Ausgabe 17/2010: Netzbewegungen

NetzbewegungenHändlernetze E Die Anzahl von Vertriebs- und Servicestandorten in Europa hat sich kaum verändert, gewandelt haben sich die Eigentümerstrukturen. von Prof. Dr. Susanne Royer und Dr. Uwe StratmannDie neueste Ausgabe des European Car Distribution Handbook enthält einen detaillierten Überblick über Vertriebs- und Servicenetzentwicklungen von 35 Fabrikaten für den gesamten europäischen Marktraum (siehe Kasten rechte Seite oben). Insgesamt hat sich die Zahl der Vertriebs- und Servicepartner in den letzten zehn Jahren zwar deutlich reduziert (siehe Abb. 1), der eigentliche Konsolidierungsprozess fand jedoch zum großen Teil bereits zwischen 1999 und 2004 statt. Seitdem stabilisieren sich die Vertriebs- und Serviceorganisationen. Im direkten Vergleich der Jahre 2004 und 2009 gibt es sogar wieder mehr Vertriebs- und Servicestützpunkte in Westeuropa.Zwar ist die Zahl an Betriebsstätten in den letzten fünf Jahren relativ stabil geblieben, verändert haben sich jedoch die Eigentümerstrukturen. Eine aktuelle Händlergruppenstudie des International Car Distribution Programmes (ICDP) zeigt bis 2008 eine stetig zunehmende Bedeutung für Gruppenbetriebe. Dieses geht mit einer Konzentration der Eigentümerstrukturen und dem wachsenden Einfluss einzelner Unternehmen einher. Dieser Trend hat sich im letzten Jahr allerdings nicht fortgesetzt: Die 50 größten Handelsgruppen in Deutschland, Italien und Großbritannien haben 2009 an Marktanteilen verloren, da einige Top-Gruppen komplett ausgeschieden sind oder Filialen und Unternehmensbereiche abgestoßen haben. Generell ist jedoch vor allem für Märkte wie Deutschland, Italien und Frankreich langfristig von einem weiter (moderat) steigenden Einfluss durch Gruppenbetriebe auszugehen. Lediglich Großbritannien hat sich seit mehr als fünf Jahren auf einem Niveau von 33 Prozent Neuwagen-Marktanteil für die Top 50 Gruppen eingependelt. Eine voranschreitende Konzentration ist hier also eher unwahrscheinlich.Insgesamt haben sich vor allem in den westeuropäischen Märkten weniger die allgemeinen Netzstrukturen verändert, als vielmehr die Eigentümerverhältnisse sowie die Bedeutung einzelner Fabrikatsorganisationen (z. B. wachsende Händlernetze koreanischer Marken). Auf der Ebene einzelner Märkte sind ebenfalls Veränderungen zu erkennen.Ost- und Mitteleuropa Wachsende Vertriebs- und Serviceorganisationen finden sich in erster Linie in den aufstrebenden mittel- und osteuropäischen Automobilmärkten. Während sich beispielsweise die Vertriebsnetzstrukturen in Polen eher evolutionär entwickeln, wachsen sie in Märkten wie Litauen und Lettland überdurchschnittlich. Die Handelsorganisationen in diesen zwei Märkten befinden sich jedoch in einem frühen Entwicklungsstadium, sodass sich relativ leicht hohe Wachstumsraten ergeben. Für den Aufbau von Handelsnetzen in neuen Märkten greifen die Automobilhersteller zunehmend auf die Filialstrukturen von Händlergruppen zurück. Für Russland zeigen ICDP-Studien, dass in den Automobilzentren Moskau, St. Petersburg und Kaliningrad bereits wenige Gruppen die Handelslandschaft dominieren.Bei der Analyse der Handelsorganisationen stechen einzelne Marken hervor, die ihre Netze deutlich verschlankt oder ausgebaut haben (siehe Abb. 2). Dabei sind die strategischen Zielsetzungen beziehungsweise Auslöser einer Netzkonsolidierung sehr unterschiedlich. Zentrale Ziele sind in diesem Zusammenhang:Konzentration auf weniger, aber größere Händler zur Erzielung von Skalenvorteilen und zur Steigerung der Profitabilität der einzelnen Händler,weniger Intra-Brand-Wettbewerb,Ansprache finanzstarker und investitionsfreudiger Unternehmen zur Umsetzung bestimmter Vertriebs- und Servicestandards sowie dieReduktion der Koordinations- und Transaktionskosten für die Hersteller.Des Weiteren können viele kleinere Händler die explodierende Modellvielfalt einiger Fabrikate aus Kosten- und Platzgründen nicht mehr bewältigen, was eine Konzentration in den Netzen fördert. Audi, BMW, MercedesEine starke Netzkonzentration bei gleichzeitiger Steigerung des Neuwagenabsatzes pro Betrieb haben vor allem die deutschen Premiumfabrikate erreicht. Durch die Netzkonsolidierung setzt Audi in Westeuropa 426 Neuwagen pro Betrieb ab (ohne Berücksichtigung der Vermittler), was nahezu eine Verdopplung im Verlauf der letzten fünf Jahre bedeutet. Audi hat jedoch weiterhin überdurchschnittlich viele Servicepartner.Auch BMW konnte den Neuwagenabsatz pro Vertriebspartner zwischen 2003 und 2009 um mehr als 30 Prozent steigern (369 Neuwagen pro Betrieb). Mercedes-Benz hat traditionell ein vergleichsweise schlankes Vertriebsnetz mit großen Betrieben (343 Neuwagen pro Betrieb). Vom Effizienzgesichtspunkt her ist dieses höchst relevant, da sich mit wachsenden Verkaufszahlen pro Betrieb Möglichkeiten der Fixkostendegression ergeben.Der Fabrikatsdurchschnitt in den 16 westeuropäischen Märkten liegt bei lediglich 254 Neuwagen pro Betrieb (A- und B-Händler). Diese Zahl ist vor dem Hintergrund wachsender Investitionsansprüche und der hohen Wettbewerbsintensität aus ökonomischer Perspektive überaus kritisch zu bewerten. In einigen Fällen ergeben sich kleinere Netze nicht aus strategischen Netzentscheidungen, sondern aus Gründen rückläufiger Absatz- und Servicevolumen. Einige Fabrikate haben im Zuge nachhaltiger Marktanteilsverluste mit hohen Überkapazitäten in ihren Vertriebs- und Serviceorganisationen zu kämpfen. Auffällig ist in diesem Zusammenhang die wachsende Wechselbereitschaft von Händlern gesättigter/schwacher Marken hin zu neuen beziehungsweise aufstrebenden Fabrikaten.Ein auffälliger Netzausbau ist vor allem für Chevrolet, Dacia, Hyundai und Kia festzustellen. Als Vertriebs- und Servicepartner hat Dacia beispielsweise Renault-Partner fokussiert, um Synergien sowohl für den Hersteller als auch für die Handelspartner zu erzielen. Für den schnellen Aufbau eines flächendeckenden Vertriebsnetzes werden in diesem Zusammenhang relativ geringe Standards definiert.Einfluss der GVO 1400/2002Gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen Diskussionen zur GVO stellt sich die Frage nach dem Einfluss der GVO 1400/2002 auf die Netzstrukturen und -entwicklungen. Festzustellen ist der rapide Anstieg von Servicepartnern nach Einführung der GVO 1400/2002 im Jahr 2002. Eine Vielzahl von ehemaligen Vollfunktionshändlern hat den damals neu eingeführten Kontrahierungszwang im Service genutzt, wodurch die Reparaturnetze stark wuchsen. In diesem Kontext zeigt sich eine direkte Konsequenz der bisherigen GVO, die eine spezifische Behandlung des Vertriebs- und Servicebereichs initiierte. Ein Bestandteil war der Wegfall der quantitativen Selektionsmöglichkeit für den After-Sales-Bereich. Insgesamt sind die direkten Konsequenzen jedoch gering. Hinsichtlich des Mehrmarkenhandels ist beispielsweise festzustellen, dass vor allem Händlergruppen mit einer Vielzahl unterschiedlicher Fabrikate zusammenarbeiten. Präferiert werden von den Unternehmen jedoch weiterhin markenexklusive Showrooms, wenngleich ein Trend hin zu Mehrmarkenbetrieben beispielsweise in ländlichen Gebieten auszumachen ist. Auch ist der anhaltende Konsolidierungstrend auf Ebene der Vollfunktionshändler nicht als direkte Konsequenz der GVO 1400/2002 zu bewerten. Fazit und AusblickZusammenfassend zeigt die Studie einen geringen Konsolidierungstrend. In den Vertriebsnetzen ist oft nur schwer eine notwendige Profitabilität zu erreichen, da zunehmende Investitionsanforderungen und Wettbewerbsintensitäten auf vergleichsweise kleine Betriebe treffen. In ländlichen Gebieten werden deshalb Agentur- und Vermittlerstrukturen weiter an Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die Zahl der Vollfunktionshändler weiter zurückgehen wird. Herstellereigene Niederlassungen werden weiter in erster Linie solche Marktregionen abdecken, die durch Vertragshändler nicht profitabel betrieben werden können. Ein Trend hin zu einer direkten vertikalen Integration durch die Automobilhersteller ist jedoch nicht zu erkennen (siehe dazu auch AUTOHAUS 7/2010, Seite 32: „Paläste in roten Zahlen“). zLesen SIe hier...... welche Trends sich in verschiedenen Ländern für unterschiedliche Marken abzeichnen. Audi, BMW und Mercedes setzen durch weniger, aber größere Betriebe immer mehr Neuwagen pro Standort ab, der weiterhin geringe europäische Durchschnittsabsatz ist aber kritisch. KurzfassungDie neueste Ausgabe des European Car Distribution Handbook umfasst alle Daten zu den europäischen Händlernetzen und stellt im Einzelnen die Vertriebs- und Serviceorganisationen von 35 Automobilfabrikaten für 39 Märkte dar. In diesem Beitrag werden einige der zentralen Studienergebnisse dargestellt. Auf Gesamtmarktebene zeigt sich sowohl im Vertrieb wie auch besonders im Service nur eine geringe Konsolidierungsbewegung. Im Verlauf der letzen fünf Jahre sind viele Handelsorganisationen sogar wieder gewachsen. Die fabrikatsspezifische Analyse zeigt in diesem Kontext allerdings sehr heterogene Strukturen und Trends.Veränderungen Abb. 2Veränderungen in den Vertriebsorganisationen in Westeuropa (A- und B-Händler) im Zeitraum 2003 bis 2009:Audi-38%Opel-Vauxhall-17%Nissan-25%Volkswagen-21%Chevrolet+17%Dacia (zw. 2007-2009)*+50%Hyundai+20%Kia+40%*2003 war vor dem Markteintritt Dacias Quelle: ECDH 2009Das HandbuchDas „European Car Distribution Handbook“ mit den aktuellen Strukturdaten und Trends zu den Vertriebs- und Servicenetzen von 35 Fabrikaten in 39 Märkten kann über HWB International (www.hwbinternational.co.uk) bezogen werden. Bestellungen bitte an: jonathanbrown@hwbinternational.co.uk.Für weitere Informationen steht Ihnen Dr. Uwe Stratmann als Ansprechpartner zur Verfügung:uwestratmann@icdp.net oder Tel. (0461) 805 25 43.

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