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Fahrtest Kia EV9: Koreas grüner Koloss

10.11.2023 06:00 Uhr | Lesezeit: 4 min
Der EV9 ist Kias neues SUV-Flaggschiff.
© Foto: Kia

Der EV9 lieferte Argumente für die Gattung SUV, die bis dato weniger im Fokus standen. Platz wie im Bus beispielsweise.

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Unter den etablierten Herstellern zählt Kia zu den Pionieren der E-Mobilität. Schon früh sammelte die Marke mit dem E-Soul erste Erfahrungen mit Batteriefahrzeugen. Doch wie viele Wettbewerber auch konzentrierte sich die koreanische Marke zunächst auf die beliebtesten Fahrzeugklassen. Nun kommt Bewegung ins Spiel. Der Kia EV9 setzt zu Preisen ab 74.500 Euro eine beeindruckende Duftmarke und kommende SUV-Wettbewerber wie Hyundai Ioniq 7, Range Rover EV und Volvo EX90 unter Druck.  

Das massige, fünf Meter lange und 1,75 Meter hohe SUV ist das neue Flaggschiff der Marke, ausgestattet mit einer neuen Batteriegeneration und leistungsstarker Ladetechnik. Als familiengerechtes Elektroauto soll es nicht nur genauso erfolgreich werden, wie seine kleineren Markenschwestern EV6 oder Niro. Der EV9 steht auch für die Neuausrichtung der Marke, bei der in jedem neuen Modell mehr recycelte oder nachhaltig produzierte Materialien verwendet werden. Leder zum Beispiel gehört der Vergangenheit an. Ein SUV fürs grüne Gewissen also?

Beim Anblick des Dickschiffs keimen Zweifel auf. Man muss kein grüner Ideologe sein, um sich am EV9 zu stoßen. So ein Fahrzeug beansprucht mindestens zehn Quadratmeter Grundfläche allein für sich und mit seinem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,24 Tonnen darf er gerade noch mit einem normalen Führerschein gefahren werden. Dimensionen, die zunehmend unsere Infrastrukturen überlasten. Dem neuen Kia-Designstil ist es zu verdanken, dass man sich dennoch nicht schockiert abwendet. Moderne Kantenform, große Karosserieflächen sowie ein Verzicht auf verklüftete Elemente verleihen dem Modell eine moderne und schlichte Anmutung. Das ansprechende Produktdesign setzt sich auch im Innenraum fort, wo wertige Materialien und harmonische Linien das Gemüt beruhigen.



Ein wesentliches Merkmal des koreanischen SUV, der immer mit drei Sitzreihen geliefert wird, ist sein variabler Fond. Reihe zwei ist dabei entweder mit einer Dreiersitzbank oder mit zwei drehbaren Einzelsitzen bestückt, was beispielsweise die Montage von Kinderschalen erleichtert. Dank der integrierten Gurte ist auch Sitzen entgegen der Fahrtrichtung möglich. Das ist mehr als bloße Spielerei, denn anders als bei vielen großen SUV wird der lange Radstand von 3,10 Metern gut ausgenutzt. Als Gipfel des Komforts gibt es optional sogenannte Relaxationsitze. Diese lassen sich zwar nicht drehen, aber bis in eine Liegeposition bringen und erinnern so an feudale Businessclass-Plätze im Flieger. Darüber hinaus ist der Fond vollgepackt mit Komfortmerkmalen wie Steckdosen, Ablagefächern, Lüftungsdüsen und Bedienelementen.  

Wenn alle drei Sitzreihen aufgestellt sind, bietet der Kofferraum des EV9 ca. 330 Liter – etwas mehr als ein Opel Corsa Electric. Sollte das für den Wocheneinkauf nicht ausreichen, lässt sich eine enorme Ladefläche mit bis zu 2.393 Litern ebnen. Als wäre das nicht schon genug, gibt es unter der Motorhaube auch noch einen 90 Liter fassenden Frunk, der beim 4x4 wegen das zweiten E-Antriebs vorn auf 52 Liter schrumpft.



Wie sein kleineres Schwestermodell basiert der EV9 auf der speziellen EV-Plattform (E-GMP) und teilt sich folglich viele Komponenten des Hyundai-Konzerns, darunter die Mehrlenkeraufhängung und Elemente des Antriebsstrangs. Die Akkutechnik wurde gegenüber dem seit 2022 auf dem Markt befindlichen Kompakt-SUV EV6 optimiert und weist eine um 8,5% gesteigerte Energiedichte auf. Damit speichert die Batterie des EV9 fast 100 Kilowattstunden Strom, wiegt allerdings satte 570 Kilogramm.  

Dank leistungsstarker 800-Volt-Ladetechnik ist der Kia auch ein Kandidat für lange Fahrten bei höherem Reisetempo. Vorausgesetzt man zapft den Strom mit bis zu 210 kW an Ultra-Schnelllade-Säulen. Wenn der Strom zur Neige gehen, nimmt das Fahrzeug in einer Viertelstunde Energie für rund 250 Kilometer auf. Mit Hilfe der Plug-and-Charge-Funktion gestalten sich die Ladestopps bei den Anbietern Ionity oder Aral Pulse zudem nun etwas komfortabler. Sofern die Kontodaten im Bordcomputer hinterlegt sind, beginnt der Ladevorgang automatisch sobald das Kabel mit dem Fahrzeug verbunden. Eine Freischaltung per App oder Ladekarte ist nicht mehr erforderlich.


Kia Niro EV Test (2023)

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Drei Varianten mit Heck- oder Allradantrieb, maximalen Leistungswerten von bis zu 283 kW/385 PS und in der vollausgestatteten GT-Line bis zu 700 Nm Drehmoment stehen zur Wahl. Mit vollem Akku soll das EV9-Basismodell bis zu 563 Kilometer weit kommen, der Allrad bis zu 512 Kilometer weit. Auf unserer Testfahrt über Land verbrauchte der 4x4 sparsame 20 kWh je 100 Kilometer, blieb damit unter dem ausgewiesenen Normverbrauch (22,3 kWh/100 km) – für einen Dreitonner verblüffend sparsam. Das gelingt auch dank der mehrstufigen regenerativen Bremsen, deren Intensität über Lenkradwippen variiert werden und die Bewegungsenergie als elektrischen Strom zurück in den Speicher pumpt.  

Außerorts bewegt sich der EV9 vergleichsweise leichtgängig und reaktionsschnell, dank Lärmschutzglas zudem flüsterleise. Doch die Physik überlisten kann auch Kia nicht. Trotz straffen Fahrwerks mit selbstnivellierenden Dämpfern an der Hinterachse kann der EV9 seine Pfunde auf kurvenreichen Strecken nicht verheimlichen. Und in der Stadt wird das Handling des Kolosses mit einem Wendekreis auf Lkw-Niveau und unübersichtlichen Überhängen zur schweißtreibenden Übung. Spätestens jetzt freut man sich über die vielen Kameras an Bord, die den Kia samt Umfeld aus unzähligen Blickwinkeln zeigen.

Kolossal auch der Preis: Der EV9 ist deutlich teurer als andere Kia-Modelle, kostet mindestens 72.490 Euro und schrammt vollausgestattet an die 90.000 Euro-Grenze. Doch die lange Elektroerfahrung der Marke zahlt sich aus. Wer das Geld bei Kia auf den Tisch legt, erhält nicht nur einen praktischen Familienwagen mit Platz für sechs oder sieben. Der große EV ist vollgepackt mit Hightech und nimmt dank seines überzeugenden E-Antriebs EV-Skeptikern und SUV-Kritikern gleichermaßen den Wind aus den Segeln.


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