Während die Zahl der Verkehrstoten weiterhin zurückgeht, nehmen trotz Fahrerassistenzsystemen die Unfälle mit Blechschäden wieder zu. Was Reparaturbetriebe freuen dürfte, sehen Überwachungsorganisationen wie DEKRA mit Besorgnis: Sie haben die zunehmende Ablenkung am Steuer als eine der Hauptursachen für diese Entwicklung ausgemacht. Wer ein Handy besitzt, benutzt dieses laut einer aktuellen Forsa-Umfrage regelmäßig – auch am Steuer. 55 Prozent der Verkehrsteilnehmer schreiben unterwegs SMS, nutzen soziale Netzwerke oder telefonieren ohne Freisprecheinrichtung. Rund sieben Prozent – also ca. jeder vierzehnte Fahrer! – sind laut Erkenntnissen der DEKRA Unfallforschung zu jedem beliebigen Zeitpunkt unaufmerksam.
Handy tödlicher als Alkohol
Im Mai 2017 waren die Teams fast bundesweit unterwegs und beobachteten 15.000 Pkw-Fahrer. Mit Abstand war die Smartphone-Nutzung (7%) häufigste Ablenkungsart, innerorts wird mit 7,1% öfter zum Handy gegriffen als auf der Landstraße (6,7%) oder gar der Autobahn (5,8%). Wie gefährlich das schon bei 30 km/h sein kann, demonstrierte die DEKRA auf einem Verkehrsübungsplatz: Probanden sollten durch einen Parcours fahren und nebenher Smartphone-Nachrichten schreiben. Eine Eyetracking-Brille verfolgte ihre Augenbewegungen per Kamera.
Im Ergebnis reagierten viele der Fahrer überhaupt nicht auf einen Ball, der plötzlich über die Straße rollte – ohne das im realen Leben oft folgende Kind. Auch rote Ampelsignale wurden von mehreren Probanden überfahren – typische Fahrfehler aufgrund von Ablenkung, die schwere Unfälle verursachen können. Studien und Schätzungen aus Deutschland und den USA gehen deshalb mittlerweile davon aus, dass jeder zehnte Todesfall im Verkehr durch Ablenkung am Steuer verursacht wird. Hierzulande entspricht dies 320 getöteten Menschen pro Jahr – deutlich mehr, als etwa bei Alkoholunfällen ums Leben kommen (225 Opfer 2016).
Blind für die Umwelt
Grund dafür ist die sogenannte "Inattentional Blindness", also Blindheit durch Unaufmerksamkeit: Laut Psychologen fokussiert sich der Fahrer so auf sein Smartphone, dass Umgebungsreize und Hinweise auf mögliche Gefahren komplett ausgeblendet werden, teils mit verheerenden Folgen. Wer bei 50 km/h drei Sekunden auf sein Telefon schaut, legt 42 Meter im Blindflug zurück, bei fünf Sekunden sind es schon 70. Vor allem jüngere Autofahrer sind deutlich zu risikobereit: 85 Prozent der 18- bis 29-jährigen nutzen ihr Smartphone am Steuer. Doch auch in der Altersgruppe von 30 bis 44 hantieren mehr als drei Viertel (77%) hin und wieder mit ihrem Telefon, auch bei den 45- bis 59-jährigen ist es die Mehrheit (54%). Selbst ein Drittel der Senioren über 60 Jahre gibt zu, hin und wieder durch iPhone & Co. abgelenkt zu sein (34%).
Häufigster Grund für die Handynutzung sind eingehende SMS oder WhatsApp-Nachrichten, die von 34% während der Fahrt gelesen werden, jeder Fünfte tippt postwendend eine Antwort. 25% der Autofahrer nehmen eingehende Anrufe ohne Freisprecheinrichtung an, 16% telefonieren selbst. Seltener sind die Nutzung sozialer Netzwerke (6%) oder das Spielen am Handy (3%). Das Problem betrifft übrigens nicht nur Autofahrer: 17% aller Fußgänger in sechs europäischen Hauptstädten sind beim Überqueren der Straße durch Nutzung ihres Handies abgelenkt.
Kontrollen verschärfen
Erwischt werden dabei die wenigsten: Nur vier Prozent der Befragten gaben an, schon einmal wegen Smartphone-Nutzung am Steuer von der Polizei kontrolliert oder angehalten worden zu sein. 2015 wurden 363.000 Handyverstöße an das Flensburger Fahreignungsregister gemeldet, die Dunkelziffer dürfte in die Millionen gehen. Helfen können also wohl nur flächendeckendere Kontrollen und höhere Strafen. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern waren bislang 60 Euro Bußgeld und ein Punkt in der Verkehrssünderdatei relativ milde. Belgien, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Norwegen, Portugal, Schweden und Slowenien kassieren teils deutlich mehr als 100 Euro, Spitzenreiter sind Estland, Dänemark, die Niederlande und Spanien mit 200 Euro Bußgeld und mehr.
In Deutschland ist allerdings vor kurzem die Anhebung auf 100 Euro vom Bundesrat beschlossen worden. Entsteht durch das Hantieren mit dem Handy am Steuer ein Unfall mit Sachbeschädigung, drohen künftig 200 Euro, zwei Punkte sowie ein Monat Fahrverbot.
Handynutzung kein Kavaliersdelikt
DEKRA-Vorstandsmitglied Clemens Klinke sieht einen viel zu leichtfertigen Umgang mit dem High Tech-Thema: "Sicherheitsgurt und Anschnallpflicht, Airbag, ABS und ESP bis hin zu besserer Straßenplanung und verbessertem Rettungswesen haben die Sicherheit hierzulande in den vergangenen Jahrzehnten deutlich steigern können. Das wachsende Problem der Ablenkung am Steuer droht den erfreulichen Trend bei den Verkehrstoten aufzuhalten oder sogar umzukehren."
Notwendig sei ein ganzheitliches Problembewusstsein beim Thema "Hände ans Lenkrad und Augen auf den Verkehr", betont Klinke, der die Gesellschaft in der Pflicht sieht: "Früher galt es als Kavaliersdelikt, nach einem fröhlichen Abend bei Bier und Wein mit dem Auto nach Hause zu fahren. Das hat sich fundamental geändert – heute ist ein solches Verhalten gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert. In Sachen Ablenkung durch Smartphones am Steuer müssen wir aus meiner Sicht zu genau derselben sozialen Ablehnung kommen." Für die dafür notwendige Aufmerksamkeit hat DEKRA gemeinsam mit der AUTO BILD-Redaktion eine Aufkleber-Aktion ins Leben gerufen: Unter dem Motto "Handy weg – Dein Leben zählt" appelieren die beiden Partner an das Risikobewusstsein der deutschen Verkehrsteilnehmer. (kt)
DEKRA Unfallforschung: Nicht besonders smart…

Mehr als die Hälfte aller Autofahrer nutzt sein Handy am Steuer. Statistisch gesehen sind rund sieben Prozent der Verkehrsteilnehmer permanent abgelenkt.