Welche Auswirkungen das autonome Fahren der höheren Level 3, 4 und 5 auf die Reparaturwerkstätten haben wird, war die zentrale Frage einer Talkrunde auf dem diesjährigen AUTOHAUS-Schadenforum. Ludger Kersting, Leiter Automobile Dienste beim ADAC und Geschäftsführer der SPN Service Partner Netzwerk GmbH, fasste die aktuelle Expertenmeinung treffend zusammen: "Bis das autonome Fahren in der Massenmobilität angekommen sein wird, erwarten wir eine lange Übergangsphase des Mischverkehrs. Mittel- und langfristig sehe ich einen Rückgang des Schadenvolumens, der aber nicht unbedingt mit einer Verringerung der Schadenhöhe einhergehen wird. Im Gegenteil können die Reparaturkosten sogar steigen, da die zu ersetzende Sensorik der neuesten Generation sehr teuer sein wird."
Schon heute, obwohl maximal Level 3-Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind, gäbe es Auswirkungen auf die Schadenbilder, wusste Ullrich Bechmann, Director Werkstattmanagement der Innovation Group, zu berichten: "Wir haben einige Tesla-Betriebe in unserem Netzwerk und sehen eine Häufung schwerer Heckschäden, da die Notbremsassistenten dieser Marke deutlich stärker verzögern als die anderer Hersteller. Unsere Werkstätten lernen auf diesem Gebiet täglich dazu und wir als Schadensteuerer profitieren natürlich auch von diesem Wissen."
Nächste Generation am Start
Das Know-how der Betriebe war denn auch eines der zentralen Themenfelder der Diskussion zwischen den Experten auf der Bühne. Thomas Geck, Leiter Schaden-/Prozessmanagement der HUK-Coburg, erinnerte daran, dass sein Haus sehr früh damit begonnen habe, die Partnerwerkstätten entsprechend zu schulen: "Die Geräte, die wir im Rahmen unserer Elektronikstandards vorgeschrieben haben, sind die notwendige Basis für eine geführte Fehlersuche. Nur damit war es möglich, bis zu einer gewissen Tiefe Einblick in die Fahrzeugelektronik zu gewinnen. Schon heute können Betriebe ohne diese Ausrüstung keine Scheibe mit verbauter Kamera mehr tauschen."
Aktuell stehe man vor der nächsten Stufe dieser Herausforderungen, denn: "Es gibt immer mehr Fahrzeuge, die eine Verbindung mit dem Server des Herstellers brauchen, um Softwareupdates zu machen oder ausgetauschte Steuergeräte zu flashen. Mit den bisherigen Multibrandsystemen ist dies nur zum Teil möglich." Eine Ausnahme sei zum Beispiel der EuroDFT von ZDK und ZKF, erläuterte Geck.
Hersteller schotten sich ab
Spätestens an diesem Punkt nahm die Talkrunde richtig Fahrt auf, ist doch der Zugang zu Herstellerdaten einer der Knackpunkte der künftigen Reparierbarkeit moderner Fahrzeuge. Ludger Kersting legte vor: "Beim Thema Instandsetzungsdaten ist die Politik gefragt, die momentan noch unentschieden ist zwischen Verbraucherschutz oder Industriepolitik zugunsten der deutschen Fahrzeughersteller. Wir verlangen von den Automobilmarken gar nicht, dass wir alle Informationen zu sehen bekommen. Was wir brauchen ist der Zugang zu allen Informationen, die für die Reparatur eines Autos unerlässlich sind. Nicht mehr und nicht weniger. Idealerweise diskriminierungs- und kostenfrei." Während man sich in Berlin Gedanken über eine mögliche Lösung des Problems mache, bauten die Hersteller schon die nächste Hürde auf: "Volkswagen und andere Marken wollen eigene Betriebssysteme einsetzen oder mit anderen Worten: Ihr dürft ein bisschen mitspielen, aber nur nach unseren Regeln. Auf die Reaktion der Politik bin ich hier sehr gespannt."
Quo vadis, Marken-Autohaus?
Wie gewohnt sprach Andreas Brodhage, als Geschäftsführer der Global Automotive Service (G.A.S.) Vertreter des Freien Reparaturmarktes und der Teilelieferanten, Tacheles: "Seien wir ehrlich, kein Hersteller möchte, dass wir ihre Daten erhalten und unsere Arbeit auch morgen noch machen können – egal, ob in der Instandsetzung oder im Ersatzteilgeschäft. Die Industrie gönnt uns keinen Euro." Sein Unternehmen habe aus diesem Verhalten bereits seine Lehren gezogen und setze bewusst auf das Flotten- und Großkundengeschäft: "Wir arbeiten im Bereich Elektromobilität mit einem der neuen Player auf dem Markt zusammen. Unsere Betriebe sind top-geschult und setzen Fahrzeuge mit einem Alter von eins bis drei Jahren instand. Aus meiner Sicht wird sich das Konzept des Marken-Autohauses künftig nicht mehr rentieren, spätestens wenn keine Querfinanzierung über den Autoverkauf mehr möglich ist."
Neue Mobilitätsformen wie Carsharing unterliefen dieses Konstrukt, pflichtete ihm Ludger Kersting bei: "Das Joint Venture von BMW und Mercedes-Benz hat die Werkstattbindung aufgehoben. Diese Entwicklung wird weitergehen, bis zu einem Punkt, wo die Hersteller vielleicht versuchen werden, das K&L-Geschäft wieder zurück zu holen. Wenn ich meine Modelle nur noch als Service zur Nutzung bereit stelle, muss ich auf anderen Sektoren Geld verdienen."
Die Macht des Auftrages
Doch wie können sich die Reparaturbetriebe möglichst aktiv auf die Zukunft vorbereiten? Rainer Hansen, Geschäftsführer beim Schadensteuerer Consense GmbH, sieht die Branche recht gut aufgestellt: "Eigene Schulungen anzubieten ist für uns nicht notwendig. Wir haben hier auf der Bühne zwei Protagonisten sitzen, die das sehr gut machen, mit Peter Börner von Eurogarant sitzt im Publikum ein weiterer Experte. Dazu kommen die Lackhersteller, die ebenfalls viel für die Qualifikation ihrer Partnerwerkstätten tun oder der BVdP mit seinem m.o.r.e.-Konzept. Es gibt für uns als Consense also keinen Grund, das Rad neu zu erfinden."
Die Teilnahme an Lehrgängen sei, wie in der Wirtschaft üblich, ein Geben und Nehmen, stellte Andreas Brodhage fest: "Wie haben wir unsere Betriebe im Bereich Hochvolt auf den neuesten Stand bekommen? Durch die Kraft des Auftrages. Eine Werkstatt, die ihre Mitarbeiter zu Schulungen schickt, möchte hinterher etwas dafür bekommen und das ist auch völlig legitim. Aus meiner Sicht sind unter diesen Voraussetzungen alle Betriebe willens, sich schulen zu lassen." Auch das nächste Zukunftsthema sei bei der G.A.S. bereits in Umsetzung, nämlich Wasserstoff: "Wir müssen jetzt anfangen, da am Ende jeder die notwendigen Bescheinigungen wird haben müssen", zeigte sich Brodhage überzeugt.
Zukunft aktiv anpacken
Um seine Mannschaft schulen zu können, müsse diese aber erstmal für einen arbeiten, gab Rainer Hansen zu bedenken: "Wer mit Bananen zahlt, kann nur Affen beschäftigen. Die Auftraggeber, die vernünftig reparierte Fahrzeuge fordern, welche dann auch eine Leasingrücknahme überstehen, müssen dafür sorgen, dass die Betriebe vernünftig von ihrem Handwerk leben können. Das A und O für eine erfolgreiche Zukunft wird es sein, dass wir top-ausgestattete Werkstätten mit top-motivierten und top-bezahlten Mitarbeitern haben. Dann mache ich mir um die Reparaturbranche keine Sorgen."
Für den G.A.S.-Geschäftsführer müsse zudem das ständige Schwarzmalen aufhören: "Wir hören auf Branchenveranstaltungen sehr oft, was alles kommen wird und was in Zukunft nicht mehr geht. Stattdessen sollten wir anpacken, als mündige Unternehmer und unsere handwerklichen Fähigkeiten optimal einsetzen. Die momentane Situation birgt riesige Chancen für den freien Markt, die Frage ist nur, wer sich traut, diese auch zu nutzen."
Was man in der Unfallreparatur von anderen Branchen lernen kann, warum Andreas Brodhage die Kaufkraft des freien Marktes für die entscheidende Stellschraube hält und welche Branchengröße der G.A.S.-Geschäftsführer am Rande der Talkrunde für komplett überflüssig hält, lesen Sie in der kommenden Ausgabe von SchadenBusiness, die am 20. Dezember gemeinsam mit AUTOHAUS 23/24 erscheinen wird. (kt)