifle, dass Volkswagen den richtigen Weg geht", sagt Geschäftsführer Mark Scherhag bei unserem Besuch. Damit verzichte der Hersteller nämlich auf 300 mittelständische Betriebe, die maßgeblich jahrzehntelang zur Marktentwicklung beigetragen haben. Die Mischung unterschiedlicher Partnergrößen sei ein großer Wettbewerbsvorteil gewesen. Volkswagen begebe sich damit auf den Pfad der Austauschbarkeit und Beliebigkeit. Natürlich sei das Ausscheiden schwierig für jemanden, der das mit Herzblut gemacht hat, räumt er ein. Aber: "Wir sind froh, dass wir uns schon frühzeitig ein zweites Standbein aufgebaut haben." Das zweite Standbein hieß ab 2003 Mark's Garage und war eine freie Werkstatt am anderen Ufer der Mosel im Stadtteil Rauental, nahe am Verwaltungszentrum der Stadt Koblenz. Aber schon bald hielt auf dem 7.600 Quadratmeter großen Grundstück eine Marke Einzug, für die Scherhag damals noch belächelt wurde: Seit 2004 gibt es dort ein Hyundai-Autohaus Scherhag. "Interessant ist, dass ich mich schon während meines Studiums mit der Marke beschäftigt habe. 1989 schrieb ich ein Fax an den CEO und bekundete mein Interesse", berichtet der Unternehmer. Es passierte erst einmal nichts, aber dann kam ein Akquisiteur auf die Familie zu. Kündigung nach 50 Jahren Karl-Heinz Scherhag, der leider 2015 verstorbene Vater des heutigen Geschäftsführers, der 1960 mit 23 Jahren den Betrieb gegründet hatte, zeigte sich aufgeschlossen. Die Familie Scherhag ist eine Handwerker-Dynastie, die seit dem 16. Jahrhundert in dem beschaulichen Ort Güls an der Mosel ansässig ist. Mit 23 Jahren war Karl-Heinz Scherhag in die Selbständigkeit gestartet, zunächst mit Landmaschinen, die in den nahe gelegenen Weinbergen gebraucht wurden. 1962 kam Volkswagen Service hinzu, 1974 dann der Handelsvertrag. Später als damals so genannter "U-Betrieb" mit Audi. Über 50 Jahre machte das Familienunternehmen sämtliche Umfirmierungen und Änderungen des Konzerns mit. 2002 verlor das Autohaus den Audi-Vertriebsvertrag, jetzt den für Volkswagen. "Wir haben es kommen sehen", sagt Mark Scherhag. Deswegen habe sich das Unternehmen schon früh darum bemüht zu diversifizieren. 1993 ist er in das Unternehmen, in dem er seine Mechaniker-Lehre gemacht hat, zurückgekommen - als Diplom-Kaufmann. Danach machte er noch seinen Meister in der Abendschule. "Das war eine harte Zeit." Trotzdem: 1996 wurde er Geschäftsführer, 1998 übernahm er die ersten Anteile. "Wir sind immer unseren eigenen Weg gegangen", blickt er heute zurück. "Wir wollten uns flexibel aufstellen." Besonders stolz ist er auf die Zusammenarbeit mit Hyundai. Das Unternehmen habe eine extrem tiefe Wertschöpfungskette. Und: "Hyundai ist die fortschrittlichere Marke." Aktuell würden im Autohaus 250 Neuwagen verkauft. Das sollen in den nächsten Jahren noch deutlich mehr werden. Wassersportzentrum Besondere Freude hat Mark Scherhag aber an seinem neuesten Engagement: Gemeinsam mit seiner Tochter Annabelle Scherhag hat er im letzten Jahr ein Schiffsunternehmen in der Nähe übernommen. Der Standort: direkt am Moselufer mit Steganlage und Kran. Ein Laden mit Bootszubehör und Wassersportartikeln ist auch dabei. "Das Wassersportzentrum in Metternich ist der einzige professionelle Hafenbetrieb in Koblenz", so der Neuschiffsverkäufer stolz. Eine Halle bietet auch Platz, um die Boote im Winter unterzustellen. Wassersport hat in der Familie Scherhag Tradition. Mark ist ein begeisterter Segler und Annabelle hat eine Boots- und Schiffbaulehre absolviert. 2022 schloss sie als beste Meisterin in Deutschland ab. In dem neuen Betrieb arbeitet sie zwar überwiegend im Verkauf. "Manchmal lege ich aber auch in der dazugehörigen Werkstatt mit Hand an", sagt die 24-Jährige. Mit der Unternehmensführung muss sie sich noch vertraut machen. Als Meisterin hat sie aber durchaus auch gute betriebswirtschaftliche Kenntnisse. Und im Hintergrund steht ihr Vater, der ebenfalls Anteile am Bootsunternehmen hält, zur Seite. So viel anders als Autohandel ist der Bootshandel gar nicht. "Wir vertreten die Marke Sea Ray und verkaufen 40 bis 60 neue und gebrauchte Boote pro Jahr", erklärt die Chefin. Die kosten je nach Größe und Ausstattung zwischen 30.000 und 200.000 Euro. Für ihr Freizeitvergnügen sparen die Kunden nicht, Sonderausstattungen sind an der Tagesordnung. Was die Verdienstmöglichkeiten angeht, unterscheidet sich der Schiffsverkauf aber dann doch vom Autohandel: "Das Unternehmen erwirtschaftet mit erheblich weniger Mitarbeitern gute Gewinne." Weiter mit Service Aber natürlich geht es auch mit den anderen Aktivitäten weiter. Im Stammbetrieb wird weiterhin Service für Volkswagen, Audi, Seat und Skoda angeboten und das im Zweischicht-Betrieb täglich von 6 bis 20 Uhr. Im Ausstellungsraum stehen jetzt zwar nur noch Kurzzulassungen und Gebrauchtwagen, aber die Stammkunden halten die Treue. Neuwagenkunden werden an eine große Gruppe in der Nähe vermittelt. Fahrräder aufzunehmen, wie es derzeit viele Autohäuser machen, war für den Unternehmer keine Option. Kunden können sie zwar ausleihen, aber die Firma Canyon, ein großer Fahrrad-Hersteller, und die Fahrrad XXL Gruppe sind in Koblenz ansässig und betreiben ein sehr großes Verkaufscenter. "Deshalb würde sich das für uns nicht lohnen." Und in Sachen Elektromobilität ist das Unternehmen vorne mit dabei. Schon frühzeitig ist das Autohaus eingestiegen: Seit 2010 sind Elektrofahrzeuge im Angebot. Auf dem Dach des VW-Betriebes ist schon seit drei Jahren eine Photovoltaik-Anlage in Betrieb, die den eigenen Bedarf zu 60 Prozent abdeckt. Auch bei Hyundai soll schon bald die Stromproduktion beginnen. Und es gibt noch andere Einnahmen: Die untere Etage eines 2011 erbauten Parkhauses dort ist an den angrenzenden Supermarkt vermietet. Die anderen Plätze stehen für Gebraucht- und Lagerwagen des Hyundai Autohauses zur Verfügung. Und nicht zu vergessen: Das Autolackierzentrum am Mittelrhein, das Scherhag mit einigen Kollegen anderer Marken betreibt, gehört auch dazu. Politisch engagiert Und dann ist da noch das Engagement, das Vater und Sohn gemeinsam haben. Karl-Heinz Scherhag war politisch sehr aktiv: 16 Jahre als Obermeister der Kfz-Innung, dann 13 Jahre als Kreishandwerksmeister. 21 Jahre lang rückte er schließlich als Präsident an die Spitze der Handwerkskammer Koblenz. Acht Jahre - von 1994 bis 2002 - saß er im Bundestag. Auch Mark Scherhag war viele Jahre Obermeister, Vorstandsmitglied der Kreishandwerkerschaft und ist heute Vizepräsident der Handwerkskammer. Im Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe leitet er bereits einige Jahre den Ausschuss Wirtschaft. Insgesamt sind wir also auf einen zufriedenen und innovationsfreudigen Unternehmer gestoßen, für den das Leben auch nach Wegfall des Volkswagen-Handelsvertrags erfolgreich weitergeht. Der 56-Jährige hat die Urkunde, die das Autohaus zum 50-jährigen Jubiläum der Zusammenarbeit mit Volkswagen bekommen hat, abgehängt. Sie fristet ihr Dasein nun in einem Nebenraum. Auf dem Besuchertisch im Chefzimmer steht jetzt eine Schiffschraube: Es dreht sich also weiter, auf zu neuen Ufern.

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