Ausgabe 07/2010: Paläste in roten Zahlen

Paläste in roten ZahlenDirektvertrieb in Europa E Streben die Hersteller immer mehr Niederlassungen an? Wie erfolgreich sind sie? von Prof. Dr. Susanne Royer und Uwe StratmannIn der letzten Dekade zeigte sich eine zunehmende Einflussnahme der Automobilhersteller auf den Distributionsbereich. Nach Einführung der GVO 1400/2002 verstärkten die Hersteller durch erhöhte Standards und vertragliche Regelungen die indirekte Kontrolle über den Handel. Zusätzlich bauten einige Automobilhersteller ihren Direktvertrieb über eigene Niederlassungen aus. Ähnliche Entwicklungen hin zu einer zunehmenden Vorwärtsintegration lassen sich in anderen Branchen wie beispielsweise der Textilbranche beobachten. Eine aktuelle Studie des International Car Distribution Programmes (ICDP) untersucht vor diesem Hintergrund die Niederlassungsstrategien in den europäischen Kernmärkten.Die Bedeutung der herstellereigenen Vertriebsstützpunkte ist in den europäischen Märkten sehr unterschiedlich. Einen vergleichsweise starken Einfluss auf die Vertriebslandschaft haben herstellereigene Niederlassungen in Deutschland und Frankreich (siehe Abb. 1). Während in Deutschland etwa 15% und in Frankreich 18% der gesamten Neuzulassungen über diese Kanäle vertrieben werden, haben die Herstellerniederlassungen in Italien sowie in Großbritannien einen Anteil von lediglich 7%. Der hohe Niederlassungsanteil in Deutschland und Frankreich ist unter anderem mit den überdurchschnittlichen Eigenvertriebsaktivitäten der heimischen Automobilhersteller zu erklären.Mercedes: 120 eigene BetriebeVon den deutschen Automobilherstellern ist Mercedes-Benz mit einer besonders hohen Zahl eigener Niederlassungen in Europa vertreten. In Deutschland setzt Mercedes über 34 Niederlassungsverbände mit insgesamt 120 Betrieben deutlich mehr als die Hälfte aller Neuwagen ab. Auch in den übrigen EU-4-Märkten baut das Unternehmen stark auf Niederlassungen. Der Marktanteil der Mercedes-Betriebe ist außerhalb Deutschlands allerdings deutlich geringer. In Frankreich und Großbritannien setzt die Marke weniger als 20% aller Neuzulassungen über eigene Niederlassungen ab. Allerdings ist dies im Vergleich zu den Wettbewerbern immer noch überdurchschnittlich.Volkswagen hat die eigenen Niederlassungsstrukturen erst in den letzten zehn Jahren stark ausgebaut. Umfassende Integrationsmaßnahmen führte Volkswagen vor allem mit der Übernahme zahlreicher ehemals eigenständiger Autohäuser im Jahr 2006 durch. Jüngst wurde mit der Übernahme der Münchener Handelsgruppe MAHAG die Zahl der eigenen Betriebe weiter erhöht. Diese Vorwärtsintegration verfolgte Volkswagen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich und Italien (hier jedoch in geringeren Umfängen). Trotzdem ist der Marktanteil der Volkswagen-eigenen Betriebe in allen drei Märkten noch relativ gering. Weniger als 10% der Neuwagen werden über die herstellereigenen Niederlassungen abgesetzt.PSA und Renault stark in Frankreich Ähnlich wie Mercedes verfolgen die französischen Marken Renault und Peugeot seit vielen Jahren eine umfassende Eigenvermarktungsstrategie. Im französischen Heimatmarkt setzen Renault und Peugeot etwa 30% des gesamten Neuwagenabsatzes durch Eigenbetriebe ab, Citroen gar 35%.Auffällig ist der hohe Neuwagenabsatz pro Niederlassung. Die Hersteller besetzen vor allem strategisch bedeutende Metropolstandorte mit eigenen Niederlassungen. Dadurch werden mit einer relativ geringen Zahl an Betriebsstätten hohe Absatzvolumina erzielt. Während beispielsweise in Deutschland die Zahl der Niederlassungen weniger als 5% vom gesamten Handelsnetz ausmacht, verkauft Renault in Deutschland etwa 15% aller Neuwagen in Eigenregie. Für Renault beflügelt die Marke Dacia zusätzlich den Absatz. Dacia ist analog zum Vertragshandelsnetz in das Renault Niederlassungssystem integriert, d. h. an nahezu allen Renault-Niederlassungen werden auch Modelle der Marke Dacia vertrieben. Eine ähnliche Strategie verfolgt Fiat mit den Konzernmarken Alfa Romeo und Lancia. Insgesamt integrieren Hersteller oftmals eigene volumenschwache Fabrikate in das Niederlassungsnetz der jeweiligen Hauptmarke.Beispiele für DesintegrationEin genereller Integrationstrend über werkseigene Niederlassungen ist auf europäischer Ebene allerdings nicht zu erkennen. Dieser ist auf einzelne Marken und Märkte beschränkt. Nur wenige Hersteller sind beispielsweise in allen vier Kernmärkten mit eigenen Niederlassungen vertreten (siehe Tabelle). Während manche Hersteller das Niederlassungsnetz in den letzten Jahren stabil gehalten beziehungsweise ausgebaut haben, gibt es auch Beispiele einer Desintegration ehemals herstellereigener Betriebe. So hat Fiat die Zahl der eigenen Betriebe in Deutschland reduziert und Nissan hat sich in Deutschland nach einem relativ kurzen Ausflug in das Direktvermarktungsgeschäft wieder von der Niederlassungsstrategie verabschiedet. Die ehemals zehn Nissan-Niederlassungen wurden seit 2007 wieder in das Vertragshandelsnetz eingegliedert.Generell gestaltet sich eine Desintegrationsentscheidung für viele Automobilhersteller jedoch schwierig. Investoren sind für die Herstellerbetriebe schwer zu finden, was vor allem auf die hohen standort- und baubedingten Kosten sowie die geringe Rentabilität zurückzuführen ist. Die erfolgreiche Umsetzung einer Niederlassungsstrategie im Automobilvertrieb erscheint im Unterschied zu anderen Branchen eher schwierig. Beispiel TextilbrancheEin Blick in die Textilbranche zeigt einen überdurchschnittlichen Erfolg für Filialunternehmen. Eines der erfolgreichsten Unternehmen in dieser Branche ist die spanische Inditex Gruppe mit der Kernmarke „Zara“. Vor allem in hochpreisigen City-Lagen besitzt Zara eigene Verkaufsstätten und setzt mit 1.300 Filialen (über 80% des Vertriebsnetzes) in 73 Ländern konsequent auf eigene Wertschöpfungsaktivitäten in der Distribution. Das Zara-Vertriebssystem zeichnet sich durch eine hohe Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit aus, Vertriebsentscheidungen werden sehr schnell im Netz umgesetzt. Mit diesem Ansatz der hochgradigen Zentralisierung und Standardisierung erreichte Zara eine Umsatzrendite von 17%. Eine solche Struktur wäre im klassischen Automobilvertrieb wohl schwer durchzusetzen.Unternehmer sind motivierterVerschiedene ICDP-Untersuchungen deuten auf die besondere Bedeutung des Unternehmertums für den wirtschaftlichen Erfolg im Automobilhandel hin. In einer aktuellen Händlergruppenuntersuchung wurde der Zusammenhang zwischen Unternehmensgröße und Rentabilität analysiert. Es zeigte sich eine negative Korrelation zwischen Unternehmensumsatz und Umsatzrendite. Offenbar nimmt mit zunehmender Größe und Filialisierung und daraus folgender Distanz zur Unternehmensführung die Vertriebs- und wirtschaftliche Leistung ab. Auch die Bilanzen der Niederlassungen unterschiedlicher Automobilhersteller weisen überdurchschnittlich oft negative Ergebnisse auf. Dieses ist zum einen auf die hohen Standort- und Immobilienkosten zurückzuführen, zum anderen ist bei Integrationsentscheidungen der Verlust marktlicher Anreizmechanismen nicht zu vernachlässigen. Hier zeigt sich vor allem die geringere Motivation angestellter Führungskräfte gegenüber der unternehmerischen Motivation des Inhabers eines Vertragshändlerbetriebs. Die europaweiten ICDP-Studien zeigen zudem, dass dezentrale Unternehmensstrukturen regionale Besonderheiten und Anforderungen oftmals besser befriedigen können.Zusammenfassend werden mit den Niederlassungsstrategien in erster Linie zwei vertriebspolitische Zielsetzungen (mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung) verfolgt. Zum einen werden strategisch bedeutende Marktgebiete (Metropolen) mit herstellereigenen Flagship-Stores besetzt. Diese Strategie ist im Zusammenhang mit der Markenprägung zu beurteilen und kann nicht mit den (wirtschaftlichen) Maßstäben des klassischen Automobilhandels bewertet werden. Zum anderen sind Automobilhersteller aufgrund des Konsolidierungsprozesses im europäischen Automobilhandel zunehmend gezwungen, kosten- und wettbewerbsintensive Marktgebiete mit Eigenbetrieben zu besetzen. Immer mehr Handelsgruppen dominieren bestimmte Marktregionen. Sollten diese Betriebe aus dem Handelsnetz ausscheiden, entstehen große Lücken, die kurzfristig oftmals nur durch die Übernahme der ehemals eigenständigen Betriebe zu füllen sind. Ein deutlicher Trend hin zu einer ausgeprägten Eigenvermarktung ist jedoch in Europa nicht auszumachen. Die Vorteile eines Vertragshandelsnetzes überwiegen in der Regel. z Die StudieDas International Car Distribution Programme (ICDP) geht in einer aktuellen Studie der Frage nach, welche Bedeutung Niederlassungsstrategien langfristig im Automobilhandel erreichen werden. Dazu werden die Eigenvermarktungsaktivitäten aller Automobilhersteller in den europäischen Kernmärkten dargestellt und Entwicklungen nachgezeichnet. In diesem Zusammenhang werden auch die besonderen Herausforderungen für die Automobilhersteller herausgestellt und die zukünftige Entwicklung von Niederlassungsansätzen prognostiziert.hersteller mit großen Niederlassungsnetzen in EU-4-MärktenFabrikat Anzahl Filialen in EU-4 Niederlassungen in Mercedes-Benz 173 D, F, GB u. I Renault 188 D, F, GB u. IPeugeot176 D, F, GB u. I Citroen 132 D, F, GB u. I Volkswagen 98 D, F u. I BMW 55 D u. IFiat 51 D, F u. I Quelle: ICDP Studie - Niederlassungsstrategien im europäischen Automobilvertrieb.Informationen zu ICDPDas International Car Distribution Programme (ICDP) ist eine Non-Profit Forschungs- und Beratungsorganisation zu allen Themenbereichen des Automobilvertriebs. Ziel dieses Netzwerkes ist die neutrale und praxisnahe Forschung. Mitglieder des ICDP-Projekts sind neben nahezu allen großen Automobilherstellern auch automobilnahe Dienstleister, Verbände, aber auch zunehmend Autohandelsgruppen. In Deutschland führt ICDP die Projekte in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Institut für Management der Universität Flensburg durch. Ansprechpartner für ICDP sind Professor Dr. Susanne Royer und Uwe Stratmann. Kontakt: Tel. (0461) 805 25 43 oder E-Mail: uwestratmann@icdp.net

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