Vertriebs-GVO: Es bleibt beim Trend zur unechten Agentur

Seit dem 1. Juni 2022 gilt die neue Vertikal-GVO. Vieles in der Zusammenarbeit zwischen Händler und Hersteller ist damit klar geregelt (siehe Beitrag von Uwe Brossette in AUTOHAUS 11). Ein paar Unschärfen sind aber geblieben. Antje Woltermann, Geschäftsführerin beim Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe (ZDK), beschäftigt sich seit 30 Jahren aus betriebswirtschaftlicher Sicht mit den Handelsthemen in der Branche. Über die Europäische Handelsallianz AECDR ist sie auch in Brüssel bestens vernetzt. Im Interview gibt sie ihre Einschätzung zu den Auswirkungen der neuen Regelungen und beantwortet Praxisfragen.AH: Seit dem 1. Juni gilt die neue Vertikal-GVO, die die Rahmenbedingungen für den Kfz-Vertrieb definiert. In Ihrer ersten Einschätzung haben Sie bereits klargemacht, dass die Kombination aus unechtem Agentursystem und Vertragshändlersystemen zumindest erschwert ist. Wo sehen Sie hier Probleme?A. Woltermann: Beide Systeme fallen unter die GVO. Themen, die beachtet werden müssen, sind Preisfestsetzung und Informationsaustausch. Vor allem besteht die Gefahr, dass die Hersteller versuchen, die Preise vorzugeben. Der Händler muss in beiden Systemen aber die Möglichkeit haben, vom Preis abzuweichen.AH: Müssen jetzt alle Händlerverträge angepasst werden?A. Woltermann: Nein, nur soweit diese von den neuen Regelungen betroffen sind. Das muss jede Marke für sich beurteilen. Es gibt Marken, die im Vertragshändlersystem bleiben und gar nichts tun müssen. Alle, die in ein Agentursystem wechseln wollen, müssen Änderungen vornehmen.AH: Müssen dafür die Händlerverträge gekündigt werden oder wäre auch eine einvernehmliche Anpassung möglich?A. Woltermann: Einvernehmliche Änderungen sind immer möglich.Online-VertriebAH: In der jetzigen GVO setzt sich die EU-Kommission dezidiert mit dem Online-Vertrieb auseinander. Die Einkaufspreise für den Handel dürfen ebenso wie die Standards bei Online- und stationärem Verkauf unterschiedlich sein. Was bedeutet das für die Vergütung der Händler?A. Woltermann: Die Regelungen kommen aus anderen Branchen. Ich sehe noch nicht, dass sich da bei uns so viel ändert. Der Hintergrund ist, dass die EU-Kommission gesehen hat, dass der stationäre Vertrieb gerade für hochwertige Produkte Geld kostet. Wenn man auch stationären Vertrieb ermöglichen möchte, dann macht es Sinn, einen Anreiz zu schaffen, dass auch in den stationären Vertrieb investiert wird und nicht nur in den Onlinevertrieb. Und man hat erkannt, dass Verbraucher den stationären Vertrieb durchaus schätzen. Insofern hat sich die Situation im Vergleich mit 2010 geändert.vAH: Und was bedeutet das für die Verkaufspreise?A. Woltermann: Ich glaube nicht, dass sich aufgrund der Neuregelung der Vertikal-GVO die Verkaufspreise online und offline wesentlich verändern werden. Von der Idee her sollen die niedrigeren Einkaufspreise beim stationären Vertrieb zur Kostendeckung dienen. Und der Hersteller kann auch kontrollieren, ob ein Produkt im Netz oder stationär verkauft wurde, und dementsprechend die Einkaufspreise anpassen. In die Verkaufspreise kann er nicht eingreifen.AH: Auch Regelungen für Plattformen gibt es jetzt in der GVO. Hybride Plattformen, also Plattformen, die sowohl vermitteln als auch selbst verkaufen, fallen nicht unter die GVO. Was bedeuten die neuen Regeln für Anbieter wie zum Beispiel Carwow?A. Woltermann: Auch hier hatte die EU-Kommission andere Anbieter im Blick, aber: Wenn ich Betreiber einer solchen Plattform wäre, würde ich meine vertikalen Vereinbarungen mal von einem Kartellrechtsspezialisten überprüfen lassen. Wenn Regelungen nicht von der Vertikal-GVO erfasst werden, heißt das ja nicht, dass diese unwirksam sind. Sie müssen dann nur im Einzelfall geprüft werden.Ausnahmen möglichAH: Mercedes-Benz und Ford wollen eine echte Agentur einführen. Bei Stellantis geht man davon aus, dass der Konzern das tun muss, weil er bei Nutzfahrzeugen einen Marktanteil von über 30 Prozent hat. Diese Schwelle hat die EU-Kommission definiert. Gibt es eine Möglichkeit, auch oberhalb von 30 Prozent beim Vertragshändlersystem oder der unechten Agentur zu bleiben?A. Woltermann: Ja, die gibt es. Es muss dann allerdings eine Einzelfallprüfung durchgeführt werden, das heißt eine Prüfung im Hinblick auf Artikel 101 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Anm. d. Redaktion). Im Wesentlichen heißt das, es wird geprüft, ob die Vereinbarungen Wettbewerbsbeschränkungen enthalten. Ich vermute, dass Stellantis dazu bereits Gespräche mit der EU Kommission führt.AH: Auch nach der neuen GVO darf der Übergrenzverkehr nicht eingeschränkt werden. Was bedeutet das für die Parallelimporte? Gibt es da Änderungen?A. Woltermann: Grundsätzlich gibt es keine Änderungen, aber für unsere Branche wird es interessant, wie sich die zunehmende Umsetzung von Agentursystemen auswirkt. Es kann problematisch werden, wenn es in einem EU-Land ein echtes Agentursystem gibt, im Nachbarland ein Vertragshändlersystem. Die Frage, ob ein Agent bei seinem Kollegen im Nachbarland, der Vertragshändler ist, Fahrzeuge beziehen kann, ist aus meiner Sicht noch nicht abschließend beantwortet. Es gibt dazu unterschiedliche Juristenmeinungen. Ich werde dieses Thema bei den Konsultationen zur Kfz-GVO vorbringen und versuchen, hier noch eine Klärung zu erreichen.Klarstellungen erhofftAH: Auch einige andere Punkte sind nach Aussagen von Experten noch nicht ausreichend geklärt in der neuen GVO. Kann noch nachverhandelt werden? Kann sich da noch etwas tun? Und wenn ja, in welchen Bereichen erwarten Sie das?A. Woltermann: Sagen wir es einmal so: Für unsere Branche gibt es noch offene Fragen zum Nebeneinander von unechten Agentursystemen und Vertragshändlersystemen. Da wären weitere Hinweise sicher hilfreich. Schön wäre es, wenn diese in die Leitlinien zur neuen (verlängerten) Kfz-GVO aufgenommen würden. Nachverhandlungen zur Vertikal-GVO gibt es aber nicht.AH: Inwiefern können Regelungen zur Kfz-GVO, die sich hauptsächlich mit Ersatzteilen und Service beschäftigt, im Vertrieb noch hilfreich sein?A. Woltermann: In der jetzt noch gültigen Kfz-GVO steht, dass im Vertrieb die damals geltende Vertikal-GVO greift. Das muss in einer neuen Kfz-GVO auf jeden Fall angepasst werden. In den Leitlinien zur jetzigen Kfz-GVO steht aber durchaus einiges zum Vertrieb. Und auch wenn nur geringfügige Anpassungen geplant sind, habe ich die Hoffnung, dass manche Themen, wie zum Beispiel das oben Genannte zum grenzübergreifenden Handel, noch aufgegriffen werden.AH: Wie schätzen Sie die Wirkung der GVO ein? Was bedeuten die jetzigen Richtlinien für die Entwicklung des Autovertriebs insgesamt?A. Woltermann: Abschließend beurteilen kann man das erst, wenn auch die Leitlinien zur Kfz-GVO vorliegen. Für unsere Branche werden beide Regelwerke ab dem 1.6.2023 greifen. Aber grundsätzlich meine ich, dass die Ausführungen der EU Kommission zu Agentursystemen und zum zweigleisigen Vertrieb zumindest für mehr Klarheit sorgen. Das wird bei den Gesprächen über die Einführung neuer Vertriebssysteme auf jeden Fall hilfreich sein.AH: Bleibt es beim Trend zu Agentursystemen?A. Woltermann: Ja, es bleibt beim Trend zu Agentursystemen. Weil in der GVO die Bedeutung eines echten Agentursystems aber nochmals ganz klar beschrieben wurde, gehe ich davon aus, dass nur ganz wenige Hersteller in das echte Agentursystem gehen werden, weil ihnen die Risiken und Kosten viel zu hoch sind. Weil die Hersteller aber die Preise kontrollieren und Zugriff auf die Kundendaten haben wollen, genauso wie die Margenkürzungen, gehe ich davon aus, dass viele in das unechte Agentursystem wechseln wollen.AH: Vielen Dank für das Gespräch!KurzfassungPreise bestimmen, Zugriff auf Kundendaten und Margenkürzungen - das wollen die Hersteller. Deswegen wollen sie mehrheitlich in die unechte Agentur gehen. In der unechten Agentur muss der Händler aber wie im Vertragshändlersystem die Möglichkeit haben, vom Preis abzuweichen.

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