Ausgabe 07/2013: Gefühlssache

GefühlssacheSachmangel – Rücktritt vom Neuwagenkaufvertrag bei reparaturresistenten Klappergeräuschen ist möglich, wenn sie den Eindruck entstehen lassen, das Fahrzeug sei nicht verkehrssicher. Autohaus-Juristen Rechtsanwälte G. Haug & PartnerNach der ständigen Rechtsprechung zur Sachmängelhaftung ist der Käufer beweisbelastet dafür, dass ein Mangel bei Übergabe der Kaufsache vorlag und dieser Mangel trotz Nachbesserungsversuchen des Verkäufers weiter vorhanden ist. Für die Darlegung eines Mangels genügt insoweit, dass der Käufer eine bestimmte „Mangel-Symptomatik“ darlegt. Welche Ursachen zu dieser Mangel-Symptomatik führen, muss der Käufer nicht beweisen (s. hierzu Urteil des BGH vom 9. 3. 2011 – Az: VIII ZR 266/09 – besprochen in AUTOHAUS Jurist, Heft 17/2011). Mit Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt vom 28. 2. 2013 (Az: 3 U 18/12) wird diese Rechtsprechung konsequent fortentwickelt.Der FallDer spätere Kläger, ein Verbraucher, schloss mit einem Fahrzeughändler einen Kaufvertrag über einen Neuwagen. Der Kaufpreis betrug rund 33.000 Euro. Das Fahrzeug wurde Ende Januar 2008 an den Kläger ausgeliefert. Schon bald zeigten sich mehrfache Mängel, die von dem be-klagten Unternehmen zum Teil beseitigt wurden. Im Juli 2009 rügte der Kläger das Auftreten von „Klappergeräuschen“ am Unterboden des Pkw im Bereich der Vorderradaufhängung. Insgesamt soll sich das Fahrzeug nach der Behauptung des Klägers 22 Mal bei der Beklagten zu Nachbesserungsversuchen befunden haben. Die Klappergeräusche wurden jedoch nicht beseitigt. Der Kläger trat daraufhin im September 2009 vom Kaufvertrag zurück und verlangte die Rückabwicklung des Vertrages mit der üblichen Maßgabe der Anrechnung von Gebrauchsvorteilen, die der Kläger während der ganzen Zeit der Nutzung gezogen hatte. Es kam im Nachfolgenden zum Prozess, in welchem das beklagte Unternehmen vortrug, die Mängel hätten teilweise bei Übergabe des Fahrzeuges noch nicht vorgelegen, des Weiteren würden die Klappergeräusche ohnehin nur einen „unerheblichen Mangel“ darstellen. Der Kläger trug u. a. vor, er habe beim Fahrzeugbetrieb wegen der Klappergeräusche ein unsicheres Gefühl. Urteil des OLG FrankfurtDas OLG Frankfurt bestätigte das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Frankfurt, wonach der Käufer wirksam vom Vertrag zurücktreten konnte. Nach der Entscheidung des OLG kann der Defekt an einem Fahrzeug, der einem dauerhaften sicheren Betrieb entgegensteht, unabhängig vom erforderlichen Kostenaufwand für die Beseitigung dieses Defekts nicht als unerheblicher Mangel angesehen werden. Dies gilt auch für einen Mangel, der bei den Fahrzeuginsassen nur ein nachvollziehbares „Gefühl“ entstehen lässt, in dem Fahrzeug nicht sicher zu sein. Durch Sachverständigengutachten wurde im Prozess vom Kläger bewiesen, dass aus dem Bereich der Vorderradaufhängung klappernde Geräusche kamen, die zwar unregelmäßig auftraten, aber dennoch deutlich wahrnehmbar vorhanden waren. Zwar gab es die sachverständige Mutmaßung, dass die voraussichtlich anfallenden Kosten zur Beseitigung der Klappergeräusche weniger als 1 Prozent des Kaufpreises ausmachen würden – und somit in einem Bagatellbereich lagen –, die tatsäch-liche Ursache der Geräusche konnte jedoch letztlich nicht sicher festgestellt werden. Wenn jedoch – so das OLG – ein sicherer Fahrzeugbetrieb nicht auf Dauer garantiert werden kann, so stellen Klappergeräusche wie die vorliegenden unabhängig von der tatsächlichen Ursache und unabhängig von den Reparaturkosten einen Sachmangel dar. Schließlich ist die Vorderradaufhängung als sicherheitsrelevanter Fahrzeugbereich anzusehen.Rücktritt bei erheblichem MangelGrundsätzlich löst nicht jede Lieferung eines sachmangelbehafteten Kaufgegenstands ein Rücktrittsrecht des Käufers aus. Der Gegenstand muss vielmehr unter einem erheblichen Mangel leiden. Hiernach hängt die Mangel-Erheblichkeit zum einen davon ab, ob und mit welchem Kos-tenaufwand sich vorhandene Mängel beseitigen lassen. Zum anderen ist der Kostenaufwand ins Verhältnis zum vertraglich vereinbarten Kaufpreis zu setzen. Die Unerheblichkeitsschwelle des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB wird durchbrochen, wenn die Mängelbeseitigungskosten einen gewissen Prozentsatz des Kaufpreises übersteigen. Bisher sind von den Obergerichten Mängelbeseitigungskosten in einer Bandbreite von 2 bis 10 Prozent in Relation zum Kaufpreis noch als „unerheblich“ angesehen worden. Ein Urteil des BGH, das eine konkrete Prozentzahl festlegt, fehlt bisher noch. Der BGH hat bisher lediglich darüber entschieden, dass Mängelbeseitigungskosten, die nicht mehr als 1 Prozent des Kaufpreises ausmachen, nicht als erheblicher Mangel anzusehen sind. Es ergibt sich jedoch folgende Modifikation. Erheblicher Mangel trotz BagatelleNach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zuletzt Urteil vom 9. 3. 2011, Az: VIII ZR 266/09) stellen Einschränkungen der Gebrauchstauglichkeit, die nicht nur den Fahrkomfort schmälern, sondern je nach der Verkehrssituation, in der sie auftreten, darüber hinaus die Verkehrssicherheit möglicherweise beeinträchtigen können, grundsätzlich einen erheblichen Mangel dar – auch wenn sie nur sporadisch auftreten. Für die Beurteilung der Erheblichkeit eines Sachmangels ist auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abzustellen. Liegt zu diesem Zeitpunkt eine nicht aufklärbare Ursache für die Einschränkung der Gebrauchstauglichkeit eines Fahrzeugs vor, so ist bereits deshalb von einem erheblichen Mangel auszugehen, weil eine solche nicht aufklärbare Ursache für die Störung eines Fahrzeugbetriebs für einige, wenn nicht gar für die meisten Interessenten ein Grund sein kann, vom Kauf Abstand zu nehmen. Ein solchermaßen festgestellter erheblicher Mangel wird auch dadurch nicht zu einem unerheblichen Mangel, wenn sich nach Erklärung des Rücktritts als sicher herausstellt, dass ein vorhandener technischer Defekt mit geringen Mitteln behoben werden kann und somit eigentlich eine Bagatelle darstellt. ■Rechtsanwalt Rainer Bopp kanzlei@raehaug-partner.deKurzfassung1. Nach dem Urteil des OLG Frankfurt vom 28. 2. 2013 ist ein Sachmangel an einem Fahrzeug, der einem dauerhaft sicheren Betrieb entgegensteht, unabhängig von der Höhe der Mängelbeseitigungskosten als erheblicher Mangel anzusehen. 2. Dies gilt auch für einen Mangel, der bei den Fahrzeuginsassen nur ein nachvollziehbares „Gefühl“ entstehen lässt, in dem Fahrzeug nicht sicher zu sein. 3. Für die Beurteilung der Erheblichkeit eines Sachmangels ist auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abzustellen. 4. Ein zunächst festgestellter erheblicher Mangel wird nachträglich nicht zu einem unerheblichen Mangel, wenn sich nach Erklärung des Rücktritts herausstellt, dass zur Mängelbeseitigung nur ein geringer Kostenaufwand erforderlich ist und somit eigentlich eine Bagatelle vorliegt. Kommentar< Seit Einführung des neuen Schuldrechts zum 1. 1. 2002 ist die Frage, was einen Sachmangel im Rechtssinne ausmacht, einem ständigen Wandel durch die Rechtsprechung unterzogen. Zwar gilt nach der gesetzlichen Ausgangslage des § 476 BGB nach wie vor, dass der Käufer darzulegen und zu beweisen hat, dass überhaupt zum Zeitpunkt der Fahrzeugübergabe ein Sachmangel vorlag. Allerdings hat die Rechtsprechung über den Lauf der letzten Jahre hinsichtlich der Beurteilung der Frage, ob von einem Sachmangel auszugehen ist, zugunsten der Verbraucher etliche Erleichterungen hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast geschaffen. Ein Ende hierzu dürfte wohl kaum abzusehen sein. >Recht + Steuern

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