Urlaubsanspruch: Neue Pflichten

Nach deutschem Recht ist der Urlaub geregelt im Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). Nach § 7 Abs. 3 BUrlG muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nach dem Gesetzestext nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. Nach § 7 Abs. 4 BUrlG ist der Urlaub, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann - und nur dann -, abzugelten. Was den Urlaub anbetrifft - wie könnte es anders auch sein -, gibt es eine europäische Richtlinie. Es ist dies die "Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung". Nach Art. 7 der Richtlinie treffen die Mitgliedstaaten "die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindesturlaub von vier Wochen" erhält. Die EU-Richtlinie führte in der Vergangenheit zu etlichen Urteilen, die das Bundesurlaubsgesetz in einzelnen Bereichen nahezu auf den Kopf gestellt haben. Mit zwei Urteilen vom 6.11.2018 beschäftigte sich der EuGH nun erneut mit der Frage der Urlaubsgewährung und der Urlaubsabgeltung.Fallgestaltung 1Der EuGH entschied im Fall 1 über die Klage von zwei deutschen Arbeitnehmern. Zum einen ging es um einen Kläger, der seinen juristischen Vorbereitungsdienst beim Land Berlin ableistete. Während der letzten Monate seines Dienstes nahm er keinen bezahlten Jahresurlaub. Nach Ende des Vorbereitungsdienstes beantragte er eine finanzielle Vergütung für die nicht genommenen Urlaubstage. Das Land lehnte den Antrag ab. Der Kläger beschritt den Instanzenweg.Der im EuGH-Verfahren verbundene weitere Fall betraf einen Kläger, der zwei Monate vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses bei der Max-Planck-Gesellschaft vom Arbeitgeber aufgefordert wurde, seinen Resturlaub zu nehmen. Eine ausdrückliche Verpflichtung zur Urlaubsnahme wurde vom Arbeitgeber nicht ausgesprochen. Der Arbeitnehmer nahm nicht den gesamten Resturlaub, sondern nur zwei Urlaubstage und beantragte die Zahlung einer Vergütung für die nicht genommenen Urlaubstage. Dies lehnt der Arbeitgeber ab. Auch hier wurden die Gerichte bis zum EuGH bemüht. Der Leitsatz des Urteils des EuGH (Rechtssachen C-610/16 und C-684/16) lautet dahingehend, dass ein Arbeitnehmer seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht automatisch deshalb verlieren darf, weil er keinen Urlaub beantragt hat. Nur dann, wenn der Arbeitgeber nachweist, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage darauf verzichtet hat, seinen Jahresurlaub zu nehmen - und ihm dies auch tatsächlich möglich ist -, fällt die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer finanziellen Vergütung weg. Insofern - so der EuGH - steht Unionsrecht der eingangs des Beitrags zitierten Bestimmung des § 7 Abs. 3 BUrlG entgegen. Das BUrlG wird in Zukunft unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH anzuwenden sein.Fallgestaltung 2In den verbundenen Rechtssachen C-569/16 und C-570/16 ging es um die beiden Witwen von zwei während des Laufes des Arbeitsverhältnisses verstorbenen Arbeitnehmern. Da die Verstorbenen vor ihrem Tod nicht alle Urlaubstage hatten nehmen können, beantragten die Witwen als die alleinigen Erbinnen von den Arbeitgebern eine finanzielle Vergütung für diese nicht genommenen Urlaubstage. Die Arbeitgeber lehnten die Zahlung ab. Es kam zum Rechtsstreit. Nach dem Leitsatz des Urteils des EuGH können die Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers von dessen ehemaligem Arbeitgeber eine finanzielle Vergütung für den vom Arbeitnehmer nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verlangen.Der EuGH erkannte zwar an, dass der Tod eines Arbeitnehmers unvermeidlich zur Folge hat, dass die mit dem Urlaub bezweckten Entspannungs- und Erholungszeiten nicht mehr wahrgenommen werden können. Der zeitliche Aspekt des bezahlten Jahresurlaubs - so der EuGH - stellt nach der Charta der Grundrechte der EU jedoch nur einen Grundsatz dar. Das Grundrecht auf Jahresurlaub umfasst allerdings als zweiten Grundsatz auch das Recht auf Bezahlung, wobei dieses Recht rein vermögensrechtlicher Natur ist und deshalb dazu bestimmt ist, in das Vermögen des Arbeitnehmers überzugehen. In der Konsequenz steht damit der Zahlungsanspruch, der durch den Tod des Arbeitnehmers nicht rückwirkend entzogen werden kann, den Erben zu und der Arbeitgeber hat entsprechende Zahlung zu leisten.AusblickEs war schon länger in der juristischen Diskussion, dass der gesetzliche Urlaub von vier Wochen eine Arbeitsschutzbestimmung darstellen soll. Für die Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen ist jedoch allein der Arbeitgeber zuständig, in der Konsequenz also auch dafür, dass der Arbeitnehmer seinen gesetzlichen Urlaub nimmt. Im Gegensatz hierzu war es bisher ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass es Sache des Arbeitnehmers ist, seinen Urlaub im Auge zu behalten und rechtzeitig Urlaub zu beantragen, will er nicht in die Gefahr geraten, dass der Urlaub zum Jahresende - oder zum Ende des Übertragungszeitraums - erlischt. Aufgrund des EuGH-Urteils in der Fallgestaltung 1 ergibt sich nun die neue Pflicht des Arbeitgebers, die Urlaubsansprüche jedes einzelnen Arbeitnehmers im Auge zu behalten und dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer seinen gesetzlichen Urlaub auch tatsächlich im Jahr nimmt. Im äußersten Fall hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darauf zu verpflichten, Urlaub zu einer vom Arbeitgeber vorgegebenen Zeit zu nehmen. In jedem Fall ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer umfassend zu informieren, dass er seinen Anspruch auf Urlaub und auch auf finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub verliert, wenn er einen angewiesenen Urlaub nicht nimmt. Aus der Fallgestaltung 2 ergeben sich für den Arbeitgeber keine Handlungspflichten, sondern "lediglich" Zahlungspflichten, die nach dem deutschen Urlaubsrecht - siehe den eingangs des Beitrags zitierten § 7 Abs. 4 BUrlG - nicht normiert waren. Es ist insgesamt festzustellen, dass der EuGH seine verbraucherfreundliche Rechtsprechung auch im Arbeitsrecht konsequent fortsetzt.Zusammenfassung1. Nach dem Urteil des EuGH vom 6.11.2018 (Rechtssachen C-610/16 und C-684/16) verliert ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht automatisch deshalb, weil er keinen Urlaub beantragt hat. Nur wenn der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage auf seinen Jahresurlaub verzichtet hat, entfällt eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer finanziellen Vergütung für nicht genommenen Jahresurlaub.2. Nach dem Urteil des EuGH vom ebenfalls 6.11.2018 (Rechtssachen C-569/16 und C-570/16) können die Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers vom ehemaligen Arbeitgeber eine finanzielle Vergütung für den vom Arbeitnehmer wegen des Versterbens nicht genommenen Jahresurlaub verlangen. Das Recht auf Bezahlung des Jahresurlaubs ist ein rein vermögensrechtlicher Anspruch, der auf die Erben übergeht.KommentarNach der Rechtsprechung des BAG gilt ein so genanntes eigenständiges Urlaubs- und Fristenregime. Hiernach müssen "deutliche Anhaltspunkte" dafür vorliegen, wenn die Arbeitsvertragsparteien einen über den gesetzlichen vierwöchigen Mindesturlaub hinausgehenden Mehrurlaub einer eigenen Fristenregelung unterwerfen wollen. Fehlen solche Anhaltspunkte, ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf Mehrurlaub auszugehen. Soll ein solcher Gleichlauf vermieden werden, ist in den Arbeitsverträgen eine klare Regelung zu treffen, die zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und Mehrurlaub unterscheidet und für den Mehrurlaub eigene Verfallfristen - gegebenenfalls zum Ende des Urlaubsjahres - bestimmt. Eine entsprechende Klausel im Arbeitsvertrag ist sorgsam zu formulieren und darf weder intransparent noch für den Arbeitnehmer benachteiligend sein.Rechtsanwalt Rainer Bopp

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