Ausgabe 16/2012: Cashcow der Branche

Cashcow der Brancheleichte nutzfahrzeuge – Die Erfolgsstrategien der Hersteller.von Andreas Serra*Mit 314.635 Zulassungen* im Jahr 2011 (Grafik 1) im Segment der leichten Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen sind die sogenannten Transporter oder LCV (Light Commercial Vehicle) für jeden Hersteller ein relevanter und lukrativer Markt. Das LCV-Geschäft sichert den Zugang zu Flotten und damit einer Ertragsquelle mit erheblichen Gewinnen, die ansonsten nur bei Oberklasse-Fahrzeugen realisiert werden können. Dies gilt für Hersteller und Händler, die das Geschäft professionell und ernsthaft betreiben, gleichermaßen. Doch welches sind die Erfolgsfaktoren, die einigen Herstellern erhebliche Gewinne und Marktanteile bringen und andere in der Stagnation verharren lassen?Das Produkt? Nur eingeschränkt.Auf die Frage: „Was macht Sie als Hersteller oder Vertriebsgesellschaft bei den leichten Nutzfahrzeugen so erfolgreich?“ gibt es von vielen Verantwortlichen oft die gleiche Antwort. „Unser Produkt“. Eine Antwort, die auf den ersten Blick logisch klingt und die sicherlich von Loyalität zum eigenen Produkt zeugt. Aus Kundensicht und der Realität des Marktes betrachtend ist das Produkt weit weniger erfolgsentscheidend, als angenommen wird. Die Produkte sind bei den Nutzfahrzeugen stark nivelliert, ähnlich, oft zu 99 Prozent gleich – sowohl optisch als auch in der Komplexität. Dies liegt vor allem daran, dass alle relevanten Hersteller bei Entwicklung und Produktion von Transportern stark kooperieren. Nur einige Beispiele: Mercedes Sprinter – VW Crafter, Renault Master – Opel Movano – Nissan InterstarFiat Ducato – Citroen Jumper – Peugeot BoxerFiat Doblò Cargo – Opel ComboRenault Kangoo – Mercedes CitanDas Thema Kooperationen bei Modellen und Fabriken bringt ähnliche, aber auch qualitativ hochwertige Produkte hervor. Gemeinsame Produktionen sind betriebswirtschaftlich interessant und sinnvoll. Sie werden von Kunden angenommen, wie die Beispiele zeigen. Aber das Produkt allein sichert nicht den Erfolg, gemessen in Marktanteil und Stückzahlen im Markt. Aber was macht den Unterschied? Was macht den Erfolg oder Misserfolg im Vertrieb aus? Gibt es eine „Kultur der Nutzfahrzeuge“, die erfolgsversprechend ist?Betrachten wir die in Deutschland erfolgreichsten vier Hersteller im Segment der leichten Nutzfahrzeuge: Mercedes, Volkswagen, Fiat und Ford. Diese vier Hersteller decken 70 Prozent der verkauften Stückzahlen ab. Was machen diese Unternehmen anders als die anderen? Vier Themen sind für den Markterfolg von hoher Relevanz: die Vertriebsstrategie – sie bildet die Struktur für den Erfolgdie Kommunikation – sie bestimmt die konkrete Zielrichtungdas richtige Händlernetz – hier wird mit Ertrag verkauftService, Kundenbindungsinstrumente, Finanzdienstleistungen – sie sichern den nachhaltigen ErfolgErfolgsfaktor Vertriebsstrategie Die erfolgreichen Unternehmen (vgl. Grafik 2 auf S. 34) haben das Transportergeschäft im Vertrieb streng vom Pkw-Geschäft separiert. Sie haben eine „Kultur der Nutzfahrzeuge“ implementiert. Alle relevanten Vertriebsprozesse, Budgets und Entscheidungen werden in einem eigenen, von Pkw getrennten Geschäftsbereich geführt. Keiner der vertriebstechnisch erfolgreichen Marken betreibt das Pkw- und Nutzfahrzeuggeschäft in einer Gesamteinheit mit Überschneidungen in wesentlichen Bereichen. Der Grund liegt in der Unterschiedlichkeit aller relevanter Prozesse. Schauen wir uns die Verkaufsprozesse an, so wird schnell klar, dass vom Produkt über das Händlernetz, die Komplexität und das Timing grundsätzliche Unterschiede zum Pkw-Verkauf bestehen. Kurzfristige Vertriebs- und Marketing-Aktionen gerichtet an emotional orientierte Kundschaft, wie im Pkw-Bereich üblich, sind kein Erfolgsmodell. Dagegen bedingen komplexe Kundenanforderungen verbunden mit technischem und rechtlichem Fachwissen und besondere Servicelösungen ein Team von Spezialisten. Spezialisten mit Begeisterung für Nutzfahrzeuge! In der Struktur, den Kundenbedürfnissen und den Prozessen sind die leichten Nutzfahrzeuge den schweren Nutzfahrzeugen ähnlich, auf Hersteller- und auf Handelsseite. Auch bei LCV liegt die wahre Professionalität und Ertragsgenerierung in der Vermarktung komplexer Fahrzeuge (Aufbauten, Ausbauten, Umbauten). Der Grundbaustein für Erfolg im LCV-Segment scheint eine Vertriebsstruktur zu sein, die sich ausschließlich mit dem Thema Nutzfahrzeuge beschäftigt.Erfolgsfaktor KommunikationDie erfolgreichen Unternehmen betreiben meist (auch LCV-Organisationen unterliegen einem starken Vertriebsdruck) kontinuierliche Kommunikation mit mittel- und langfristigen Laufzeiten. Sie nutzen dabei eigene erfolgreiche Kanäle mit fokussierten Kommunikationstechniken. Sie können dies tun, da die Zielgruppen im Gegensatz zu Pkw klarer identifizierbar sind (Dachdecker, Spediteure, Maler etc.). Kundenbeziehungen werden kontinuierlich aufgebaut und gepflegt. Ein Beispiel ist Citroen mit den Schornsteinfeger-Fahrzeugen. Hier wurde durch langfristiges Marketing und eine angepasste Produktausstattung eine klar definierte Zielgruppe gewonnen. LCV-Kommunikation hat solche Resultate im Fokus. Erfolgsfaktor HändlernetzDas Thema „LCV-Erfolgsstrategien des Handels“ wird in AUTOHAUS 17 behandelt. Aus Sicht der Vertriebsorganisation / des Herstellers benötigt der Handel eine ähnliche Struktur wie der Hersteller. Der Erfolg wird auch hier durch eine Separierung erreicht. Das Transporter-Händlernetz erlebt den Unterschied im Verkaufsprozess zu Pkw noch deutlicher. Beispiel: Verkäufer ausschließlich im Innendienst sind im Transporterverkauf weder sinnvoll noch erfolgreich. Der Transporterkunde, der sich die Zeit nimmt, ein Autohaus persönlich zu besuchen, kostet in der Regel hohe Nachlässe.Die erfolgreichen Hersteller haben eigenständige Händlerverträge für LCV mit eigenen Qualitätskriterien, Servicestandards, Regeln, IT-Lösungen, Boni und Nachlässen. Diese unterscheiden sich in der Regel in wichtigen Punkten von Pkw-Verträgen. Die Verträge tragen dem Geschäftsmodell Rechnung und sichern die Einstellung der Handelspartner zu diesem Verkaufssegment. Als Beispiele seien hier die CI-Richtlinien oder der Lagerbestand genannt. Eine These für ein erfolgreiches Händlernetz, das von Hersteller zu Hersteller schon alleine auf Grund der Historie variiert:20 Prozent Lkw-Händler25 Prozent reine Nutzfahrzeughändler35 Prozent mitverkaufende Pkw-Händler20 Prozent HändlergruppenIm Händlernetz macht der Service, die individuelle Problemlösungskapazität, den Unterschied. Erfolgsfaktor ServiceAlle drei Faktoren Aftersales, Kundenbindungsinstrumente und Finanzdienstleistungen bilden eine wichtige Einheit – Service! Der Erfolg des nachhaltigen Nutzfahrzeuggeschäftes funktioniert nicht ohne Service. Hier ist nicht das selbstverständliche „Guten Tag“ gemeint, sondern klare Fakten. Für den LCV-Kunden ist das wichtigste Kriterium, dass sein Fahrzeug möglichst immer betriebsbereit ist. Er verdient damit sein Geld! Es ist oft eine Lebensgrundlage. Ein Obsthändler, der morgens um 4 Uhr eine Tonne Tomaten im Großmarkt abholt und einen Defekt am Fahrzeug hat, benötigt keinen Kleinwagen als Ersatzwagen und keinen Werkstatttermin in 14 Tagen. Seine Erwartung ist: kurzfristige Mobilität mit einem geeigneten Fahrzeug, sofortiger Ersatzteil-Einbau, keine Wartezeit und ein Ansprechpartner, der sein Problem kurzfristig löst. Sicher ist es nicht unbedingt erforderlich, einen Dreischicht-Betrieb in der Werkstatt zu fahren. Aber Öffnungszeiten ab 6 Uhr bis mindestens 19 Uhr und samstags ein ganztägiger Service sind notwendig. Wer dieses Geschäft betreibt, weiß auch genau: Die Werkstattkosten spielen oft eine untergeordnete Rolle für den Kunden. Und wer Samstag nachmittags eine LCV/LKW-Werkstatt besucht, sieht oft einen vollen Hof.Bevor aber der Kunde in die Werkstatt kommt, steht der Verkauf des Fahrzeugs. Hier sind geeignete Finanzierungskonditionen, aber vor allem schnelle und professionelle Abwicklungen bei den Anfragen ein wichtiger Servicepunkt. Bei Leasinganfragen von Unternehmern sind Standards und Massenabwicklungen in der Regel nicht möglich. Eine LCV-Finanzierungsabteilung ist unabdingbar. Wer eine BWA oder Bilanz auf Bankseite nicht lesen und bewerten kann, verzögert den Verkaufserfolg. FazitDer Markt bleibt relativ stabil – auch 2012 können wir mit Zulassungen auf Vorjahresniveau rechnen. Am Ende dreht sich alles um die Befriedigung der Kundenbedürfnisse. Diese zu erkennen und bestmöglich im gesamten Markt zu lösen, das ist die Kernaufgabe. Der Kunde bringt hohen Umsatz und Ertrag pro Fahrzeug. Im Handel und auf Herstellerseite. Diese Erträge sind zwar auch unter Druck geraten, aber insgesamt über die Wertschöpfungskette weit höher und nachhaltiger als im Pkw-Bereich. Durch die Individualität der Kundenbedürfnisse und der Zielgruppen sind Angebote und Dienstleistungen nicht immer vergleichbar. Je komplexer das Fahrzeug oder der Fuhrpark, umso höher die Ertragschancen. Allerdings gilt auch: Nur auf Transporter fokussierte LCV-Unternehmen können komplexe Modelle in größeren Stückzahlen erfolgreich vermarkten und deutschlandweit den notwendigen Service sicherstellen. Dazu gehören die vier angesprochenen Punkte genauso wie eine von Nutzfahrzeugen begeisterte Mannschaft.Es gibt eine „Kultur der Nutzfahrzeuge“ in Deutschland sowie weltweit. Dies ist kein Erfolgsgarant, aber eine wesentliche Grundlage für Markanteil und Ertrag. ■Lesen SIe hier...... wie erfolgreiche Hersteller von leichten Nutzfahrzeugen das Geschäft mit Transportern organisieren und sich so den Zugang zum lukrativen Flottenmarkt sichern.KurzfassungDa alle relevanten Hersteller leichter Nutzfahrzeuge bei Entwicklung und Produktion stark kooperieren, unterscheiden sich die Produkte nicht wesentlich. Der Erfolg der auf dem deutschen Markt erfolgreichsten Hersteller VW, Mercedes-Benz, Fiat und Ford basiert auf dem vom Pkw-Bereich separierten Vertrieb und einem entsprechend organisierten Händlernetz, auf einer auf die Gewerbekunden ausgerichteten Kommunikationsstrategie und einer an den Kundenbedürfnissen orientierten Servicementalität. InterviewDer ehemalige Nfz-Vorstand von Fiat Professional Europe Thomas Hajek im Gespräch über Erfolgszahlen im Transportergeschäft, über die Vorteile der Kooperation zwischen den Herstellern und die Anforderungen, auf die sie in Zukunft Antworten finden müssen. AH: Herr Hajek, Sie sind ein Automobilmanager, der auch erfolgreich das Transportergeschäft entwickelt hat: erst als Nutzfahrzeugvorstand von Fiat Professional in Deutschland und Österreich und von 2008 – 2009 als Verantwortlicher für das gesamte Europageschäft. Woran messen Sie Erfolg im Transportergeschäft?T. Hajek: Ein erfolgreiches Transportergeschäft wird im Geschäftsbericht der Daimler AG deutlich: 2011 hat die Sparte Mercedes Vans 264.193 Transporter abgesetzt und mit einem EBIT von 835 Millionen Euro eine Umsatzrendite von 9,1 Prozent erzielt. Diese liegt über den Renditen der anderen Konzernsparten Pkw (9,0 Prozent), Trucks (6,5 Prozent) und Buses (3,7 Prozent). AH: Kann man dieses Ergebnis auf die anderen Transporterhersteller übertragen?T. Hajek: Die anderen Konzerne veröffentlichen nur das Absatzvolumen der Transporter separat vom Pkw-Ergebnis. 2011 entsprach das Transporter-Absatzvolumen bei Daimler ca. 19 Prozent des Pkw-Verkaufs, bei Fiat 26 Prozent, bei Renault 18 Prozent und bei Volkswagen 10 Prozent, jeweils im Verhältnis zu den Konzernkernmarken. Bei Ford in Deutschland lag das Verhältnis 2010 bei 16 Prozent. Den Finanzbeitrag des Transportersektors veröffentlicht keiner. Da aber ein Pkw-Volumenhersteller keine Premium-Margen generiert, lässt sich vermuten, dass bei diesen Herstellern der Erfolgsbeitrag des Transportergeschäfts besonders hoch ist.AH: Welche konkreten Ansätze sehen Sie für den Erfolg im Transporter-Geschäft?T. Hajek: Entscheidend für den Erfolg ist die Entwicklung einer klaren Strategie, die Ausrichtung einer straff geführten Organisation auf diese Strategie und deren dauerhaft konsequente Umsetzung. Hierbei ist eine eindeutige Transporterverantwortlichkeit hinsichtlich Budget und P&L festzulegen. Dies gilt für Hersteller und den Handel. AH: Warum sind manche Transporter-Hersteller erfolgreicher als andere?T. Hajek: Die oben genannten Hersteller sind in Europa erfolgreich, weil sie ihre Strategie konsequent und dauerhaft umsetzen. Obwohl sie vielfach baugleiche Produkte wie ihre Kooperationspartner vertreiben, sind sie in der Vertriebs-leistung deutlich stärker als diese. Dabei zeigt sich, dass nicht nur der Preis der ausschlaggebende Faktor ist. AH: Sie waren u. a. auch im Aufsichtsrat von Sevel Süd, der Transporterfabrik, die in Kooperation Transporter für Fiat und die PSA-Gruppe herstellt. Sind Kooperationen in diesem Geschäft von Vorteil?T. Hajek: Kooperationen sind in der Produktentwicklung und Produktion von großem Vorteil. Die Kooperationspartner können hier mit höheren Produktionsvolumen von größeren Skaleneffekten profitieren. Der Lebenszyklus eines Transportermodells ist länger als beim Pkw und sie können mit geringeren Investitionen und kleinerem Risiko an diesem Markt teilhaben. Im Vertrieb ergeben Kooperationen zwischen Herstellern keinen Sinn, hier kämpft jeder Hersteller für sich alleine. Der bessere setzt sich in jedem einzelnen Markt durch.AH: Welche Herausforderungen sehen Sie für die europäischen Transporterhersteller?T. Hajek: Es sind vor allem fünf Faktoren, die besondere Aufmerksamkeit der europäischen Hersteller verlangen:1. die Einführung der EURO 6-Norm, die für Transporter in 2014 bzw. 2015 in Kraft tritt,2. der zu erwartende Einstieg koreanischer und japanischer Hersteller in das europäische Transportersegment,3. die Entwicklung sog. „Low-Cost“ Transporter, z. B. seitens Dacia und Skoda,4. der Elektroantrieb könnte speziell bei Transportern im Werks- und Stadtverkehr eine größere Bedeutung gewinnen,5. das Wachstum der Transportermärkte in Osteuropa, allen voran Russland.AH: Sie nennen Russland. Welche Märkte sind für europäische Nfz-Hersteller interessant?T. Hajek: Deutschland ist nur der zweitgrößte Transportermarkt hinter Frankreich, wo ca. 480.000 Zulassungen generiert werden. Danach liegt schon die Türkei, gefolgt von Großbritannien, und auf Platz 5 steht Russland, wo der Markt noch von lokalen Anbietern dominiert wird. Aber hier werden sich mit dem wachsenden Markt die Chancen für europäische Produkte verbessern. AH: Sie haben auch das Geschäft von Maserati in Europa verantwortet. Ist das Geschäft mit Luxusfahrzeugen nicht komplett anders als das mit Nutzfahrzeugen?T. Hajek: Die beiden Geschäftsbereiche unterscheiden sich hinsichtlich Produkt und Emotionalität deutlich. Aber es gibt einige Ähnlichkeiten, die man nicht auf den ersten Blick erkennt. Die Kaufentscheidung wird bei beiden Produkten von Unternehmern und Freiberuflern getroffen. Diese Zielgruppen lassen sich eindeutig abgrenzen und viel gezielter ansprechen als die breit gestreuten Pkw-Kunden. Schließlich erwarten beide Kundengruppen einen exzellenten Kundenservice, der eine eher aus emotionalem Anspruch, der andere vor allem aus ökonomischen Gründen.AH: Vielen Dank für das Gespräch.

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