Ausgabe 10/2010: Weite Grenzen

Weite Grenzen Gebrauchtwagen E BGH bestätigt Rechtsprechung zum Ersatz eines Nutzungsausfallschadens nach Rücktritt vom GebrauchtwagenkaufAutohaus-Juristen Rechtsanwälte G. Haug & PartnerDer Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 14. 4. 2009 (Aktenzeichen VIII ZR 145/09) seine Rechtsprechung bestätigt, dass ein Gebrauchtwagenkäufer nach Rücktritt vom Kaufvertrag Anspruch auf Ersatz eines Nutzungsausfallschadens hat, wenn er das Fahrzeug wegen eines Sachmangels nicht nutzen kann. Der BGH bezog sich hierbei auf ein zurückliegendes Urteil vom 22. 11. 2007 (Az.: VIII ZR 16/07). Mit beiden Urteilen hat der BGH zwar einerseits Rechte der Verbraucher gestärkt, andererseits aber einem ausufernden Anspruchsdenken von Gebrauchtwagenkäufern Grenzen gesetzt.FallgestaltungFall 1, Entscheidung des BGH vom November 2007: In diesem Verfahren ging es um einen Nutzungsausfallschaden in Form von Mietwagenkosten. Eine Kundin kaufte als Verbraucherin im September 2005 von einem Fahrzeughändler einen Gebrauchtwagen zum Preis vom € 7.900,00. Am 17. Januar 2006 verursachte der Ehemann der Klägerin einen Unfall, bei dem der Pkw erheblich beschädigt wurde. Bei der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zu diesem Unfallschaden ergab sich, dass das Fahrzeug bereits vor dem Verkauf schon einen Unfall erlitten hatte. Dieser Vorschaden war dem Händler bekannt. Die Käuferin ließ daraufhin den von ihrem Ehemann verursachten Unfallschaden – kalkulierte Reparaturkosten zwischen € 4.000,00 und € 5.000,00 – nicht reparieren und erklärte den Rücktritt vom Kaufvertrag wie auch die Vertragsanfechtung mit der Behauptung der arglistigen Täuschung durch den Fahrzeughändler. Der Händler nahm am 27. Januar 2006 das Fahrzeug im unfallbeschädigten Zustand zurück und erstattete den vollen Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Die Käuferin erwarb am 15. Februar 2006 ein Ersatzfahrzeug. In der Zeit vom 23. Januar bis 14. Februar 2006 hatte sie ein Ersatzfahrzeug gemietet. Die Mietwagen-kosten in Höhe von € 1.100,00 verlangte die Käuferin als Nutzungsausfallschaden. Die entstandenen Reparaturkosten aufgrund des selbst verschuldeten Unfalls wollte sie sich auf die Mietwagenkosten nicht anrechnen lassen. Es schloss sich ein Gang durch alle Instanzen an.Fall 2, Entscheidung des BGH vom April 2009: Eine Kundin kaufte im April 2005 als Verbraucherin von einem Händler einen Gebrauchtwagen zum Preis von € 13.100,00. Der Pkw war bei Übergabe wegen eines nicht fachgerecht beseitigten Unfallschadens an der Vorderachse nicht betriebs- und verkehrssicher. Dies war für den Händler bei normaler ordnungsgemäßer Durchsicht erkennbar. Im Oktober 2005 trat die Käuferin wegen des Mangels vom Kaufvertrag zurück und verlangte die Rückabwicklung. Die Käuferin nutzte den Pkw nach dem Rücktritt bis zum Kauf eines Ersatzfahrzeuges für 168 Tage nicht. Der Händler widersetzte sich dem Rückabwicklungsverlangen und ließ sich auf einen Prozess ein. Im Gerichtsverfahren verlangte die Käuferin unter anderem pauschal berechneten Nutzungsausfallschaden für 168 Tage in Höhe von rund € 6.000,00. RechtsprechungIm Fall 1 entschied das zuständige Landgericht Berlin in erster Instanz zugunsten der Käuferin. Es wurde ein pauschaler Nutzungsausfall zugesprochen, dieser jedoch auf einen Zeitraum von 60 Tagen begrenzt. Sowohl Käuferin wie auch Händler legten Berufung zum Kammergericht (KG) Berlin ein. Das KG war der Auffassung, dass ein Anspruch auf Nut-zungsausfall grundsätzlich nicht besteht, und wies in zweiter Instanz die Klage vollständig ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil des KG auf. Der BGH bekräftigte seine Rechtsprechung gemäß Urteil vom November 2007, wonach ein Rücktritt vom Kaufvertrag wegen eines Sachmangels dem Käufer Schadenersatzansprüche im Hinblick auf einen Nutzungsausfall nicht abschneidet. Vielmehr kann der Käufer Ersatz des Schadens verlangen, der ihm dadurch entsteht, dass er das Fahrzeug allein wegen des Mangels nicht nutzen kann. Allerdings hat der Käufer eine Schadensminderungspflicht zu beachten. Er muss innerhalb angemessener Frist ein Ersatzfahrzeug beschaffen und einen längeren Nutzungsausfall ggf. durch die Anschaffung eines Interimsfahrzeugs überbrücken. Die Problematik einer Schadensminderung hatte das KG in seinem Urteil nicht erörtert. Die Sache wurde daher zur erneuten Berufungsverhandlung zurückverwiesen.Im Fall 2 konnten Instanzgericht und Berufungsgericht keinen Anspruch auf Nutzungsausfall erkennen. Klage und Berufung der Käuferin wurden daher abgewiesen. Der BGH sah dies anders. Nach dessen Darlegungen ist es für einen Käufer aufgrund der Neuregelung des § 325 BGB möglich, vom Vertrag zurückzutreten und seine erbrachte Gegenleistung zurückzufordern, ohne den Anspruch auf Ersatz des sogenannten Erfüllungsinteresses zu verlieren. Im Rahmen des hier bestehenden Schadensersatzanspruchs ist der Käufer so zu stellen, wie er stünde, wenn der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre, der Schuldner also seine Vertragspflichten nicht verletzt hätte. Im Fall der Lieferung einer mangelhaften Sache umfasst gemäß BGH dieser Schadensersatzanspruch des Käufers typischerweise auch den Ersatz eines Nutzungsausfallschadens. Obwohl dem Grunde nach für die Käuferin ein Anspruch auf Nutzungsausfall erkannt wurde, wies der BGH die Revision dennoch zurück. Die Käuferin muss sich nämlich die durch den selbst verschuldeten Unfall des Ehemanns entstandenen und – wegen Nichtreparatur – ersparten Reparaturkosten auf den Nutzungsausfallschaden anrechnen lassen. Nach den Ausführungen des BGH hätte die Käuferin selbst dann keinen Nutzungsausfallschaden beanspruchen können, wenn ihr ein anderweitiger Unfallverursacher ersatzpflichtig gewesen wäre. In diesem Fall wäre die Käuferin verpflichtet gewesen, die Ersatzleistung, die sie aufgrund der Beschädigung des Fahrzeugs vom Unfallverursacher erhalten hätte, mit dem Nutzungsausfall zu verrechnen und einen überschießenden Teil an den Händler herauszugeben.AusblickAuf Grund der Neuregelung in § 325 BGB (Schuldrechtsreform 2002) wurde vom BGH in den beiden vorgenannten Urteilen entschieden, dass (entsprechend der vormaligen Rechtslage zur Wandlung) auch bei einem Rücktritt vom Kaufvertrag Nutzungsausfall geltend gemacht werden kann. Allerdings bleibt es dabei, dass ein Nutzungsausfallschaden, sei dieser konkret anhand von Mietwagenkosten oder nach pauschalen Tagessätzen berechnet, nur bei einem „Vertretenmüssen“ des Verkäufers verlangt werden kann. Ein solches Vertretenmüssen liegt bereits dann vor, wenn der Händler den Gebrauchtwagen keiner ordnungsgemäßen – einfachen – Durchsicht unterzieht und bei einer solchen Durchsicht ein Vorschaden hätte auffallen müssen. Will der Händler Schadensersatzansprüche des Käufers wegen eines Vorschadens eines Gebrauchtwagens vermeiden, so hat er ihn entweder darüber aufzuklären, dass er das Fahrzeug auf Unfallspuren nicht einmal in Augenschein genommen hat; oder aber der Händler hat eben eine ordnungsgemäße Überprüfung vorzunehmen.Rechtsanwalt Rainer Boppkanzlei@raehaug-partner.de Kurzfassung1. Die Bestimmungen des geltenden Kaufrechts gewähren einem Käufer bei einem Rücktritt vom Kaufvertrag einen Anspruch auf Nutzungsausfall.2. Voraussetzung für einen Anspruch auf Nutzungsausfall ist jedoch ein „Vertretenmüssen“ auf Seiten des Verkäufers; dieser muss also schuldhaft gehandelt haben.3. Der Anspruch auf Nutzungsausfall wird begrenzt durch Schadensminderungspflichten des Käufers. Dieser muss gegebenenfalls ein Interimsfahrzeug anschaffen, um den Schaden gering zu halten.4. Eine selbstverschuldete Verschlechterung des Fahrzeugs hat ein Käufer auch bei einem wirksamen Rücktritt gegenüber dem Verkäufer auszugleichen, gegebenenfalls unter Anrechnung auf einen Nutzungsausfallschaden.Kommentar< Nachvollziehbarerweise konnte wohl niemand davon ausgehen, dass der BGH vormalige Rechte von (Verbraucher-)Käufern – hier den Anspruch auf Ersatz eines Nutzungsausfallschadens – nach Einführung des neuen Schuldrechts abschaffen wollte. Schließlich beinhaltet die ins deutsche Recht umgesetzte europäische Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf durchgängig eine Besserstellung von Verbrauchern. Dass die Umgestaltung des Kaufrechts im Jahr 2002 im Einzelfall noch immer zu Verwirrungen und uneinheitlicher Rechtsprechung führt, zeigen die Beispiele im vorliegenden Beitrag. Differente Beurteilungen der Rechtslage werden sich in der Judikatur auch noch in den nächsten Jahren fortsetzen. >Recht + SteuernGW-Best- sellerMeistgesuchter Kraftstoff

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