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VW-Abgasaffäre: Brisante Wochenendpost für Winterkorn

04.03.2016 07:48 Uhr
Abgasskandal: Was wusste Ex-VW-Chef Winterkorn und wann?

Die Aufarbeitung der Abgasaffäre könnte sich für den Ex-VW-Chef zum Bumerang entwickeln. Nach Mitteilung des Konzerns wusste dieser möglicherweise schon 16 Monate vor dem späteren Bekanntwerden von den Problemen.

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Von Heiko Lossie und Marco Hadem, dpa

Es dürfte eine der längsten Pressemitteilungen in der Volkswagen-Geschichte sein. Doch der Sprengstoff der gut drei Seiten, die der VW-Konzern am Mittwochabend aussendete, steckt vor allem in einem einzigen Satz: "Ob und inwieweit Herr Winterkorn von dieser Notiz damals Kenntnis genommen hat, ist nicht dokumentiert." Der kurze Satz informiert darüber, dass der damalige Konzernboss Martin Winterkorn schon im Frühling 2014 – rund eineinhalb Jahre vor dem Ausbruch des Diesel-Skandals –von der Wurzel des Problems hätte wissen können. Doch ob er die Notiz in seiner Wochenendpost überhaupt las und ob er deren Brisanz erahnte, sei eben "nicht dokumentiert".

Der Hinweis in Winterkorns Post erläuterte Ungereimtheiten beim Abgasverhalten des Skandalmotors EA 189, die aus einer im Mai 2014 vorgelegten Studie hervorgingen. Die Analyse sollte die US-Behörden in der Folge stutzig machen und die Affäre um weltweit elf Millionen manipulierte Konzernfahrzeuge ins Rollen bringen. Für einige Medien ist die Sache damit nun klar: Winterkorn war schon frühzeitig über den Abgas-Skandal informiert. Diese Lesart aber ist nicht zwingend.

Man kann das annehmen, nur kann man es nicht belegen. Schon gar nicht mit der Existenz der Notiz in der Wochenendpost. Doch die Büchse der Pandora ist nun offen. Schon vor der Pressemitteilung kursierten in den Medien Teile einer gut 120-seitigen Klageerwiderung, mit der sich VW gegen Anlegervorwürfe wehrt, wonach der Konzern im Wissen um die Tragweite des Skandals die Finanzwelt zu spät informiert habe.

Seit Monaten geht auch die Bundesfinanzaufsicht dieser Frage nach. Wie bei allen anderen Ermittlungen zur Abgaskrise ist auch hier noch nichts konkretes bekannt. "Die Prüfung wird noch Monate dauern", sagte eine Sprecherin am Donnerstag. Damit dürfte das Ergebnis auch bei der voraussichtlich erst im Juni stattfindenden Hauptversammlung noch nicht auf dem Tisch liegen.

Dennoch könnte es für Winterkorn brenzlig werden. Denn auch wenn der Konzern argumentiert, dass selbst Anfang September 2015 die Affäre noch auf die USA begrenzt zu sein schien, ist nun erstmals vom Unternehmen bestätigt, dass die Wurzel des Problems schon im Mai 2014 zu einem Vorgang für den obersten Chef wurde. Dies hatte Winterkorn, der kurz nach Bekanntwerden des Skandals um manipulierte Dieselfahrzeuge zurücktrat, immer vehement bestritten. Fraglich bleibt dabei auch, ob und wie er die Sache wertete, denn das ist "nicht dokumentiert".

Es gilt die Unschuldsvermutung

Für Winterkorn gilt die Unschuldsvermutung. Womöglich nahm er die Passage in seiner Wochenendlektüre gar nicht wahr. Doch allein schon der Umstand, dass ein schriftlicher Vorgang bei ihm so früh ankam, manövriert ihn in eine Zwickmühle. Entweder er kann sich nicht mehr erinnern. Oder er nahm es zur Kenntnis, hielt es aber für Tagesgeschäft. Oder er erklärte es doch zur Chefsache, was wenig plausibel erscheint, da ja "nichts dokumentiert" ist. Alle Varianten bieten Angriffsfläche. Oder es ist noch schlimmer und Winterkorn wusste damals schon alles.

Volkswagen stellt es so dar: "Nach aktuellem Kenntnisstand erfuhr die Angelegenheit, da sie vielmehr als ein Produktthema unter vielen behandelt wurde, zunächst auf den Führungsebenen bei Volkswagen keine besondere Aufmerksamkeit." Die Sache habe daher im Ausschuss für Produktsicherheit gelegen. "Emissionsabweichungen zwischen Prüfstands- und Straßenbetrieb kommen bei allen Automobilherstellern vor und sind keineswegs automatisch auf Regelverstöße zurückzuführen."

Lässt sich die Sichtweise halten? In der Notiz aus der Wochenendpost, deren Wortlaut VW-intern sehr wohl dokumentiert ist, soll es laut der "Bild am Sonntag" heißen: "Es ist zu vermuten, dass die US-Behörden die VW-Systeme daraufhin untersuchen werden, ob Volkswagen eine Testerkennung in die Motorsteuergeräte-Software implementiert hat (sogenanntes Defeat Device)." Klingt das noch nach Tagesgeschäft?

Hinter den Kulissen ist der Konzern schon weiter. Wie die Deutsche Presse-Agentur Ende Februar meldete, hat der VW-Aufsichtsrat eine der führenden deutschen Kanzleien für Fragen des Gesellschaftsrechts verpflichtet, um die Dimension einer möglichen Haftung des Konzerns besser bewerten zu können. Ein Anlass ist auch der frühe schriftlich belegte Vorgang an der Vorstandsspitze bei Winterkorn.

Rückdeckung von Weggefährten

Rückendeckung erfährt Winterkorn von ehemaligen Weggefährten: "Ich glaube nicht, dass Winterkorn so vom Ehrgeiz zerfressen war, dass er dafür auch bereit war, kriminell zu werden", sagt ein Insider, der ihn gut kennt. Dies könne auch nicht aus Winterkorns Ziel für den Konzern abgeleitet werden, bis 2018 Toyota von der Spitze des Autobauer-Throns zu stoßen. Ungeachtet dessen zeichne sich aber das Bild ab, dass Winterkorn möglicherweise fahrlässig gehandelt habe. "Wenn die höchste Ebene es hätte wissen wollen, hätte sie es auch erfahren können."

Für einen der Anlegerkläger, Andreas Tilp, kommt es indes nicht groß an auf Winterkorns Wissen. "Wenn er es nicht gelesen hat, muss VW sich (...) jedenfalls so behandeln lassen, als hätte er es gelesen", schrieb Tilp am Donnerstag. Der juristische Hintergrund dieses Arguments erinnert an das Prinzip "Unwissenheit schützt vor Strafe nicht". Es besagt mit dem sogenannten Organisationsverschulden als höchstrichterliche Regelung, dass ein Unternehmen zusehen muss, sein System an Kontrolle und Überwachung scharf genug zu schalten. Diese Vorgabe sei "ständige Rechtssprechung", betonte Tilp.

Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil will den Vorgang nicht kommentieren. Das Kontrollgremium finde es generell gut, wenn Volkswagen "proaktiv" im Zusammenhang mit der Aufklärung Öffentlichkeitsarbeit betreibe. Welche Rolle Winterkorn in der Affäre gespielt oder wann er wovon erfahren habe, will er unter Verweis auf die Aufarbeitung nicht erläutern.

Stattdessen verweist Weil auf die vom Aufsichtsrat in Auftrag gegebene Untersuchung durch die Kanzlei Jones Day. Der Bericht soll im April vorgelegt werden. Er selbst habe Winterkorn als sympathischen und tüchtigen Menschen kennengelernt, sagt Weil. Jetzt müsse er bisweilen Dinge über ihn lesen, muss, die nicht mit seinem Bild dieser Persönlichkeit übereinstimmten.

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KOMMENTARE


Projektexperte

04.03.2016 - 14:26 Uhr

Wenn du wissen willst, wer dich beherrscht, musst du nur herausfinden, wen du nicht kritisieren darfst.“ (Voltaire)Ich denke dieses Zitat trifft ganz gut auf den Dunstkreis des Herrn Winterkorn zu, denn ganz sicher werden mehrere "Kandidaten" der TOP-Führungsebene zumindest ansatzweise Bescheid gewusst haben.Jetzt so zu tun, als wäre die Abgasaffäre wie ein plötzliches Unwetter über den Konzern hereingebrochen, ist praxisfremd und zeugt doch immer noch davon, dass niemand etwas dazu gelernt hat...Statt offen zu kommunizieren und entsprechend "aufzuräumen", wird sich hinter Lippenbekenntnissen versteckt und in argloser Scheinheiligkeit gesonnt.Bestes Beispiel dafür sind die Briefe, die augenblicklich an verunsicherte VW-Kunden verschickt werden... Eine nachhaltige Entschuldigung, in Verbindung mit dem Versprechen alles für eine lückenlose Aufklärung zu tun, sieht ganz sicher anders aus.Quo vadis VW???


Michael Kühn

04.03.2016 - 16:35 Uhr

@ Projektexperte; so weit stimme ich Ihnen zu u. möchte nur eines hizufügen: " Derjenige, der damals den Tauchsieder anstellte oder duldete, ist "schamlos aus seiner Verantwortung geflüchtet" ... - Es ist scheibar eine beliebte Vorgehensweise: "Ernte so viel du kannst innerhalb der Zeit deiner Aufgabe u. nach mir die Sintflut". Spätestens wenn die "Leichen mit dem STINKEN beginnnen" zieht man sich zurück. - Wieso hatte dieser "ehrenwerte" Herr eigentlich gegen Hr. Piech seinen Widerstand erfolgreich durchgefochten ??? - Hätte er damals eine unternehmerische Weitsicht innegehabt, so wäre wäre er in vielen Dingen einfacher zu entlasten. - Bei Menschen in dieser "Gehaltsklasse" erwarte einfach mehr. Grüßle zum Wochenende MK


M.T.

04.03.2016 - 22:09 Uhr

Ich denke Herr Prof. Dr. Winterkorn war sich seiner Sache zu sicher, erst den Machtkampf gegen Piëch gewinnen und dann die Flinte ins Korn werfen ist auf dieser Ebene nicht üblich. Auch das Thema eine Verfehlung einzugestehen ist bei vielen Top Managern leider nur sehr wenig ausgeprägt, es gibt leider viel zu viele Beispiele in den letzten 10-20 Jahren ( Quelle, Deutsche Bank, BER usw. ). Wen Topmanager schon nicht den Anstand haben zurückzutreten, wie können wir es dann von unseren Politikern fordern. Noch dazu stand er ja Anfang September auch noch vor der Vertragsverlängerung, das Geld nimmt man doch gerne mit. Sich aber dann vor die Kamera zu stellen und zu behaupten von nichts zu wissen, ist schon dreist. War doch klar, dass irgendwann ein Schriftstück oder Email mit ihm als Empfänger auftaucht. Ich hoffe dass endlich mal die Härte des Gesetzes auch bei den Lichtgestalten greift und das Thema "die Kleinen hängt man und die Grossen lässt man laufen" endlich einmal beendet wird. Das gleiche gilt für die Bestrafung des Konzerns, der sich mit seiner Methode nicht unerhebliche Wettberwerbsvorteile über fast ein Jahrzehnt verschafft hat. Man darf gar nicht daran denken wie viele Kunden sich deshalb ein Fahrzeug aus dem VW Konzern gekauft haben, weil dies wegen der fehlenden Abgasreinigung einfach besser lief.


Paul Schröder

06.03.2016 - 20:45 Uhr

Moin Projektexperte und Herr Kühn,in diesem Zusammenhang kann ich nur immer wieder meinen alten Spieß bei der BW zitieren, der da sagte " Verantwortung ist unteilbar " . Lese ich dann noch vom Ministerpräsidenten aus NS, er habe Hr. W anders kennen gelernt, da kann ich nur lachen. Der sollte sich mal in die Branche begeben und würde sich wundern, wie aus herzlichen Menschen wilde Tiere werden. Der größte Fehler war wohl, W. diese alleinige Macht zu geben, denn als er den Konzern übernahm, wurden die Markenchefs degradiert und fähige Köpfe wie Hr. Bernhard verließen den Konzern, weil sie einen anderen Vertrag hatten und Gott W. war geboren. Seit seiner Übernahme wurden die Anforderungen stets immer höher und oftmals nicht zu erfüllen ( Angst um den Job ). Aus meiner Sicht ist die Ursache für das Übel zurück getreten, jedoch nicht aus der Verantwortung entlassen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch das Machtspiel vor ca. einem Jahr mit Hr. Piech nicht ausser acht lassen, Piech verlor das erste mal in seiner Karriere und ich halte es für denkbar, das diese Geschichte der Auslöser dafür war, das der Förderer von W. sich von diesem distanzierte. Hätte ich so viele Aktien wie Piech, hätte ich es auch nicht public gemacht, falls dieser es wußte. Wie gesagt, alles nur Gedankenspiele meinerseits. Jedenfalls geht der Konzern bislang immer so vor, wie bis jetzt, aussitzen und wir tragen keine Schuld. Gutes Beispiel Audi TT, das FZ ist sicher, nur die Leute können nicht fahren, verständlich, alle Käufer fahren in Ihrer Freizeit Rennen. Dann gibt es diverse Rückrufaktionen, die aber nie wirklich public werden. Bei Toyota gibt es fast jeden Monat eine, nur von VW steht nie etwas in der Presse, woran könnte das liegen. Konstruktionsfehler werden vertuscht und die Kosten zum großen Teil den Käufern aufgebürdet, ist ja besser wenn die zahlen. Lebensbedrohliche Rückrufaktionen werden mit dem Titel getarnt " Fanghaken Motorhaube ". Ich hoffe nur, man nutzt die Umstände jetzt um im Konzern mal richtig auszumisten und Besitzstandswahrung abzuschaffen und die richtigen zu verurteilen und nicht die kleinen Abteilungsleiter, sondern die, die für Verantwortung dementsprechend entlohnt werden.


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