Mit Walrossbart und flotten Auftritten ist Dieter Zetsche als Chef des Stuttgarter Autobauers Daimler bekannt geworden. Mehr als 13 Jahre lang war er einer der wichtigsten Autobosse weltweit. Seit seinem Abgang im Jahr 2019 meidet er jedoch die großen Bühnen. "Wenn man so viele Jahre in der Öffentlichkeit stehen musste, dann ist auch mal gut", sagt Zetsche im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. "Ich ziehe meine Zufriedenheit und mein Selbstbewusstsein nicht aus der Zahl der Meter zwischen zwei Anfragen nach einem Selfie", sagt der Mann, der am 5. Mai 70 Jahre alt wird.
Mehr als 40 Jahre verbrachte der promovierte Ingenieur im Kosmos des Stuttgarter Autobauers, der bei seinem Eintritt in das Unternehmen 1976 noch Daimler-Benz hieß, dann – ein eher unglückliches Kapitel in der Konzerngeschichte – DaimlerChrysler, und heute Mercedes-Benz.
Zetsches Nachfolger, der Schwede Ola Källenius, hat den Konzern in den vergangenen Jahren neu ausgerichtet und auf Profitabilität getrimmt. Mercedes definiert sich heute als Luxusmarke – und hebt das auch gerne bei jeder Gelegenheit hervor. 14,8 Milliarden Euro verdiente das Unternehmen 2022 unter dem Strich.
"Die machen einen sehr guten Job"
"Ich bin sehr froh über das Team, das heute Mercedes-Benz führt", sagt Zetsche. "Die machen in Summe einen sehr guten Job." Die Luxusstrategie sei mit Sicherheit erfolgversprechend. "Ob sie den Erfolg auch bringt, wird die Zukunft weisen." Natürlich sei Mercedes eine Marke, die oben angesiedelt sei. "Wir haben auch in der Vergangenheit nicht versucht, uns mit den Volumenherstellern zu messen."
Zetsche gilt heute als Vorreiter einer neuen Manager-Generation. Jener ohne Krawatte, mit Turn- statt Anzugschuhen. "Irgendwann hat Zetsche es geschafft, diese Steifheit abzulegen und hat das gemacht, was heute im Grunde genommen viele Manager nachahmen", sagt der Autoexperte Stefan Reindl, Leiter des Geislinger Instituts für Automobilwirtschaft (IfA). Zetsche erklärt das so: "Wenn ich den Schlips zuziehen musste, dann habe ich mich nicht übermäßig wohlgefühlt. Dann war das weniger ich." Vielleicht sei das auch ein Grund gewesen, "warum mir das überwiegend abgenommen wurde und nicht als irgendeine PR-Masche empfunden wurde", sagt Zetsche.
Als Erfolge des Daimler-Managers nennt Reindl die Trennung von Daimler und dem US-Konzern Chrysler. Er habe dann die Produkte und das Design verjüngt. "Also auch die A-Klasse, die dann wesentlich jünger daherkam", sagt Reindl. Er habe das Unternehmen wieder zum Autobauer gemacht, der qualitativ hochwertige Premium-Fahrzeuge baut.
Zu zögerlich bei E-Mobilität und Digitalisierung?
"Angelastet wurde ihm, dass Daimler schlechter als andere deutsche Hersteller aus der Weltfinanzkrise herausgekommen ist", sagt Reindl. Dann sei der Abgas-Skandal gekommen, und es habe kartellrechtliche Bedenken gegeben. "Dass er sich zu spät der Elektromobilität und Digitalisierung gewidmet hat, ist möglicherweise ein Vorwurf, den er sich nicht zwangsläufig gefallen lassen muss", sagt der Experte. Auch die anderen deutschen Hersteller hätten angesichts der damals fehlenden Absatzmärkte für Elektroautos zögerlich agiert.
"Das war dann eine Gemengelage, die dazu geführt hat, dass man ihm das alles ankreiden wollte und ihn als rückwärts gerichtet dargestellt hat", sagt Reindl. "Das mag rückblickend zu Teilen stimmen, aber ich glaube, dass gerade Zetsche immer relativ offen für neue Entwicklungen war."
Aus dem Plan, nach einer Abkühlungsphase von zwei Jahren den Vorsitz des Aufsichtsrats von Daimler zu übernehmen, wurde nach Kritik von Aktionärsvertretern nichts. Zetsche entschied sich dagegen. "Das war eine bewusste Entscheidung, und im Nachhinein muss ich sagen, bin ich sehr froh darüber."
Ex-Betriebsratschef lobt kulturelle Entspannung
"Aus Sicht der Belegschaft hat er die Herausforderungen unter dem Strich gut gemeistert", sagt Michael Brecht, der zwischen 2014 und 2021 Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von Daimler war. "Er hat auf jeden Fall für eine kulturelle Entspannung im Unternehmen gesorgt. Dazu zähle ich auch das Verhältnis zur Arbeitnehmervertretung." Die Marke habe unter seiner Führung wieder an Strahlkraft gewonnen. Daimler sei sicherlich etwas später als andere in die E-Mobilität eingestiegen. Rückblickend sei das aber nicht schlecht gewesen, heute sei das Unternehmen gut dabei. "Da ist er zu Unrecht kritisiert worden", sagt Brecht.
Ende April dieses Jahres gab sich Zetsche zufrieden: "Mir geht es rundherum prima." Er erzählt von seinem Engagement für eine Organisation, die sich für den Erhalt der Biodiversität in Afrika einsetze. Beim Reisekonzern Tui ist er Aufsichtsratsvorsitzender. Auch beim Flugtaxi-Hersteller Volocopter und bei Aldi Süd ist seine Expertise gefragt. Zudem ist er als Investor tätig.
Ansonsten mache er nichts Spektakuläres, er verbringe gerne Zeit mit seiner Familie, laufe gerne und habe Spaß in der Natur. Er schaue nach wie vor die Rennen im Motorsport und drücke dem VfB Stuttgart weiter die Daumen – das habe sich nicht verändert.
Optisch hat Zetsche sich durchaus verändert. Zum markanten Schnauzer hat sich ein Vollbart gesellt. In der Familie scheint das gut anzukommen: "Meine Frau hat mir untersagt, den Bart wieder abzurasieren."