Quo Vadis Automobilhandel?: Impulse für 2024

Das kommende Jahr ist kein Jahr für Angsthasen. Der deutsche Automobilhandel blickt auf fette Jahre zurück und befürchtet ein schwierigeres, neues Jahr. Zusammengefasst: Die neue Normalität verspricht in 2024 die alte Wirklichkeit zu werden. Was müssen Autohausmanager tun, um sich auf die alte Wirklichkeit vorzubereiten? Im Folgenden werden die ökonomischen Rahmenbedingungen und die Branchenentwicklung reflektiert, Gelegenheiten und Gefahren abgewogen und Handlungsempfehlungen für den Automobilhandel abgeleitet. Die Welt im Umbruch Die makroökonomische und politische Großwetterlage droht mit der Fortsetzung stürmischer Zeiten. Welche Einflussfaktoren gilt es zu beurteilen, wenn man die richtigen Ableitungen für das eigene Autohaus betreibt? Deutschland hat sich auf den exklusiven Abstiegsplatz der 27 EU-Länder eingerichtet. Die aktuelle Wirtschaftsleistung zwischen Flensburg und Garmisch erreicht gerade mal das Niveau vor der Corona-Pandemie. Gleichzeitig erhöhte der Fiskus seine Schulden zwischen 2019 und 2022 um ca. 470 Milliarden Euro, um ökonomische und soziale Verwerfungen großzügig abzuwenden. Kurzum: Außer Schulden nichts geworden! Nachdem das Bundesverfassungsgericht den schuldengetriebenen Schattenhaushalten ein jähes Ende bereitete, droht dem Bundeshaushalt für 2024 Ungemach. Die verfassungsrechtliche Beschränkung der Nettokreditaufnahme durch die Schuldenbremse verhindert haushaltspolitische Ausweichmanöver. Politisch führt das zu einer Zerreißprobe der Ampel-Koalition. Es verhält sich wie in einer schwierigen Ehe: Solange das Geld reicht, um in einer Parallelwelt spendabel eigene Ziele zu verfolgen, hält der brüchige Kitt die widerstreitenden Partner zusammen. Erweitert sich der Ehestreit auf das knapper werdende Geld und Vermögen, fordert die Auseinandersetzung im schlimmsten Fall das vorzeitige Eheaus. Die aktuellen Konjunkturaussichten prognostizieren nach einem rezessiven zweiten Halbjahr 2023 ein schwachbrüstiges Wohlstandswachstum in 2024. Allein der Glaube daran fällt schwer, wenn man die aktuelle, boykottähnliche Konsumzurückhaltung zum Maßstab erklärt. Eine innere, nörgelnde Stimme hinterfragt hartnäckig die publizierten Wachstumsvorhersagen und raunt über offizielle Aussichten, die zweckoptimistisch auf Sand gebaut seien. Der weltweite Wirtschaftsausblick versprüht eher Unsicherheit denn Zuversicht. Für die deutsche Automobilindustrie sind das keine guten Nachrichten. Der Goldesel China scheidet kleinere Münzen aus. Im Preiskampf um die preiswertesten Elektroautos ziehen die Deutschen den Kürzeren. Die Wirtschaftsweisen schreiben dem Land ins Stammbuch, dass man mit schmerzhaften, strukturellen Problemen konfrontiert sei, die über eine temporär schwache Konjunktur hinausgehen. Das Produktionspotenzial, also die Normalauslastung der gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten, droht mit einem Nullwachstum. Die demographische Alterung der Bevölkerung, die Verknappung der Arbeitskräfte, weltweit nicht wettbewerbsfähige Energiekosten und der rückläufige Modernisierungsgrad des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks sorgen für eine Erosion der industriellen Basis. Das deutsche Geschäftsmodell erzeugte bis dato sehr erfolgreich weltweit das fünffache Bruttoinlandsprodukt seiner Einwohnerzahl. Die globale Vernetzung, eine hohe technologiegeprägte Produktsubstanz, internationale Lieferketten und Absatzmärkte beherrschen deutsche Unternehmen, insbesondere die Automobilindustrie ganz meisterhaft. Die Außen- und Wirtschaftspolitik des "Decoupling" und "Derisking" durch die großen Wirtschaftsblöcke USA und China, also die Entkopplung der Weltwirtschaft, bedrohen das Wohlstandsfundament unseres Landes. Parallel führt die Regionalisierung der Wertschöpfungsketten zu neuen Industrieansiedlungen auch bei uns. Gute Beispiele liefern Tesla und Intel. In diesem Grau in Grau bietet ausgerechnet der Kapitalmarkt einen Lichtblick. Der Inflationsrückgang brachte die Zentralbanken dazu, die Leitzinsen nicht weiter zu erhöhen. Eine rückläufige Inflation bietet Anlass zur Hoffnung, dass das auch in 2024 so bleibt. Mit etwas unbedarftem Optimismus darf man gar auf eine sukzessive Leitzinssenkung hoffen. Neue Normalität und alte Wirklichkeit Was bedeuten diese Erkenntnisse und Annahmen für die Automobilhandelsbranche? Unsicherheiten sind das Gift, das unsere Kunden lähmt. Sowohl die globalen und innenpolitischen Vorzeichen wie auch die globalen und nationalen ökonomischen Perspektiven befeuern nur eingeschränkt den Investitionswillen der Autohauskunden. Die steilen Preiserhöhungsstufen bei Neu-, Jahres- und Gebrauchtwagen, die die Transaktionspreise und die Leasingraten in die Höhe trieben, gehören der Vergangenheit an. Die alte Wirklichkeit kehrt zurück: Überproduktion, Lagerdruck, Vertriebsdruck provozieren Preisnachlässe bei Neuwagen. Diese Nachlässe sorgen für Ertragsdruck bei den Herstellern und im Handel. Kaskadenartig notieren wir einen Wertverfall der Vorführ-, Jahres- und Gebrauchtwagen. Die üppigen Gebrauchtwagenerträge bauen sich erkennbar ab. Bruttoerträge von deutlich über 15 Prozent waren keine Seltenheit. Bereits seit einigen Monaten blicken die Gebrauchtwagenmanager auf schrittweise rückläufige Umsätze und Erträge zurück. Es bleibt die Hoffnung, dass die alten Zeiten schwacher Gebrauchtwagengewinne nicht zurückkehren. Elektrisch betriebene Leasingrückläufer verdienen besondere Managementaufmerksamkeit. Die fortschreitende technologische Entwicklung des elektrischen Antriebsstrangs lässt die Fahrzeuge schneller altern und die Marktpreise fallen. Die Kapitalmarktzinsen haben hoffentlich ihren Höhepunkt erklommen. Gegebenenfalls senken die Automobilbanken absatzfördernd ihre Konditionen im Jahresverlauf. In der Wholesales-Finanzierung, also bei der Finanzierung der Fahrzeugbestände, müssen sich die Finanzmanager in den Autohäusern auf höhere Zinsaufwendungen einstellen. Immerhin verwirklicht sich erst im nächsten Jahr der "Full-Year-Effect" gestiegener Zinsen. In unseren Szenarien gehen wir von einer Erhöhung der Zinsaufwendungen von 30 bis 40 Prozent aus. Die Politik der De-Globalisierung führt bei den Automobilherstellern zu unmittelbaren Schwierigkeiten. Strafzölle und nicht-tarifäre Handelshemmnisse, das Verbot von Datentransfers, die Export- und Importlimitierung seltener Erden treiben die Herstellkosten in die Höhe. Der Automobilhandel kommt nicht ungeschoren davon, sondern darf sich an dem Kostendruck durch verringerte Margen beteiligen. Autohausmanager müssen sich geostrategisch weiterbilden. Die Manager internationaler Automobilhersteller bedienen sich interner Expertisen, um sich geopolitisch zu wappnen. Regional bzw. lokal agierende Automobilhandelsmanager müssen lernen, die weltweiten politischen, ökonomischen, ökologischen und sozialen Einflüsse auf ihr örtliches Geschäft einzuordnen. Die Personalkosten steigen vielerorts weiter und fordern Produktivitätsfortschritte. Die vereinbarten Tariferhöhungen zeigen 2024 ihre ganzen kostentreibenden Auswirkungen. Wir gehen von einer Erhöhung der Personalkosten von rund fünf bis zehn Prozent aus. Der Automobilhandel muss sich ernsthaft mit den Chinesen auseinandersetzen. Jörg Wuttke, der langjährige Präsident der EU-Handelskammer in China, warnte zuletzt vor einem "Auto-Tsunami". Die chinesischen Produktionskapazitäten sind auf 50 Millionen Fahrzeuge ausgelegt. Nur der - noch bis 2025 - fehlende Schiffsraum verhindert, dass die Überkapazität von mehr als 25 Millionen Pkw, Lkw und Busse Europa erreichen und einen Preiskrieg anzetteln. Wertschöpfungsdruck erzeugt Diversifizierungsdruck. Die traditionellen Automobilhersteller in Europa werden mit dem bangen Blick auf den schonungslosen Verteilungskampf um Märkte, Kunden und Technologien die Vertriebskosten weiter massiv senken. Nicht umsonst wurden viele Händlerverträge gekündigt, Netzausdünnungen adressiert, Händlermargen gekürzt, Agenturverträge geschlossen. Freiwerdende Showroom- und Außenflächen stellen den Automobilhändlern die bohrende Frage, ob er in neue Marken mit exotischen Namen investieren muss, die ihren vollmundig angekündigten Produkt- und Vertriebserfolg erst noch beweisen müssen. Möglicherweise bieten insbesondere die neuen asiatischen Marken dem Handel die Gelegenheit, jene Kunden weiterhin mit einem Automobil auszustatten, deren Portemonnaie lediglich ein niedrigpreisiges zulässt. Diejenigen Handelsunternehmen, die sich bereits mutig und vorausschauend mit einem umfassenden Mobilitätsangebot hervortun, lernen, dass das Geschäft mit Scootern, Rollern, E-Bikes, Mikromobilität ebenso viel operative Aufmerksamkeit fordert wie das um das Vielfache größere Automobilgeschäft. Rahmenbedingungen und ökonomische Logiken wie Personalmangel, Skaleneffekte und Kundenbeziehungen gelten hier wie da. Schwache Konjunkturaussichten, unsichere Politikperspektiven, nervöse Automobilhersteller, zurückhaltende Kunden und fordernde Mitarbeiter sind wie Öl im Feuer der Branchenkonsolidierung. 2024 wird das Jahr der Übernehmer. Der Transaktionsmarkt im Automobilhandel nimmt weiter Fahrt auf. Allerdings wird der Appetit durch hohe Kapitalkosten, unsichere Aussichten und die verhandelten Unternehmenskaufpreise durch skeptische Markt- und Umsatzprognosen beschränkt. Aufgabe 1: Reduktion von Verschuldung und Ausfallrisiken durch Kapitaleffizienz Drohenden Wertabschlägen zu teuer eingekaufter Gebrauchtwagen oder langstehender Neu- und Vorführwagen kann man nur verlustmindernd begegnen, wenn man schnell handelt. Es gilt eine nüchterne Preisprognose auf den aktuellen Fahrzeugbestand zu erstellen. Drohende Verlustbringer gehören auf die Schnäppchenliste und sollten mit maximaler Vertriebskonzentration vermarktet werden, bevor sich der Wettbewerb über eigene hohe Standzeiten beugt und panisch Abverkäufe realisiert. Der angenehme Nebeneffekt der Bestandsbereinigung ist die Verringerung der Kurzfristverschuldung und damit die Verringerung der teuren Finanzierungskosten. Eine permanente radarhafte Marktbeobachtung und eine "Watchlist Bad Stocks" soll verhindern, dass die nächsten Bestandsprobleme so teuer werden wie die gerade behobenen. In einem wöchentlich tagenden Steuerkreis "Bestände" gilt es, Risiken zu lokalisieren, Vertriebsmaßnahmen zu ergreifen und zu hinterfragen. Aufgabe 2: Risikostrategie E-Rückläufer BEV- und PHEV-Leasingrückläufer bedürfen besonderer Aufmerksamkeit der Autohausleitung. In einer "Watchlist EV" werden die zu erwartenden EV-Fahrzeugrückläufer nach ihrem Vermarktungs- und Ertragsrisiko beurteilt. Nur schwer vermarktbare EV-Fahrzeuge werden den Leasingnehmern preiswert angedient. Aufgabe 3: Produktivitätsoffensive In die Höhe schießende Personalkosten, fehlende Fachkräfte und zunehmender Ertragsdruck fordern die erneute, intensive Beschäftigung mit den Kernprozessen Serviceannahme und -abwicklung, Verkaufsinnendienst und Disposition, Fahrzeugaufbereitung und -übergabe, Vorführwagenhaltung und -management, Gebrauchtwagenhereinnahme und -reparatur. Während im Übrigen im neuen Geschäftsjahr strenge Budgetbeschränkungen gelten, soll die IT-Abteilung eine Aufwertung erfahren. Es gilt, systematisch Prozess-Automationen und Schnittstellenoptimierungen zu prüfen. Hierbei bedient man sich der Organisationsprinzipien der Softwareentwicklung, um Geschwindigkeit und Umsetzung zu gewährleisten. Aufgabe 4: Strategische Kompetenz Die veränderten übergeordneten Rahmenbedingungen, die veränderte Vertriebspolitik der Automobilhersteller und das neue Markenangebot verlangen vom Autohausmanagement eine Professionalisierung strategischen Denkens. Die eigene Pfadabhängigkeit, also das Denken in alten Geschäften und lineare Fortschreibung bestehender Marken und Geschäftsfeldern in die Zukunft, gilt es, abzuwehren. Mit seinen wichtigsten Leistungsträgern, vertrauten Beratern und Vordenkern regt ein kreativer Workshop die Beteiligten an, systematisch über die Zukunft des eigenen Autohauses nachzudenken. Aufgabe 5: Markenportfolio und Standortentscheidungen überdenken In Zeiten darwinistischer Netzstrategien durch die Automobilhersteller ist eine offensive und offene Beziehungspolitik gegenüber der Vertriebs- und Netzleitung der Vertriebsgesellschaften noch wichtiger. Es gilt das Ohr am Hersteller und deren Protagonisten zu haben und die auch widerstreitenden Botschaften richtig zu entschlüsseln. Methodisch und systematisch sollte die Erweiterung des bestehenden Markenportfolios geprüft werden. Es stehen die abzuwägenden Schlüsselfragen im Raum: Welche Skalen- und Verbundeffekte verspricht und welche Komplexitäts- und Kapitalkosten produziert eine neue Marke? Reichen die bestehenden Flächen und Werkstattkapazitäten aus, um der neuen Marke und der bestehenden gerecht zu werden? Aufgabe 6: Wertschöpfung verbreitern und vertiefen Die rückläufigen Margenerwartungen und freiwerdende Kapazitäten verlangen vom Autohausmanagement die systematische Ausweitung bestehender oder neuer Wertschöpfungsquellen. Die vertikale Wertschöpfungsstrategie verlangt, bestehende Geschäftsfelder noch besser auszuschöpfen, indem die betroffenen Abteilungen professionalisiert werden und Vertriebs- und Marketingmaßnahmen effizienter eingesetzt werden. Summa summarum Der Automobilhandel steht grundsätzlich vor drei strategischen Optionen, die sich ihm bieten: Der Aussteiger verkauft sein Autohausunternehmen. Der Endspieler expandiert durch den Zukauf bestehender Autohausunternehmen. Der Stratege sucht den Zusammenschluss mit benachbarten Handelsunternehmen. Die neue Normalität, die die Branche heimsucht, beschreibt sich als Mischung aus übergreifenden Megatrends und branchenspezifischen Veränderungen. Wie ein perfekter Sturm überdeckt die neue Normalität in ihrer Gleichzeitigkeit früher oder später jedes Autohaus. Es gilt, sich rechtzeitig mit der Frage auseinanderzusetzen, welche strategische Option für das eigene Autohaus die richtige ist. Dafür lohnen sich die besinnlichen Tage, die sich uns wie alle Jahre ankündigen. Viel Erfolg! NORBERT IRSFELD Norbert Irsfeld ist geschäftsführender Gesellschafter der Prudentes Management GmbH. Das Team unterstützt Autohausunternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer Strategien, berät Inhaber und Gesellschafter, die ihr Unternehmen verkaufen wollen oder extern wachsen, setzt interimistisch Geschäftsführer oder Vertriebsexperten ein und unterstützt Autohäuser in Schieflagen. Norbert Irsfeld ist Lehrbeauftragter für Autohausstrategien an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen. Im Podcast Zukunft Automobilwirtschaft tauschen sich Experten mit Prudentes über die neuesten Entwicklungen aus. Norbert Irsfeld c/o Prudentes Management GmbH, Neumayerring 33, 67227 Frankenthal Telefon: +49 62 33 355 889 0 E-Mail: norbert.irsfeld@prudentes.de

ZDK zum Bürokratieabbau: "Der Kfz-Meister wird in der Werkstatt gebraucht"

Nach 30 Jahren als Geschäftsführer: Philip Pfohe räumt Chefsessel

BMW Deutschland: Customer Support unter neuer Leitung

Verbrennungsmotor: Aston Martin sieht noch Potenzial

Dekra: Neuer Geschäftsführer in Österreich

Alle Schlagzeilen

Quo Vadis Automobilhandel?: Impulse für 2024

WEITERLESEN

NEWSLETTER