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Wissing: CO2-Einsparungen erreicht man nicht mit Tempolimit

12.04.2024 09:48 Uhr | Lesezeit: 4 min
Volker Wissing
Im Rahmen der Reform des Klimaschutzgesetzes warnt Minister Volker Wissing vor Einschränkungen für Autofahrer - wie etwa Fahrverbote am Wochenende. 
© Foto: Bundesregierung/Jesco Denzel

Die Beratungen über einen geänderten Mechanismus für die Klimaziele ziehen sich hin. Da droht der Verkehrsminister mit dem Reizwort Fahrverbote - bringt das Szenario jetzt Bewegung?

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In der Ampel-Koalition bricht der Streit über den Klimaschutz wieder voll auf. SPD und Grüne wiesen Drohungen von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) mit möglichen Auto-Fahrverboten zur Senkung klimaschädlicher Emissionen im Verkehrssektor am Freitag scharf zurück. Das Ministerium machte deutlich, dass dieses Szenario abgewendet werden solle, indem eine geplante Reform des Klimaschutzgesetzes im Bundestag rasch beschlossen wird. Die FDP verlangte von den Grünen, eine "Blockade" der Pläne aufzugeben. Umweltverbände reagierten empört auf Wissings Vorstoß und forderten mehr Klimaschutz im Verkehr

Der Minister hatte in einem Brief an die Vorsitzenden der Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP vor drastischen Einschnitten für Autofahrer bis hin zu Fahrverboten an Wochenenden gewarnt, falls die Koalition sich nicht bald auf die Reform einigt. Wenn die schon vor neun Monaten vom Kabinett auf den Weg gebrachte Novelle vor dem 15. Juli nicht in Kraft sei, müsse das Ministerium nach der bisherigen Rechtslage ein Sofortprogramm mit restriktiven Maßnahmen vorlegen. Die Gesetzespläne zielen darauf, dass die Einhaltung der Klimaziele künftig nicht mehr rückwirkend nach einzelnen Sektoren kontrolliert werden soll - sondern in die Zukunft gerichtet, über mehrere Jahre betrachtet und sektorenübergreifend. 

Szenario soll mit "allen Mitteln verhindert werden"

Wissing sagte im Deutschlandfunk, die Sektorbetrachtung im geltenden Gesetz führte dazu, dass 22 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente sofort eingespart werden müssten. Dies sei mit einem Tempolimit oder sonstigen Maßnahmen nicht zu erreichen, sondern ad hoc nur mit einem Verzicht auf Auto und Lkw. Das Ressort machte keine Angaben dazu, wie die in dem Ministerschreiben aufgeworfenen "flächendeckenden und unbefristeten Fahrverbote an Samstagen und Sonntagen" konkret aussehen und durchgesetzt werden könnten. Ziel sei, dieses Szenario mit allen Mitteln zu verhindern, sagte ein Sprecher. Dies sei auch keine Drohung, sondern ein dringender Appell an das Parlament, die Novelle zügig zu beschließen.

FDP-Fraktionsvize Carina Konrad sagte, das noch geltende planwirtschaftliche Gesetz mit unrealistischen, starren Sektorzielen drohe das Land zu fesseln. "Wenn sich die Grünen nun der bereits im Koalitionsausschuss vereinbarten Novelle des Gesetzes widersetzen, nehmen sie Millionen Bürger in Geiselhaft, die am Wochenende ihre Freunde und Familie besuchen, einen Ausflug machen wollen oder schlichtweg zur Arbeit müssen." FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte dem Portal "t-online": "Die Grünen müssen ihre Blockade bei der Reform des Klimaschutzgesetzes endlich aufgeben."

"Endlich sinnvolle Vorschläge für mehr Klimaschutz im Verkehrssektor" nötig

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagte: "Es ist nicht verantwortungsvoll für einen Minister, unbegründete Ängste zu schüren." Stattdessen sollte Wissing seine Aufgabe wahrnehmen und endlich sinnvolle Vorschläge für mehr Klimaschutz im Verkehrssektor machen. "Maßnahmen gibt es ja genug." Kritik an Wissings Vorstoß kam auch von der SPD. Fraktionsvize Detlef Müller sagte: "Panikmache durch abwegige Vorschläge helfen dem Klimaschutz im Verkehrsbereich überhaupt nicht, im Gegenteil." Die SPD-Fraktion lehne Fahrverbote für Pkw und Lkw ab. Solche Manöver brächten die laufenden Beratungen im Bundestag über das Gesetz schwerlich voran.

Der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner wies auf den gemeinsamen Beschluss aller Koalitionspartner im Kabinett hin. Der Entwurf sei nun im parlamentarischen Verfahren, und man erwarte und hoffe, dass dies jetzt zeitig umgesetzt werde. Das Kabinett hatte den Entwurf im Juni beschlossen, die erste Lesung im Bundestag war im September.

Wissings "Horrorszenarien"

Umweltverbände warnen, mit den Plänen würden Sektorenziele und die Verantwortlichkeit der Ministerien wie des Verkehrsressorts aufgeweicht. Greenpeace-Mobilitätsexpertin Clara Thompson kritisierte: "Zwei Jahre hat Wissing damit vergeudet, jede Klimaschutzmaßnahme im Straßenverkehr zu blockieren - jetzt malt er Horrorszenarien an die Wand, um auch in Zukunft nichts tun zu müssen." Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) nannte Wissings Vorgehen schäbig. "Es passt ins Bild, dass ausgerechnet der Minister, der jede noch so einfach umzusetzende Maßnahme wie ein Tempolimit auf Autobahnen blockiert, jetzt mit den Ängsten der Menschen spielt", sagte Verkehrsexperte Jens Hilgenberg der dpa.

Im Klimaschutzgesetz sind die deutschen Klimaziele verbindlich geregelt. Es sieht vor, dass Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden. Für einzelne Sektoren wie Industrie, Energie, Verkehr und Gebäude wurden zulässige Jahresmengen festgelegt. Bisher gilt: Wenn Sektoren Vorgaben verfehlen, müssen die zuständigen Ministerien mit Sofortprogrammen nachsteuern - um die Einhaltung der Emissionsmengen sicherzustellen. Künftig soll die Regierung als Ganzes entscheiden, in welchem Sektor mit welchen Maßnahmen die zulässige CO2-Gesamtmenge bis 2030 erreicht werden soll - aber erst, wenn es zwei Jahre in Folge zu einer Zielverfehlung kommt.

Wissing unterstrich im Deutschlandfunk, ein Tag Fahrverbot am Wochenende würde nur etwa die Hälfte der nötigen Einsparverpflichtungen bringen, "so dass wir also zwei Tage pro Woche dauerhaft und unbefristet verzichten müssten" auf Auto und Lkw. "Diejenigen wie Greenpeace und die Grünen, die immer sagen, das Klimaschutzgesetz muss aber so bleiben, wie es ist, die mögen jetzt erschrocken sein von den Konsequenzen ihrer Politik, aber man kann sich der Realität nicht einfach entziehen", sagte der Verkehrsminister. Das Klimaschutzgesetz sei "einfach schlecht gemacht" und führe dazu, "dass wir Maßnahmen ergreifen müssen, obwohl sie zur Erreichung der Klimaschutzziele nicht erforderlich sind".

Grünen-Fraktionsvize Verlinden hielt dagegen, das aktuell geltende Recht verlange von Wissing lediglich, "ein Klimaschutzprogramm vorzulegen, in dem sinnvolle Vorschläge enthalten sind, die zu mehr Klimaschutz im Verkehrssektor führen". Es gebe viele unterschiedliche Möglichkeiten, "wie etwa ein Tempolimit". Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen lehnen Wissing und die FDP strikt ab.

Wissing macht mit seinem Vorstoß Druck während laufender Verhandlungen der Ampel-Fraktionen über eine Reform des Klimaschutzgesetzes. Bei den Verhandlungen ist dem Vernehmen nach strittig, welche Verantwortlichkeiten Ressorts künftig noch haben, falls Zielvorgaben bei der CO2-Einsparung verfehlt werden - wie im Verkehrssektor.

Worum es geht

Im Klimaschutzgesetz sind die deutschen Klimaziele verbindlich geregelt. Es sieht vor, dass die Emissionen von klimaschädlichen Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Für einzelne Sektoren wie Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Gebäude wurden zulässige Jahresemissionsmengen festgelegt. Kernpunkt ist bisher folgender Mechanismus: Wenn Sektoren Vorgaben verfehlen, müssen die zuständigen Ressorts der Bundesregierung in Form von Sofortprogrammen nachsteuern - um die Einhaltung der Emissionsmengen sicherzustellen.

Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll die Einhaltung der Klimaziele künftig nicht mehr rückwirkend nach den verschiedenen Sektoren kontrolliert werden - sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Die Bundesregierung als Ganzes soll künftig entscheiden, in welchem Sektor und mit welchen Maßnahmen die zulässige CO2-Gesamtmenge bis 2030 erreicht werden soll - allerdings erst, wenn es zwei Jahre in Folge zu einer Zielverfehlung kommt. Vorgaben zur Emissionsminderung in den einzelnen konkreten Sektoren sollen damit abgeschafft werden. Vor allem die FDP dringt auf eine Reform des Gesetzes, die Teil des Koalitionsvertrags ist.

ZDK: "Neufassung längst überfällig"

Arne Joswig, Präsident des Deutschen Kfz-Gewerbes (ZDK), sagte mit Blick auf die aktuelle Diskussion:  "Klimaschutz ist universell und kennt keine Sektorgrenzen. Die Neufassung des Klimaschutzgesetzes (KSG) ist längst überfällig, da gerade bei knapper Kassenlage zuerst die kosteneffizientesten Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die zur Zielerreichung erforderlichen CO2-Emissionsreduktionen wirtschaftlich sinnvoll einzuleiten. Das trägt erheblich zur Akzeptanz des Klimaschutzes bei."

Nach Einschätzung von Joswig sorgt die Gesetzesnovelle für mehr Effizienz beim Klimaschutz und für mehr Planungssicherheit für Investoren und Unternehmen. "Die Klimaziele werden auf Basis dieses Gesetzes in Zukunft nach volkswirtschaftlicher Effizienz und nicht nach ideologisch gesetzten Sektorzielen erreicht." Der Verbandspräsident betonte aber auch, dass die Verantwortung des Verkehrssektors dadurch nicht geschmälert werde. Neben dem Hochlauf der Elektromobilität seien auch alternative Kraftstoffe mit geringeren Emissionen, wie HVO100, oder auch CO2-neutrale Kraftstoffe, wie E-Fuels und Biokraftstoffe, unerlässlich, um die CO2-Emissionen des Verkehrssektors effizient und in kurzer Zeit zu reduzieren.

Verkehrssektor verfehlt Klimaziele

Im Jahr 2023 wurden nach Angaben des Umweltbundesamts in Deutschland 10,1 Prozent weniger klimaschädliche Treibhausgase emittiert als 2022. So gab es im Sektor Energie deutliche Rückgänge, das Umweltbundesamt begründete dies mit einem geringeren Einsatz fossiler Brennstoffe zur Erzeugung von Strom und Wärme. Insbesondere der Verkehrssektor müsse beim Klimaschutz aber nachsteuern, so die Behörde. Er verfehle seine Klimaziele erneut deutlich. Die Daten werden von einem Expertenrat für Klimafragen bewertet. Dieser Bericht wird am kommenden Montag vorgelegt.

Das geltende Klimaschutzgesetz sieht vor: Weisen die Emissionsdaten eine Überschreitung der zulässigen Jahresemissionsmenge für einen Sektor aus, so legt das zuständige Bundesministerium innerhalb von drei Monaten nach der Bewertung durch den Expertenrat ein Sofortprogramm für den jeweiligen Sektor vor. Darauf ging Wissing in seinem Schreiben ein: Sofern das novellierte Klimaschutzgesetz nicht vor dem 15. Juli in Kraft trete, sei das Ministerium nach dem geltenden Gesetz verpflichtet, ein Sofortprogramm vorzulegen - dann kommt die Warnung vor flächendeckenden und unbefristeten Fahrverbote am Wochenende. Darunter würden nicht nur Bürger leiden, auch Lieferketten könnten nachhaltig gestört werden, da eine kurzfristige Verlagerung des Transports von der Straße auf die Schiene unrealistisch sei, schrieb Wissing.

Seine Warnung weckt Erinnerungen an die sogenannten autofreien Sonntage während der Ölkrise: Nachdem arabische Staaten ihre Ölproduktion 1973 vor dem Hintergrund des Jom-Kippur-Kriegs verknappt hatten, wurden an vier Sonntagen Fahrverbote in der Bundesrepublik verhängt.


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KOMMENTARE


Rudi S.

12.04.2024 - 15:36 Uhr

Da hätte er in der Schule vielleicht etwas besser zuhören sollen. Erhöhter Verbrauch - erhöhter Ausstoß. In München wird das auf jeden Fall von den Grünen so behauptet, deshalb sperrt man Diesel innerhalb und auf dem mittleren Ring aus. Wegen weniger mg Schadstoffen. Und beim Autobahn Tempolimit geht´s ja nur um 7 Mio. Tonnen CO².


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