Arbeitsrecht: Zeiterfassung 2.0

KURZFASSUNG1. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales legte am 18.04.2023 den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes vor. Es ist damit die grundsätzliche umfassende Schaffung einer Zeiterfassungspflicht für Arbeitgeber beabsichtigt. 2. Nach dem Gesetzesentwurf soll es künftig Pflicht sein, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit elektronisch aufzuzeichnen, die Aufzeichnung am Tag der Arbeitsleistung vorzunehmen und die Arbeitszeitnachweise mindestens zwei Jahre aufzubewahren. 3. Es soll auch weiterhin die Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit möglich sein. Allerdings muss der Arbeitgeber "durch geeignete Maßnahmen" sicherstellen, dass ihm Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden. 4. Der Arbeitgeber hat nach dem Entwurf den Arbeitnehmer über die aufgezeichnete Arbeitszeit zu informieren, sei dies durch Aushändigung von Ausdrucken oder Übermittlung von elektronischen Kopien, sei dies, dass der Arbeitnehmer selbst die Aufzeichnungen einsieht und Kopien fertigt. 5. Durch Tarifvertrag oder durch tarifliche Öffnungsklausel in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung kann die Zeiterfassung in nichtelektronischer Form vereinbart und die Pflicht zur taggleichen Aufzeichnung auf eine Woche verlängert werden, wie auch Arbeitnehmergruppen mit "besonderen Merkmalen der ausgeübten Tätigkeit" von der Aufzeichnungspflicht ausgenommen werden können. 6. Es soll ab Verabschiedung des Gesetzes Übergangsfristen für den Beginn der Zeiterfassungspflicht geben: Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmern fünf Jahre, Arbeitgeber mit weniger als 250 Arbeitnehmer zwei Jahre, Arbeitgeber mit mehr als 250 Arbeitnehmern 1 Jahr. Arbeitgeber mit bis zu 10 Arbeitnehmern sollen auch künftig und dauerhaft die Aufzeichnung nichtelektronisch vornehmen dürfen. Unter der Überschrift "arbeitsrechtlicher Paukenschlag" berichteten wir an gleicher Stelle (AUTOHAUS 19/2022) vom Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13.09.2022. Vorangegangen war diesem Beschluss das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14.05.2019, mit welchem festgestellt wurde, dass gemäß den europäischen Bestimmungen der EU-Arbeitszeitrichtlinie und der EU-Charta Arbeitgeber verpflichtet sind, anhand eines "Systems der Zeiterfassung" die tägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer festzuhalten. Es schloss sich die juristische Diskussion an, ob und inwieweit anhand der vorhandenen deutschen Gesetze ein diesbezüglicher Umsetzungsbedarf überhaupt besteht. Nachdem die Legislative auf das EuGH-Urteil nicht ausreichend zeitnah reagierte, war die Geduld des BAG offensichtlich erschöpft. Mit dem vorgenannten Beschluss vom 13.09.2022 stellte das BAG fest, dass in den §§ 2 und 3 ArbSchG eine gesetzliche Grundlage für die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung zu sehen ist. Am 18.04.2023 legte nunmehr das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zur näheren Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung den Referentenentwurf (RefE-ArbzG) für ein geändertes Arbeitszeitgesetz vor. Nachstehend ein Überblick über maßgebliche Änderungen: Grundsätzliche Pflicht In § 16 Abs. 2 ArbzG ist bisher lediglich geregelt, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit - also Überstunden/Mehrarbeit - aufzuzeichnen. Aus dem RefE-ArbzG soll sich nun die Pflicht ergeben, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen, die Aufzeichnung jeweils am Tag der Arbeitsleistung vorzunehmen, die Arbeitszeit elektronisch zu erfassen, die Arbeitszeitnachweise mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Der RefE-ArbzG enthält nach dem aktuellen Wortlaut keine Pflicht zur Erfassung von Pausen. Mit dem Oberbegriff der Erfassung der "Dauer" der täglichen Arbeitszeit sollten die Pausen allerdings mit umfasst sein. Die Aufzeichnung der Arbeitszeit kann nach dem RefE-ArbzG durch den Arbeitnehmer oder einen Dritten erfolgen. Hierbei bleibt der Arbeitgeber für die ordnungsgemäße Aufzeichnung verantwortlich. Der Arbeitgeber muss also die Ordnungsgemäßheit regelmäßig kontrollieren. Der RefE-ArbzG enthält keine Definition, was unter dem Begriff "Arbeitszeit" zu verstehen ist. Hier gibt es Grenzfälle, die durchaus zu Diskussionen führen werden. Elektronische Erfassung Nach den Entscheidungen des EuGH und des BAG liegt eine ausreichende Zeiterfassung vor, wenn diese objektiv, verlässlich und zugänglich ist. Damit wäre auch eine handschriftliche Aufzeichnung in Papierform denkbar. Nach dem RefE-ArbzG soll demgegenüber lediglich die elektronische Zeiterfassung möglich sein. Begründet wird dies im RefE-ArbzG damit, dass die elektronische Erfassung eine größere Gewähr für die Richtigkeit und eine leichtere Handhabung bietet. Soweit im Betrieb kein spezielles EDV-Zeiterfassungsprogramm vorhanden ist, soll beispielsweise auch eine "einfache" Tabellenkalkulation genügen. Angeboten werden auf dem Markt auch Apps für die mobile Zeiterfassung per Smartphone oder Tablet. Anzumerken ist, dass der RefE-ArbzG nicht davon spricht, dass nachträgliche Änderungen der Zeitaufzeichnung nachverfolgbar, letztlich also manipulationssicher, sein müssen. Ausnahme Vertrauensarbeitszeit Die Vertrauensarbeitszeit ist dadurch definiert, dass der Arbeitgeber auf die Festlegung von Beginn und Ende der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verzichtet. Der Arbeitgeber gibt lediglich Arbeitsziele vor und "vertraut" hierbei darauf, dass die Arbeitnehmer der vertraglichen Arbeitsverpflichtung bei eigenverantwortlicher Einteilung der Arbeitszeit nachkommen, ohne dies im Einzelnen zu überprüfen. Dem entspricht der RefE-ArbzG in § 16 Abs. 3 und Abs. 4 insofern, als dem Mitarbeiter in Vertrauensarbeitszeit gestattet ist, die Zeiterfassung eigenverantwortlich vorzunehmen, der Arbeitgeber allerdings "durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen" hat, dass ihm Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden. Welches solchermaßen geeignete Maßnahmen sein sollen, definierte der RefE-ArbzG nicht. Erkennbar ist allerdings, dass die Flexibilität der Vertrauensarbeitszeit durch die vom RefE-ArbzG geforderten sicherstellenden Maßnahmen in wohl erheblichem Maß eingeschränkt wird. Informationspflicht Bereits der EuGH hat verlangt, dass das System der Zeiterfassung für jeden Arbeitnehmer zugänglich sein muss. Der RefE-ArbzG schreibt in der Konsequenz vor, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmer auf Verlangen in geeigneter Weise über die aufgezeichnete Arbeitszeit zu informieren hat. Auf Wunsch hat er einen Ausdruck der Aufzeichnungen der Arbeitszeit auszuhändigen oder eine elektronische Kopie zu übermitteln. Der Arbeitgeber kann den Vorgaben auch dadurch entsprechen, dass die Arbeitnehmer die sie betreffenden elektronischen Aufzeichnungen selbst einsehen und Kopien fertigen können. Im Rahmen der Aufgaben des § 80 BetrVG kann auch der Betriebsrat auf Verlangen in die Arbeitszeitaufzeichnungen Einsicht nehmen. Tariföffnung In einem Tarifvertrag oder aufgrund einer tariflichen Öffnungsklausel in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung ist es nach dem RefE-ArbzG möglich, dass die Arbeitszeitaufzeichnungen in nichtelektronischer Form erfolgen, die Aufzeichnungen nicht bereits am Tag der Arbeitsleistung, spätestens allerdings innerhalb von sieben Tagen vorgenommen werden können, bestimmte Arbeitnehmergruppen mit "besonderen Merkmalen der ausgeübten Tätigkeit" von der Aufzeichnungspflicht ausgenommen werden dürfen. Die Begründung im RefE-ArbzG führt als Beispiel an Führungskräfte, herausgehobene Experten oder Wissenschaftler. Übergangsfristen Der RefE-ArbzG enthält eine nach Unternehmensgröße gestaffelte Übergangsregelung für die Einführung eines elektronischen Systems der Zeiterfassung. Grundsätzlich können Arbeitgeber bis zu einem Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes die Arbeitszeit nichtelektronisch, also auch in einer handschriftlichen Tabelle, aufzeichnen. Für Arbeitgeber mit weniger als 250 Arbeitnehmern gilt die Übergangsregelung zwei Jahre, für Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmern fünf Jahre. Arbeitgebern mit bis zu 10 Arbeitnehmern ist es dauerhaft gestattet, die Arbeitszeit in nichtelektronischer Form aufzeichnen. Rechtsanwalt Rainer Bopp kanzlei@raehaug-partner.de www. haug-partner.de KOMMENTAR Rechtsanwalt Rainer Bopp Mit dem Entwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes ist eine generelle und umfassende Arbeitszeiterfassung beabsichtigt. Ursprünglicher Ausgangspunkt ist die Entscheidung des EuGH vom 14.05.2019, welchem das BAG in seiner Entscheidung vom 13.09.2022 folgte. Es stellt sich allerdings die Frage, ob mit dem Referentenentwurf die Vorgaben des EuGH im Detail auch umgesetzt werden. Der EuGH nämlich erklärte, dass bei der Berücksichtigung der Zeiterfassung "die Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs, sogar die Eigenheiten bestimmte Unternehmen, namentlich ihre Größe" zu berücksichtigen sind. Solche Besonderheiten und Eigenheiten erscheinen im Referentenentwurf nicht ausführlich genug ausformuliert. Jedenfalls bleiben Unschärfen, die einer entsprechenden Ausfüllung bedürfen. Gegebenenfalls erfährt das Gesetz zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes bis zu seiner Verabschiedung noch gewisse Ergänzungen.

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