TÜV SÜD und Carspect: Schwedenhappen

AH: Herr Falk, wie ist das Prüfwesen in Schweden organisiert? M. Falk: Seit Juli 2010 ist der Inspektionsmarkt in Schweden für den Wettbewerb geöffnet. Vor Juli 2010 handelte es sich um einen Monopolmarkt, auf dem der schwedische Staat die einzige Inspektionsgesellschaft des Landes besaß. Die tätigen Organisationen benötigen eine Akkreditierung der schwedischen Behörde "SWEDAC", um ein Inspektionsgeschäft zu betreiben. Den technischen Rahmen setzen die Richtlinien der schwedischen Verkehrsbehörde. AH: Wie läuft die Prüfung im Unterschied zu Deutschland mit welchen Fristen ab? M. Falk: Das Inspektionsintervall für Personenkraftwagen in Schweden sieht vor: erste Inspektion nach drei Jahren (36 Monaten), zweite Inspektion nach zwei Jahren (24 Monaten) ab der ersten Inspektion, dritte Inspektion und darüber hinaus nach 14 Monaten ab der zweiten Inspektion - und danach jeden 14. Monat nach der letzten Inspektion. AH: Gibt es Unterschiede bei den festgestellten Mängeln? U. Litz: Ein direkter Vergleich von ausgewerteten Mängelstatistiken beider Länder liegt bisher nicht vor. Dazu besteht auch kein sachlicher Anlass. Fragen von internationaler Tragweite werden in den dazu vorhandenen Gremien erörtert, wie der CITA, der "Worldwide Association of Authorities and Authorized Companies active in the Field of Vehicle Compliance", deren Mitglieder TÜV SÜD und die Carspect Gruppe sind. Möglicherweise tritt das Thema Rost - aber statistisch nicht belegt - ausgeprägter auf, während es in Deutschland inzwischen eine eher untergeordnete Rolle spielt; dies aufgrund der im Winter dauerhaft anderen Straßenverhältnisse, jedenfalls im urbanen Raum. Zur Einstufung im Sinne von Mangelkategorien sei aber noch mal auf die eben erwähnten Richtlinien der schwedischen Verkehrsbehörde verwiesen. M. Falk: Laut offizieller Statistik 2024 hatte jeder dritte Pkw (33,5 Prozent) bei der Inspektion Mängel. Von diesen wies fast jeder Fünfte (22,5 Prozent) schwerwiegende Mängel auf, die eine Nachkontrolle erforderten, was bedeutet, dass das Fahrzeug nicht länger als nötig genutzt werden darf, bis die Probleme behoben und professionell begutachtet sind. Der häufigste Grund für die Notwendigkeit einer Nachprüfung waren Fehler im Bremssystem, darunter ungleichmäßige Bremskraftverteilung, Defekte an Radbremsen, zum Beispiel Bremsscheiben oder Bremsbeläge, unzureichende Wirkung der Feststellbremse und beschädigte Bremsleitungen. Frühere Daten der schwedischen Verkehrsbehörde zeigen auch, dass Beleuchtungsprobleme häufig auftreten. Im Jahr 2018 war der am häufigsten gemeldete Fehler ein defektes Positionslicht. AH: Wie weit ist man mit der Digitalisierung? Gibt es eine digitale Vignette? M. Falk: Die Inspektionen und Inspektionsprozesse in Schweden sind stark digitalisiert. Es gibt keine Plaketten, alle Prüfdaten werden in der offiziellen Fahrzeugdatenbank der Behörde gesammelt und stehen allen Marktteilnehmern quasi in Echtzeit zur Verfügung. Der Markt ist aufgrund seines hohen Digitalisierungsgrades sehr transparent für alle Stakeholder. AH: Welche Kosten fallen für den Kunden an? M. Falk: Anders als in Deutschland sind die Prüfdienstleister in Schweden in ihrer Preisfindung frei. Der Durchschnittspreis für eine Pkw-Untersuchung in Schweden liegt bei 560 SEK, etwa 50 Euro, inklusive 25 Prozent MwSt. AH: Ist die Prüfung auch in autorisierten Werkstätten möglich? U. Litz: Nein, dies ist gesetzlich nicht erlaubt. Und insofern findet auch kein "mobiles Prüfgeschäft" mit mehreren Organisationen am POS im Autohaus als Prüfstützpunkt statt. Gleichwohl steht es den Überwachungsorganisationen frei, eine eigene Prüfstelle in einer dauerhaft angemieteten und auszustattenden Räumlichkeit in einem Autohaus zu betreiben. Prüfungen dürfen grundsätzlich nur von seitens der SWEDAC akkreditierten Unternehmen durchgeführt werden. Transparenter Markt AH: Wie verteilt sich der Markt? U. Litz: Wie bereits zuvor angemerkt ist der Markt sehr transparent und diese Informationen deshalb leicht verfügbar. Heute gibt es in Schweden 623 Prüfstationen, verglichen mit 185 Stationen im Jahr 2010, bevor der Markt für den Wettbewerb geöffnet wurde. Der schwedische Inspektionsmarkt wird von fünf großen Unternehmen dominiert, die zusammen 99 Prozent des Gesamtmarktes halten: Besikta (Applus) hat 203 Standorte und 25 Prozent Marktanteil, Bilprovningen (TÜV Rheinland) hat 109 Prüfstellen und 24 Prozent Marktanteil, Opus hat 97 Standorte und 22 Prozent Marktanteil, Carspect (TÜV SÜD) hat 125 Prüfstellen und 16 Prozent Marktanteil, DEKRA hat 85 Stationen und zwölf Prozent Marktanteil. AH: Welche Ausbildung ist für die Prüfer vorgeschrieben? M. Falk: Wenn bereits Erfahrung in der Arbeit mit Kraftfahrzeugen besteht - zum Beispiel als Mechaniker in einer Werkstatt -, dann dauert die Ausbildung sowohl theoretisch als auch praktisch in der Regel etwa drei Monate, um die Prüfungen zum zertifizierten Kfz-Prüfer in Schweden zu bestehen. Die Prüfung wird von der Verkehrsbehörde durchgeführt. Nachdem der künftige Prüfer das Zertifikat erhalten hat, erfolgt bei Carspect noch weitere Monate ein "Training on the Job" in einer Prüfstation unter Anleitung von erfahrenen Kollegen, bevor eigenständig Inspektionen durchführen werden dürfen. Natürlich werden zur Überprüfung der Qualität kontinuierlich interne Audits seitens der technischen Leitung durchgeführt oder veranlasst. AH: Sind Fachkräfte in Schweden auch Mangelware? M. Falk: Ja, es ist eine Herausforderung für alle Kfz-Prüfunternehmen in Schweden, Fachkräfte zu finden und zu halten. AH: Warum hat sich der TÜV SÜD in Schweden engagiert? U. Litz: Mit der Akquisition der Carspect-Gruppe konnte sich TÜV SÜD zeitgleich neben Schweden auch in Estland und Lettland platzieren und fortan engagieren. Diese Investition ist im Kontext der konsequenten Internationalisierungsstrategie von TÜV SÜD zu sehen. Ein Markteintritt, insbesondere in Schweden, ist zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll nur über eine Übernahme darzustellen. Einerseits ist der schwedische Markt für sich gesehen sehr attraktiv, andererseits sieht TÜV SÜD im nunmehr bekannten Marktumfeld gute Potenziale zur weiteren Entwicklung. Schließlich hat TÜV SÜD mit diesem Zukauf wichtige Brückenpfeiler in Skandinavien und dem Baltikum errichten können, von wo aus eine weitere regionale Expansion erfolgen kann. Die Expertise der neuen Kolleginnen und Kollegen ist dabei von großer Bedeutung, und der kulturelle Fit macht es noch dazu in der Zusammenarbeit relativ einfach. Man versteht sich gut. Neue Kunden und Synergien AH: Welche Ziele sind mit der Investition in Schweden verbunden? U. Litz: Wie zuvor beschrieben sind wir überzeugt, dass wir in den neuen nun auch zum regionalen Portfolio von TÜV SÜD gehörenden PTI-Märkten weitere Entwicklungsschritte realisieren und bestehende Kundengruppen mit weiteren Leistungen erfolgreich ansprechen können oder auch bisher nicht fokussierte Kundensegmente für die Carspect-Organisation erschließen können. Übrigens gilt dies nicht nur in die eine Richtung, sondern inhaltlich aufgrund des hohen Innovationsgrades auch aus Schweden heraus in andere Teile der TÜV SÜD Division Mobility. Natürlich erhält TÜV SÜD mit der Carspect Gruppe nun auch erweiterten Zugang in ein für andere TÜV SÜD Divisionen attraktives Umfeld. Skalierung des bestehenden Geschäfts und ordentliche Synergien sind zu erwarten. AH: Welche Möglichkeiten bestehen in Estland und Lettland? U. Litz: In Estland und Lettland gibt es viele Möglichkeiten. Zuvorderst wollen wir aber weiter wachsen im bestehenden Geschäft. Dies bedeutet, die Anzahl der Stationen und Mitarbeiter zu erhöhen, die wir dort haben. Ferner geht es um den Transfer von Know-how und Digitalisierung sowie darum, neue Produkte und Dienstleistungen und damit den Transfer sowohl aus Schweden (Carspect) als auch aus Deutschland (TÜV SÜD) heraus erfolgreich zu managen. "Endorsement Branding" AH: Wird man auch mit dem Label TÜV SÜD künftig auftreten? U. Litz: Die Marke Carspect ist im schwedischen Markt sehr gut positioniert und inhaltlich sehr positiv besetzt. Andererseits steht die Bedeutung und Stärke der Marke TÜV SÜD natürlich völlig außer Frage. Im Bestreben um das richtige Vorgehen mit den richtigen Prioritäten hat sich TÜV SÜD für ein marktindividuelles und schrittweises Vorgehen entschieden. Für Schweden wird es in einem ersten Schritt ein sogenanntes "Endorsement Branding" sein. Darunter ist die Co-Existenz beider Marken TÜV SÜD und Carspect im Sinne von "Carspect - A company of TÜV SÜD" zu verstehen. AH: Vielen Dank für das Gespräch!

TÜV SÜD und Carspect: Schwedenhappen

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