Ausgabe 11/2010: Fallstricke

FallstrickeBetriebsübergang E Die Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen gemäß § 613a BGB autohaus juristen G. haug & PartnerDass sich die betriebliche Praxis mit Ein- und Ausgliederungen, Abspaltungen, Umwandlungen und Übertragung von Betriebsteilen oder ganzen Betrieben befassen muss, stellt auch für mittelständische und kleinere Betriebe keine ausgewiesene Besonderheit mehr dar. Im Hinblick auf wirtschaftliche und steuerliche Gegebenheiten sind solche Maßnahmen teilweise geboten. Bei Durchführung dieser Maßnahmen werden leider zu oft die Fallstricke des § 613a BGB nicht oder nicht ausreichend beachtet, mit der Konsequenz von Haftungsrisiken für den Übertragenden oder Übernehmenden. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH vom 12. 2. 2009 – 4 C - 466/07, Klarenberg gegen Ferrotron Technologies).Betriebsübergang gemäß § 613a BGBDer § 613a BGB wurde 1972 ins Bürgerliche Gesetzbuch eingeführt. Die später eingeführten einschlägigen EG-Richtlinien von 1977 und 1998 wurden durch die Betriebsübergangsrichtlinie 2001 / 23 EG vom 23. März 2001 aufgehoben. § 613a BGB ist seit diesem Zeitpunkt gemäß dieser Richtlinie auszulegen und unterfällt hiernach auch der Kompetenz des EuGH.Die Kernaussagen des § 613a BGB sind folgende: Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Vormalige Zeiten der Betriebszugehörigkeit werden angerechnet. Das Arbeitsverhältnis geht automatisch über. Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach dem Übergang fällig werden, als Gesamtschuldner. Werden solche Verpflichtungen nach dem Übergang fällig, haftet der bisherige Arbeitgeber unter Zurechnungsgesichtspunkten anteilig. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen des Betriebsübergangs ist unwirksam. Das Recht zur Kündigung aus anderen Gründen (personen-, verhaltens-, betriebsbedingt) bleibt unberührt. Bisheriger oder neuer Inhaber haben die von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Betriebsübergang umfangreich in vielfacher Hinsicht und in Textform zu unterrichten. Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines Betriebsübergangs gegenüber dem bisherigen oder auch dem neuen Inhaber schriftlich widersprechen. Gerade das Unterrichtungsschreiben enthält in der Praxis viele Fehler oder ist unvollständig. Dies bedeutet, dass sodann die Widerspruchsfrist des Arbeitnehmers nicht zu laufen beginnt. Der Arbeitnehmer kann daher noch viele Monate nach dem Betriebsübergang widersprechen mit den demgemäß unangenehmen Folgen für den Betriebsveräußerer. Äußerste Sorgfalt ist geboten!Rechtsprechung BAG und EuGHBei seiner ersten maßgeblichen Entscheidung 1975 ging das BAG zunächst davon aus, dass ein Betriebsübergang dann vorliegt, wenn „wesentliche Betriebsmittel vom Erwerber zur Fortführung des bisherigen Betriebs(-teils) übernommen werden“. Hierbei sollte es nicht auf das gesamte Betriebsvermögen ankommen, sondern auf den Übergang von materiellen und immateriellen Betriebsmitteln. Hierzu zählten für das BAG die Arbeitnehmer nicht. Der EuGH entschied 1994 gegen das BAG, dass es auf die Übertragung von materiellen und/oder immateriellen Betriebsmittel nicht entscheidend ankomme; diese könnten allenfalls ein wichtiges Indiz darstellen. Die zutreffende Beurteilung eines Betriebsübergangs richte sich maßgebend danach, ob eine Gleichartigkeit der vor und nach der Übertragung ausgeführten Aufgaben vorliege. Über die Jahre hinweg und bis heute wurde in einer Art „Pingpong-Spiel“ die durchaus zurückhaltende Betrachtungsweise des BAG zum Vorliegen eines Betriebsübergangs vom EuGH konterkariert. Der EuGH dehnte den Geltungsbereich eines Betriebsübergangs immer weiter aus und schuf hierbei neue Begrifflichkeiten, die von der deutschen Rechtsprechung übernommen und umgesetzt wurden. Hierbei achtete das BAG darauf, dass diese Begrifflichkeiten auch praxisnah umgesetzt werden konnten. Mit dem eingangs des Beitrags genannten Urteil des EuGH vom 12. 2. 2009 werden gesicherte Pfade erneut verlassen. War bisher davon auszugehen, dass in den so genannten Eingliederungsfällen ein Betriebsübergang immer dann zu verneinen ist, wenn der Betrieb oder Betriebsteil zerschlagen und vollständig in die Organisationsstruktur des Erwerbers eingegliedert wird (zuletzt BAG vom 6. 4. 2006 - 8 AZR 249/04), gilt dies nun nicht mehr. Nach Auffassung des EuGH liegt ein Betriebsübergang vor, wenn eine „wirtschaftliche Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit vorliegt, die nach dem Übergang ihre Identität bewahrt“. Die Wahrung dieser Identität setzt aber nicht voraus, dass „das die Gesamtheit von Personen und/oder Sachen vereinende organisatorische Band nach dem Betriebsübergang erhalten bleibt“.Bedeutung für die PraxisDie abstrakten und als nebulös zu bezeichnenden Ausführungen des EuGH führen zu nichts anderem als zu einer Verwerfung der bisher geltenden Eingliederungstheorie des BAG, wonach ein Betriebsübergang nach § 613a BGB bei einer tatsächlichen Eingliederung des zu übernehmenden Betriebes in den eigenen Betrieb des Erwerbers nicht anzunehmen war. Eine solche Gestaltungsvariante ist nach dem Urteil des EuGH vom 12. 2. 2009 nicht mehr möglich. Ein Betriebsübergang ist hiernach nur dann nicht mehr anzunehmen, wenn der Erwerber die erworbenen Produktionsfaktoren nicht mehr einsetzt und diese demnach auch nicht mehr zusammenwirken können. Es muss also mit dem erworbenen Betrieb oder Betriebsteil ein anderer wirtschaftlicher Zweck oder eine andere wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt werden. Wer daher in Zukunft eine funktionierende Betriebseinheit ausgliedert und veräußert bzw. übernimmt und in den eigenen Betrieb eingliedert, wird sich mit den Konsequenzen des § 613a BGB auseinanderzusetzen haben.Rechtsanwalt Rainer Bopp, kanzlei@raehaug-partner.deKurzfassung1. Bei einem Betriebsübergang gemäß § 613a BGB tritt der neue Betriebsinhaber in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen ein, die mit dem vormaligen Betriebsinhaber bestanden haben. Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen aus den Arbeitsverhältnissen (ggf. anteilig) als Gesamtschuldner.2. Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen des Betriebsübergangs ist unwirksam. Das Recht zur Kündigung aus anderen Gründen bleibt unberührt.3. Die Arbeitnehmer sind über den Betriebsübergang umfassend und in Textform zu unterrichten. Die Arbeitnehmer können dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den neuen Betriebsinhaber widersprechen.4. Nach der Rechtsprechung des EuGH, insbesondere aufgrund Urteil vom 12. 2. 2009, liegt ein Betriebsübergang bereits dann vor, wenn eine „wirtschaftliche Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- und Nebentätigkeit vorliegt, die nach dem Übergang ihre Identität bewahrt“. In der Konsequenz wird hierdurch eine erhebliche Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 613a BGB vorgeschrieben.Kommentar< Aufgrund mehrerer Entscheidungen des EuGH wird es in Zukunft bei der Beurteilung, ob ein Betriebsübergang im Sinne von § 613a BGB vorliegt, nicht mehr auf die Begriffe Betrieb oder Betriebsteil ankommen. Vielmehr ist zu überprüfen, ob der Übergang einer „wirtschaftlichen Einheit mit Identitätswahrung“ vorliegt. Zu berücksichtigen sind hierbei nach dem so genannten 7-Punkte-Katalog:z Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebesz Übergang immaterieller Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güterz Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangesz Übernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaberz Übernahme der Kundschaftz Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeitz eventuelle Unterbrechung dieser TätigkeitHandhabbare Kriterien für die Praxis sind nach dem Urteil des EuGH vom 12. 2. 2009 nicht mehr vorhanden. Unternehmerische Gestaltungsfreiheiten sind stark eingeschränkt, will man die gesetzlichen Folgen des § 613a BGB vermeiden. >

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