Nachforderungs- und Erstattungszinsen: Wucherzinsen für den Fiskus?

Jeder Unternehmer kennt die Situation, dass er derzeit auf seinem Tagesgeldkonto zwischen 0,05 und 1 Prozent Zinsen erhält. Selbst beim Festgeld ist die Verzinsung nicht deutlich höher. Man muss quasi froh sein, dass man nicht noch Strafzinsen an die Bank zahlen muss, dafür, dass man ihr sein Geld überlässt. Im Gegensatz dazu verlangt der Fiskus einen Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat, folglich für ein ganzes Jahr 6 Prozent! Entscheidung des BFH Nach dem Gesetz werden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis verzinst. Ein klassischer Fall sind die Zinsen bei Aussetzung der Vollziehung (AdV-Zinsen). Diese AdV-Zinsen fallen an, wenn gegen einen Steuerbescheid z. B. Einspruch eingelegt wird und die Aussetzung der Vollziehung beantragt wird. Die Zinsen werden dabei vom Tag des Eingangs bei der Behörde bis zum Tag, an dem die Aussetzung der Vollziehung endet, erhoben. Und wenn man sich oftmals die Verfahrensdauer bei der Finanzverwaltung anschaut, dann kann so ein Zinslauf sehr teuer werden. Der Bundesfinanzhof hatte genau über so einen Fall zu entscheiden. Die Kläger hatten Einspruch gegen ihren Einkommensteuerbescheid eingelegt und Aussetzung der Vollziehung beantragt. Diese dauerte 76 Monate an. Für diesen Zeitraum setzte das Finanzamt Zinsen nach den gesetzlichen Vorgaben fest, also 38 Prozent Zinsen. Zinssatz bis März 2011 nicht verfassungswidrig Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass der gesetzliche Zinssatz für Zeiträume bis März 2011 verfassungsgemäß ist. Daher hat er davon abgesehen, dem Bundesverfassungsgericht die Regelung zur konkreten Normenkontrolle vorzulegen, was er ansonsten hätte machen müssen. Grundsätzlich steht es dem Gesetzgeber zu, bei Massenvorgängen des Wirtschaftslebens, wie z. B. dem Steuerverfahren, Typisierungs- und Vereinfachungsmaßnahmen, wie hier die typisierende Zinsfestsetzung von 0,5 Prozent, zu ergreifen. Es muss folglich keine individuelle Anpassung an den Marktzinssatz oder Basiszinssatz vorgenommen werden. Weiterhin ist nach Auffassung der Münchener Richter in dem zu entscheidenden Zeitraum 2004 bis 2011 der Unterschied von zu Vergleichszwecken heranzuziehenden Konsumentenkrediten an private Haushalte zu dem gesetzlichen Zinssatz nicht so gravierend, dass eine Verfassungswidrigkeit vorlag. So waren die Effektivzinssätze für Konsumentenkredite an private Haushalte zwischen 7,14 Prozent p. a. und 5,32 Prozent p. a. Im Vergleich dazu liegt der gesetzliche Zinssatz für ein Jahr bei 6 Prozent. Und ab März 2011? Zugleich hat der zuständige Senat aber auch klargestellt, dass sich das Marktzinsniveau für Zeiträume ab März 2011 dauerhaft auf relativ niedrigem Niveau stabilisiert habe. Ändern sich die wirtschaftlichen Verhältnisse so entscheidend gegenüber dem Zeitpunkt des Gesetzeserlasses, dann kann aber der Gesetzgeber von Verfassung wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung der Typisierung auf 0,5 Prozent monatliche Zinsen unter den veränderten Umständen noch haltbar ist. Es ist somit durchaus denkbar, dass der gesetzliche Zinssatz zukünftig für verfassungswidrig erklärt wird. Typischer Betriebsprüfungsfall Seit einigen Jahren dürfen Zinsen auf Steuernachforderungen nicht mehr steuermindernd geltend gemacht werden, während demgegenüber Zinsen auf Steuererstattungen als Einkünfte zu versteuern sind. Nach Ansicht der Verwaltung und auch der Rechtsprechung führt diese unterschiedliche Behandlung regelmäßig nicht zu einer sachlichen Unbilligkeit. Die Oberfinanzdirektion Niedersachsen hat aber klargestellt, dass es jedoch Einzelfälle gibt, bei denen die obige Regelung zu unbilligen Ergebnissen führt. Typischerweise kommt es auf Grund einer Betriebsprüfung immer wieder zu dem Fall von Erstattungs- und Nachforderungszinsen. Hierbei sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden. Fallgruppe 1: Beruhen auf ein und demselben Ereignis sowohl Erstattungsals auch Nachforderungszinsen, so sind diese zu saldieren. Wird z. B. auf Grund einer Betriebsprüfung der Warenbestand in einem Jahr erhöht, so kommt es zu einer Gewinnerhöhung und folglich zu Nachforderungszinsen. Dementsprechend kommt es aber im nächsten Jahr zu einer Erhöhung des Wareneinsatzes und folglich zu einer Gewinnminderung mit Erstattungszinsen. In diesem Fall dürfen die Erstattungszinsen mit den Nachforderungszinsen saldiert werden. Wichtig: Diese Billigkeitsmaßnahme kommt nur auf Antrag des Steuerpflichtigen in Betracht. Fallgruppe 2: Keine Saldierung käme in Betracht, wenn keine sachliche Unbilligkeit vorliegt. Dies ist nach Ansicht der Finanzverwaltung der Fall, wenn Nachforderungs- und Erstattungszinsen auf unterschiedlichen Ereignissen beruhen. So z. B. wenn bei einer Betriebsprüfung die Nutzungsdauer einer Maschine verlängert wird, folglich Gewinnerhöhung mit Nachforderungszinsen. Und im Folgejahr zusätzliche Betriebsausgaben anerkannt werden, Gewinnminderung mit Erstattungszinsen. In diesem Fall sind die Erstattungszinsen nach Meinung der Finanzverwaltung zu versteuern und die Nachforderungszinsen dürfen nicht steuermindernd angesetzt werden. Kurzfassung 1. Der gesetzliche Zinssatz für Steuernachzahlungen von 0,5 Prozent pro Monat (also 6 Prozent p. a.) ist bis zum Zeitraum März 2011 verfassungsgemäß.2. Für den Zeitraum ab März 2011 hat der Bundesfinanzhof wegen der Höhe des gesetzlichen Zinssatzes verfassungsrechtliche Bedenken.3. Grundsätzlich sind Erstattungszinsen zu versteuern und Nachforderungszinsen steuerlich unerheblich. Auf Antrag des Steuerpflichtigen ist eine Saldierung aber möglich, wenn sowohl Steuernachforderung als auch Steuererstattung auf ein und demselbem Ereignis beruhen. Kommentar Die derzeitige Zinssituation birgt erhebliche Risiken für eine Betriebsprüfung. Führt die Betriebsprüfung zu einem Mehrergebnis - und das ist fast immer der Fall -, dann kommt es für jeden vollen Monat zu Nachforderungszinsen in Höhe von 0,5 Prozent. Oftmals machen die Zinszahlungen einen großen Teil der Nachzahlungen aus. Dieses Zinsrisiko muss jedem Unternehmer klar sein. Gibt es auf Grund einer Betriebsprüfung sowohl Erstattungs- als auch Nachforderungszinsen und beruhen diese auf ein und demselben Ereignis, dann sollte der Unternehmer Antrag auf Saldierung stellen. Dabei könnte man aber im Gegensatz zur Finanzverwaltung auch der Ansicht sein, dass allein schon die Betriebsprüfung an sich das "gleiche Ereignis" darstellt, um Nachzahlungs- und Erstattungszinsen zu saldieren. Unabhängig davon sind "Nettozinsen" von 6 Prozent p. a. vergleichbar mit "Bruttozinsen" i. H. v. weit über 10 Prozent - Wucherzinsen für den Fiskus!Michael Böhlk-Lankes Rechtsanwalt Steuerberater www.raw-partner.de

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