Ausgabe 18/2008: Brüsseler Spitzen

GVO / Die Frist für die Abgabe der Stellungnahmen zum Evaluierungsbericht ist abgelaufen. Was die verschiedenen Interessenvertreter wollen und befürchten, fassen wir hier zusammen.Brüsseler SpitzenVon Doris PlateDie Sommerpause ist vorbei und die zuständigen Mitarbeiter der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission haben 86 Stellungnahmen der betroffenen Kreise erhalten. In ihrem Bewertungsbericht zur derzeit geltenden Gruppenfreistellungsverordnung für die Kfz-Branche hatten sie den Schluss nahe gelegt, dass die Kfz-GVO ihre Schuldigkeit getan hat und eine branchenübergreifende Freistellung die Aufgabe auch erfüllen würde. Dazu haben viele eine Meinung: Verbraucher, Autofahrer, nationale und europäische Kfz-Gewerbeverbände, Hersteller, Importeure, Kfz-Zulieferer, Werkstatteinrichter, Leasinggesellschaften, Schmierstoffhersteller, Werkstätten, freie Händler, vertragsgebundene Händler, Kooperationen, nationale Wettbewerbsbehörden und so weiter. Die EU-Bürokraten müssen sich nun ein Bild machen. Der Bericht und Kommissar Günter Verheugen betonen, dass die Entscheidung noch nicht gefallen sei. AUTOHAUS versucht hier einen Überblick über den aktuellen Stand der Diskussion zu geben.Für die Kfz-GVOFür eine Fortsetzung der Kfz-GVO sind der deutsche Kfz-Gewerbeverband ZDK und der europäische Verband Cecra. Wichtigstes Argument: "Wir brauchen weiterhin solche flexiblen Gestaltungsmöglichkeiten, wie sie die Kfz-GVO ermöglicht", so ZDK-Geschäftsführerin Antje Woltermann. Gemeint sind vor allem das Recht auf Mehrmarkenvertrieb, die Möglichkeit zu Verkaufs- und Auslieferungsstellen oder die Option, nur noch einen Servicevertrag zu haben. Unterstützt wird die Pro-Kfz-GVO-Position auch vom ADAC. Deutschlands Autofahrerverband befürchtet, dass die Hersteller bei einem Wegfall versuchen würden, die Kunden nur an die Fabrikatsbetriebe zu binden. "Das könnte für die Verbraucher teuer werden", meint ADAC-Justitiar Ulrich May. Ebenfalls an der Seite des ZDK kämpfen die Zulieferer. Ihnen würde es nicht gefallen, wenn die Autobauer über 80 Prozent der Ersatzteilbestellungen bestimmen könnten. Im gleichen Boot sind auch die Leasingfirmen. Die derzeit geltende Verordnung machte sie zu Endkunden und verbesserte damit ihre Einkaufsmöglichkeiten erheblich. Auch die Schmierölindustrie will die Fortgeltung, schließlich gelten seit 2002 Schmierstoffe als Ersatzteile – mit den damit verbundenen Vorteilen. Für die Schirm-GVOAusgeschert aus der Phalanx sind vor kurzem die Importeure und Hersteller. Und das, obwohl gerade die kleinen Marken von der Kfz-GVO profitiert haben. Die Möglichkeiten zum Mehrmarkenvertrieb haben ihnen viele zusätzliche Stützpunkte gebracht. Trotzdem erlagen sie wohl dem Charme der eröffneten Möglichkeiten: Kündigungsfristen verkürzen, kein Begründungszwang, Wegfall der Übertragbarkeit der Verträge sind Optionen, die die Importeure doch gerne nutzen oder zumindest als Masse in etwaige Vertragsverhandlungen einbringen wollen.Das Gleiche gilt für die Hersteller, deren europäischer Verband ACEA gerne die Möglichkeiten zum Mehrmarkenvertrieb eingeschränkt sehen will. Besonders der Vertrieb mehrerer Fabrikate aus einem Showroom schmeckt ihnen nicht. Um der Kommission und den Händlern eine etwaige Umstellung zu versüßen, bieten die Hersteller einen "Code of Good Practice" an. Das ist eine freiwillige Selbstverpflichtung zu Händlerschutzbestimmungen. Die Hersteller wollen darin das Recht auf Anrufung eines Schiedsgerichts und die zweijährige Kündigungsfrist für unbefristete Verträge einräumen. Ganz davon abgesehen, dass dieser Code wie die Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn nur eine Empfehlung ist und keiner weiß, ob und welche Hersteller sich wirklich daran halten, enthält er auch Zündstoff: Der Zwang zur Begründung der Kündigung fehlt in dem ACEA-Vorschlag, der AUTOHAUS vorliegt, ebenso wie die Übertragbarkeit der Händlerverträge ohne Zustimmung des Herstellers. BefürchtungenDer Wegfall dieser Händlerschutzbestimmungen gehört denn auch zu den schlimmsten Befürchtungen bei Auslaufen der Kfz-GVO. Genau wie die dann möglichen verschärften Bestimmungen zum Mehrmarkenvertrieb. ZDK-Geschäftsführerin Woltermann malt den Teufel an die Wand: "Als Konsequenz wäre damit zu rechnen, dass getätigte Investitionen nicht mehr amortisiert werden könnten und durchaus gesunde Händler oder Werkstätten vom Markt verschwänden."Eine Gruppe von VW-Kooperationen benennt, was die Schirm-GVO erlauben könnte: "Hersteller stellen auf befristete Verträge von weniger als 5 Jahren Laufzeit um, um ihre Händler exklusiv an ein Fabrikat zu binden." Wer denkt da nicht an BMW? Bei befristeten Verträgen sieht das ACEA-Papier außerdem nur eine Mitteilungsfrist von sechs Monaten vor Vertragsende vor. Alle viereinhalb Jahre könnten Vertragshändler also vor dem Nichts stehen.ZeitplanDie Kommission hat nun erst einmal viel zu tun. Frühestens im Oktober wird mit der Mitteilung einer ersten Tendenz gerechnet. Dr. Stephan Simon spricht dann beim Fabrikatshändlerkongress in Frankfurt. Sein Vortrag wird mit Spannung erwartet, weil er vielleicht erste Hinweise enthalten könnte, wie es weiter geht. Die grundsätzliche Entscheidung, ob es noch eine Kfz-GVO geben wird, soll nach dem Willen der Wettbewerbsbehörde Anfang 2009 fallen. Dann wäre noch genug Zeit, um sich zu überlegen, wie eine branchenübergreifende GVO, die ebenfalls ausläuft und deren Nachfolgeregelung dann auch für unsere Branche gelten sollte, aussehen müsste.Eine Rolle spielen wird aber wohl auch noch ein "Impact Assessment", das im Februar/März 2009 vorliegen soll. Auf Initiative des Unternehmens-Kommissars Günter Verheugen wird ein Bericht darüber erstellt, welche Konsequenzen die Geltung der branchenübergreifenden GVO für die 350.000 kleineren und mittleren Kfz-Betriebe in Europa hätte. Rechtsexperte Prof. Jürgen Ensthaler gab hierzu schon einen Ausblick: Viele mittelständische Betriebe müssten aufgeben, weil sie ohne Kfz-GVO keine "einigermaßen justitiable Handhabe mehr hätten, um sich gegen die Hersteller wehren zu können." Vom 4. bis 7. Juni 2009 sind Europawahlen, am 1. November 2009 wird das Kollegium der europäischen Kommissare komplett erneuert. Diese beiden Umstände lassen Cecra darauf hoffen, dass die Entscheidung über die Zukunft der GVO nicht mehr in dieser Legislaturperiode getroffen wird und vielleicht erst der nächste Kommissar bestimmt, wie es weiter geht. Verheugen sieht das nicht so: Für ihn gibt es keine Deadline in Sache GVO. Auch die zuständige Kommissarin Neelie Kroes möchte die Sache noch über die Bühne bringen.

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