Ausgabe 14-15/2008: Autohaus 14-15/2008

Autohaus 14-15/2008Modellvielfalt / Die Explosion der Modellprogramme geht weiter – für den Autohandel ein zweischneidiges Schwert.Fluch und SegenVon Prof. Dr. Willi DiezKaum ein Hersteller oder Importeur, der seine Händler nicht mit einer Produktoffensive auf eine positive Zukunft einstimmen will. Tatsächlich haben nahezu alle Hersteller und Importeure ihre Produktprogramme in den letzten Jahren stark ausgebaut (siehe Abb. 1). So ist etwa bei VW die Zahl der angebotenen Baureihen zwischen 1990 und 2008 von 5 auf 13 gestiegen. Mehr als verdreifacht hat sich im gleichen Zeitraum auch das Modellprogramm von Mercedes – ganz zu schweigen von der kaum noch überschaubaren Zahl an Motorisierungs- und Aufbauvarianten. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Trend in Zukunft weiter fortsetzen und vielleicht sogar beschleunigen wird. Denn künftig werden alle Hersteller eine viel größere Bandbreite an Antriebsalternativen anbieten müssen: Gas-, Hybrid- und Elektrofahrzeuge werden fester Bestandteil der Modellpalette. Auch bei den Aufbauvarianten ist kein Ende der Entwicklung absehbar. Mit immer neuen "Crossover-Fahrzeugen" wird die Zahl der Marktsegmente weiter zunehmen. ModellrechnungFür den Automobilhandel ist diese Entwicklung ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite profitieren die Händler von der Modellexplosion bei ihren Herstellern. Denn sie können mit einer größeren Zahl von Modellen zusätzlich Kundengruppen ansprechen und damit auch ihren Absatz ausweiten beziehungsweise im Verdrängungswettbewerb bestehen. Insofern stellt jedes neue Modell für den Händler eine zusätzliche Verkaufschance dar. Andererseits führt die wachsende Zahl von Modellen im Automobilhandel zu erheblichen Kostenproblemen, denn für jede neue Baureihe, die ein Hersteller in seinem Programm hat, muss der Händler auch zusätzlich Vorführ-, Ausstellungs- und Lagerwagen vorhalten. Die folgende Modellrechnung vom Institut für Automobilwirtschaft (IFA) macht den Kosteneffekt deutlich, sie basiert auf folgenden Annahmen (Abb. 2): Ein Automobilhersteller hat im Jahr 1995 fünf Baureihen mit durchschnittlich 12 Basisvarianten (Motorisierung und Aufbau) in seinem Modellprogramm. Um dieses Modellprogramm dem Kunden präsentieren zu können, muss der Händler regelmäßig etwa 20 Bestandsfahrzeuge vorhalten. Unterstellt man einen durchschnittlichen Einkaufspreis für diese Fahrzeuge von 25.000 Euro, so ergibt dies eine durchschnittliche Kapitalbindung von 500.000 Euro. Bei einem Zinssatz von 7 Prozent bedeutet dies rein rechnerisch Kapitalbindungskosten in Höhe von 35.000 Euro. Abschreibungen sowie die Pflege- und Lagerhaltungskosten sind nicht berücksichtigt. Im Jahr 2008 liegt die Zahl der Baureihen und der wesentlichen Motorisierungs- und Aufbauvarianten dieses Herstellers annahmegemäß bei 15 Baureihen und 40 Basisvarianten. Daraus ergibt sich, dass der Händler etwa 50 Vorführ-, Ausstellungs- und Lagerwagen im Bestand haben muss. Berücksichtigt man nun zusätzlich, dass in diesem Zeitraum die Fahrzeugpreise inflationsbedingt und aufgrund erweiterter Ausstattungsumfänge ebenfalls gestiegen sind, so liegt die Kapitalbindung nunmehr bei 1,75 Mio. Euro. Bei einem Zinssatz von 7 Prozent bedeutet dies Kapitalbindungskosten in Höhe von 122.500 Euro, was einem Anstieg um 250 Prozent entspricht.Problem: NischenfahrzeugeProblematisch ist dabei insbesondere die wachsende Zahl von Nischenfahrzeugen. Während bei Volumenmodellen die steigenden Bestandskosten möglicherweise über die zusätzlichen Verkaufserlöse hereingespielt werden können, stehen bei Nischenfahrzeugen die Bestandskosten häufig in keinem angemessenen Verhältnis zu den zu erwartenden Erlösen. Denn offensichtlich ergibt es betriebswirtschaftlich keinen Sinn, von einem Nischenmodell zwei oder drei Bestandsfahrzeuge vorzuhalten, wenn man im Jahr kaum mehr als 10 Fahrzeuge verkauft. Außerdem darf nicht übersehen werden, dass die wachsende Zahl von Bestandsfahrzeugen – handelsrechtlich betrachtet – zu einer Erhöhung des Umlaufvermögens und der Bilanzsumme führt und damit zu einem Rückgang der Eigenkapitalquote. Zur Verdeutlichung folgendes Beispiel: Abb. 3 zeigt die Bilanzstruktur eines Händlers im Jahr 1995. Bei einem Eigenkapital von 4,8 Mio. Euro und einer Bilanzsumme von 23,5 Mio. Euro verfügt dieser Händler über eine Eigenkapitalquote von 20,4 Prozent. Steigt nun das Umlaufvermögen durch die wachsende Zahl von Bestandsfahrzeugen überdurchschnittlich an, erhöht sich die Bilanzsumme auf 27,6 Mio. Euro. Trotz des hier angenommenen Anstiegs des Eigenkapitals von 4,8 Mio. auf 5,5 Mio. Euro hat dies einen Rückgang der Eigenkapitalquote auf 19,9 Prozent, also um 0,5-Prozentpunkte zur Folge. Mögliche Konsequenz: Das Rating des betreffenden Händlers verschlechtert sich und er muss höhere Zinsen bezahlen. Die Folge: eine steigende Kostenbelastung.Neue GeschäftsmodelleDie wachsende Modellvielfalt der Hersteller ist einer der wichtigsten Gründe für die steigenden Vertriebskosten im Handel in den letzten Jahren und damit auch eine der Ursachen für die strukturellen Ertragsprobleme, mit denen der Handel zu kämpfen hat. Allerdings wäre es falsch, die Hersteller dazu aufzufordern, ihre Modellprogramme wieder zurückzufahren. Die zunehmende Individualisierung erfordert eine immer stärkere Ausdifferenzierung der Modellprogramme. Keinen Sinn ergibt es auch, von den Herstellern eine Reduktion der Standards bezüglich der Vorhaltung von Vorführ-, Ausstellungs- und Lagerwagen zu verlangen. Ein Händler soll und muss den Kunden das Modellprogramm seines Herstellers möglichst vollständig präsentieren, denn sie versprechen höhere Geschäftschancen. Die Lösung des Problems besteht daher in einer Überprüfung der Kostenverteilung im Hinblick auf die wachsenden Fahrzeugbestände. Dabei geht es auch um die Frage, ob die jeweiligen Margen so strukturiert sind, dass sie die Bestandskosten des Händlers angemessen vergüten. So sollte zum Beispiel bei Nischenfahrzeugen der Grundrabatt des Händlers höher sein, weil hier das Verhältnis zwischen Bestandskosten und Umsatzerlösen wesentlich ungünstiger ist als bei Volumenmodellen. Auch die Themenbereiche Zahlungsziele für Lagerwagen, Bereitstellung von Konsignationsfahrzeugen und der Aufbau regionaler Vorführwagen-Pools sollten Gegenstand der Diskussionen um "neue Geschäftsmodelle" zwischen Herstellern und Händlern sein. Hier müssen markenspezifische Lösungen gefunden werden, da sich die Situation in diesem Bereich bei den verschiedenen Fabrikaten unterschiedlich gestaltet. Fazit: Die wachsende Modellvielfalt in der Automobilindustrie ist ein Mega-Trend, der sich nicht aufhalten lässt und auch nicht aufgehalten werden sollte. Für den Handel stellt diese Entwicklung direkt und indirekt ein wachsendes Kostenproblem dar. Daher gilt es, langfristig tragfähige Lösungen für dieses Problems zwischen Herstellern und Händlern zu finden.

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