Von den Manipulationen bei Abgasmessungen an Dieselwagen bei Volkswagen sind 2,8 Millionen Fahrzeuge in Deutschland betroffen. Das sagte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am Freitag im Deutschen Bundestag. Nach aktueller Kenntnis seien dies Fahrzeuge mit 1,6- und 2,0-Liter-Dieselmotoren. Es stehe aber auch zur Diskussion, dass zusätzlich 1,2-Liter-Modelle betroffen seien. "Zumindest aktuell gehen wir davon aus, dass sich auch hier mögliche Manipulationen zeigen können", sagte Dobrindt. Weiteres werde gerade in den Gesprächen mit VW ermittelt. Die Zahl der manipulierten Fahrzeuge könnte sich dadurch also noch einmal erhöhen. Eine genaue Liste der betroffenen Automodelle gibt es bislang nicht.
Den deutschen VW-Kunden sicherte Dobrindt vollste Wahrung ihrer Interessen zu. Er sagte, das Kraftfahrt-Bundesamt fordere VW auf, "verbindlich zu erklären, ob sich das Unternehmen in der Lage sieht, die eingestandenen technischen Manipulationen zu beheben". "Wir erwarten einen verbindlichen Zeitplan, bis wann die technische Lösung vorliegt und bis wann sie umgesetzt werden kann." Dabei müssten die Verbraucherinteressen "vollumfänglich berücksichtigt werden".
Dobrindt machte die Zusage: "Wir achten darauf, dass sowohl die Aufklärung als auch die Transparenz als auch die Schadensbehebung als auch die vollumfängliche Berücksichtigung der Kundeninteressen auch so stattfindet. Und ich habe keinen Zweifel gegenüber Volkswagen daran gelassen, dass wir dies ständig aufmerksam begleiten werden und nicht nachlassen, bis der ganze Fall aufgeklärt ist." Keine einzige Maßnahme dürfe zulasten der Kunden gehen.
Volkswagen hatte bereits Manipulationen an rund elf Millionen Fahrzeugen weltweit eingeräumt. Seit Donnerstag war bekannt, dass im Einzelnen auch der europäische Markt betroffen ist. Darunter sind neben Modellen der Kernmarke VW auch Fahrzeuge der Töchter Audi, Skoda und Seat. Am Freitag bestätigte Dobrindt auch leichte VW-Nutzfahrzeuge. Die verbaute Software ("Defeat Device") sorgt dafür, dass die Autos nur auf dem Prüfstand die gesetzlichen Grenzwerte beim Stickoxid-Ausstoß einhalten, im Betrieb auf der Straße aber nicht.
Grünen im Angriffsmodus
Dobrindt verwahrte sich in der von den Grünen beantragten Aktuellen Stunde erneut gegen den Vorwurf, die Bundesregierung habe von diesen Überschreitungen gewusst. Eine Vermischung mit der EU-Debatte über zuverlässigere Tests durch Messungen direkt im Auto sei "eindeutig unzulässig". Dobrindt stellte klar: "Wir arbeiten daran, dass die Bedingungen der Tests verbessert werden, und wir lassen keinen Zweifel daran, dass unzulässige Manipulationen nicht stattfinden dürfen - zumindest dürfen sie nicht ungestraft stattfinden."
Auch bei der Autoindustrie lassen die Grünen nicht locker. Sie verlangen von der deutschen Herstellern eine umfassende Offenlegung von Verbrauchs- und Abgaswerten. In einem Brief an den Präsidenten des Branchenverbands VDA, Matthias Wissmann, fordert Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter angesichts des Abgas-Skandals eine "umfassende Transparenzoffensive". Nur Offenheit könne den Schaden für die Branche begrenzen. "Aus diesem Grund müssen die deutschen Autokonzerne dringend sämtliche Informationen zum Stickoxid-Ausstoß der in Deutschland gebauten Diesel-Modelle offenlegen", heißt es in dem am Freitag verbreiteten Brief.
Wissmann warnte am Freitag auf der IAA davor, die ganze Branche "wegen des Fehlverhaltens Einzelner" an den Pranger zu stellen: "Pauschalurteile über VW und seine 600.000 Mitarbeiter weltweit, gar über die ganze Automobilindustrie oder über 'Made in Germany' sind unangemessen." Gleichzeitig betonte der Hersteller-Sprecher, dass Fahrzeuge auf der Straße automatisch andere Abgaswerte aufweisen als im Prüfzyklus: "Unterschiede sind physikalisch bedingt, und sie sind rechtmäßig." Auf der Straße herrschten nun mal keine Laborbedingungen. Trotzdem hätten die Unternehmen inzwischen eine moderne Diesel-Technologie entwickelt, die zu "niedrigsten Schadstoffemissionen" führe.
Großbritannien testet Abgaswerte erneut
Das britische Verkehrsministerium hat unterdessen angekündigt, Autos erneut zu testen. "Wo es nötig sei", würden Tests im Labor wiederholt und die Ergebnisse mit tatsächlichen Emissionen verglichen, sagte Verkehrsminister Patrick McLoughlin am Donnerstag in London. Die Regierung nehme die "inakzeptable Vorgehensweise" bei Europas größtem Autobauer "extrem ernst". Großbritannien fordere, europaweit zu untersuchen, welche Autos betroffen seien, sagte McLoughlin. Die britische Zulassungsbehörde arbeite mit Autoherstellern zusammen, um sicherzugehen, dass das Problem nicht branchenweit bestehe.
Die französische Regierung will die Abgaswerte von zufällig ausgewählten Fahrzeugen testen. Damit soll das tatsächliche Verhalten der Autos gecheckt werden, wie das Umweltministerium am Freitag in Paris mitteilte. Dies sei Konsequenz eines Treffen von Ministerin Ségolène Royal mit Vertretern von Automobilherstellern. Die Testergebnisse von 100 Autos unter realen Straßenbedingungen sollten mit Laborwerten verglichen werden. Gleichzeitig machte sich Royal für die Entwicklung eines europäischen Testsystems stark.
Auch das litauische Umweltministerium kündigte eine Untersuchung an. Es soll herausgefunden werden, wie viele betroffene Fahrzeuge es in dem baltischen Land gibt und welche Umweltschäden entstanden sind, sagte Umweltminister Kestutis Treciokas am Freitag in Vilnius. Das Ergebnis der Untersuchung soll in spätestens zehn Tagen feststehen. Treciokas geht allerdings nicht davon aus, dass die Zahl der Autos mit der in die Kritik geratenen Software zur Manipulierung des Schadstoffausstoßes in Litauen besonders groß sein wird. "In Litauen werden nicht viele Neuwagen gekauft, daher sollten es nicht viele sein. Auf jeden Fall aber werden wir versuchen, die Situation aufzuklären", betonte er.
Auch Indien springt auf den Zug auf
Die indischen Behörden haben ebenfalls eine Untersuchung der Fahrzeuge des deutschen Herstellers eingeleitet. In Indien gilt die Abgasnorm Euro 4, in Deutschland etwa gilt die strengere Norm Euro 6 für alle Neufahrzeuge. Die Automotive Research Association ARAI sei mit den Tests der Software und der Abgase beauftragt worden, sagte ein Sprecher des Schwerindustrieministeriums . Das dauere eine Woche. Würden indische Normen verletzt, werde reagiert. Ein Sprecher von Volkswagen in Indien wollte sich zunächst nicht äußern. Volkswagen verkaufte in diesem Jahr bislang 32.152 Fahrzeuge in dem aufstrebenden Schwellenland. (dpa)
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