Sicherheit: Vier Uhr morgens im Autohaus

Es ist 03:57 Uhr, die Straßen glänzen noch vom letzten Regenschauer. Laue Sommernächte scheinen an diesem Herbstmorgen in einer norddeutschen Großstadt schon wie eine Erinnerung aus längst vergangener Zeit. Dennoch schlendern zwei Passanten in dunkler Jeans, weißer Schlabberhose und nachlässig übergezogenen Kapuzen gemächlich zwischen den Fahrzeugreihen der örtlichen BMW-Niederlassung umher. Irgendwann bleiben sie schließlich vor einem schwarzen 3er BMW stehen und inspizieren ihn mit einer Taschenlampe. Obwohl einer von ihnen sich ständig nervös nach allen Seiten umblickt, scheinen sie es nicht eilig zu haben. Die beiden sind indes nicht unbemerkt geblieben. Über Kameras verfolgt ein Sicherheitsdienst seit geraumer Zeit jede Bewegung der beiden. Beim Betreten des Geländes hatte ein Mitarbeiter die beiden sogar schon per Lautsprecher gebeten, das Gelände zu verlassen. Als sie nun in den Innenraum des BMW leuchten, hat der Mitarbeiter genug. Unmissverständlich fordert er sie auf, zu gehen. Wenige Sekunden später verschwinden die zwei schließlich unerkannt in die Dunkelheit. 19.000 gestohlene Autos pro Jahr Ohne diesen Eingriff wäre das Fahrzeug wohl bald ohne Felgen oder Navi dagestanden und vielleicht sogar ganz verschwunden. Das passiert nicht gerade selten. Nach Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA) wurden allein 2017 19.026 Fahrzeuge dauerhaft entwendet. Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zählte 17.493 Diebstähle kaskoversicherter Pkw und einen Schaden von mehr als 323 Millionen Euro. Hinzu kamen 2017 rund 90.000 Fälle von abmontierten Fahrzeugteilen, für die die Versicherer etwa 200 Millionen Euro gezahlt haben. Besonders lohnenswert für die Diebe sind Autohäuser - schließlich gibt es hier viele lukrative Ziele auf engem Raum in nachts meist menschenleeren Gegenden. "Grundsätzlich sollten Gewerberäume durch ein abgestimmtes Konzept aus mechanischen und elektronischen Sicherungsmaßnahmen, zum Beispiel durch einbruchhemmende Türen und Fenster sowie eine mit einer Videoüberwachung verbundene Einbruchmeldeanlage, abgesichert sein", rät daher Fabian Puchelt, Kriminalhauptmeister beim Bayerischen Landeskriminalamt (LKA). Die Täter kamen mit dem Kranwagen Das sieht Thomas Eichbichler ähnlich. Der Geschäftsführer des gleichnamigen Autohauses im niederbayerischen Landshut hat in den vergangenen Jahren vor allem bei der Videoüberwachung aufgerüstet. Auslöser dafür war ein regelrechter Raubzug: Damals stahlen Diebe in zwei aufeinanderfolgenden Nächten aus dutzenden VW und Audi Navis im Gesamtwert von mehr als 112.000 Euro. "Nach der ersten Nacht dachten wir, wir hätten die nächste Zeit Ruhe. Doch da ging es dann erst richtig los", berichtet Eichbichler und wirkt noch immer ein wenig erbost über diese Dreistigkeit. Ein anderes Mal hoben die Täter einen zugeparkten Audi einfach per Kranwagen aus dem Hof. "Das ist eine Sache von drei Minuten. Das sind bestens ausgerüstete Profis", sagt der Autohändler. Seit die Videoüberwachung nach dem Navi-Raubzug Einzug hielt, achtet er deshalb darauf, technisch immer auf dem neuesten Stand zu sein. Wie bei der eingangs erwähnten norddeutschen BMW-Niederlassung ist bei Eichbichler aktuell das Überwachungssystem des Unternehmens Secontec im Einsatz. Dieses arbeitet mit hochauflösenden, steuerbaren Wärmebildkameras und Megapixelkameras, die mit einem Rechenzentrum verbunden sind. Dort analysiert eine künstliche Intelligenz (KI) rund um die Uhr in Echtzeit, ob es in den Bildern Pixelveränderungen etwa durch Personen, eine streunende Katze oder herumwirbelnde Blätter gibt. KI hilft, Eindringlinge zu registrieren Überschreitet ein sich bewegendes Objekt eine festgelegte Größe, markiert es die KI mit einem farbigen Kasten und schickt eine Alarmmeldung mit einem angehängten Videoschnipsel des Vorfalls an das Kontrollzentrum von Secontec in Leipzig. Dort bewertet ein Mitarbeiter die Aufzeichnung und entscheidet, ob er sich mit seinem Rechner auf die Kameras aufschaltet und genauer nachsieht. In der Live-Übertragung hilft dann erneut die KI, indem sie den Eindringling wieder mit einem Kasten markiert und ihn auch über mehrere Kameras hinweg über das Gelände verfolgt. "Durch die Kombination aus Mensch und KI entgeht uns nichts", sagt Stefan Chüo, Prokurist bei Secontec. Herkömmliche Systeme dagegen arbeiten mit Bewegungsmeldern, die nur melden, dass in einem bestimmten Abschnitt irgendetwas die Lichtschranke passiert hat. Das produziert nicht nur eine Unmenge an Fehlalarmen, sondern bringt auch einen enormen Aufwand für die Mitarbeiter im Kontrollzentrum, die nach jedem einzelnen Alarm auf den Videobildern der Kameras selbst suchen müssen, ob und wo etwas passiert. Auf den Videoschnipseln hingegen lässt sich meist auf den ersten Blick erkennen, dass nur ein Hund herumstreunt. "Bis man bei klassischen Systemen erkennt, dass da jemand hinter einem Auto kniet und die Räder abmontiert, ist es oft schon zu spät", sagt Chüo. Tatsächlich wurden auch im Autohaus Eichbichler vor dem Wechsel zu Secontec trotz der Kameras hin und wieder Felgen gestohlen. Die Mitarbeiter im Kontrollzentrum hatten in diesen Fällen schlicht nichts entdeckt, nachdem der Bewegungsmelder Alarm gegeben hatte. Mit sechs Monitoren auf Diebesjagd Wieder ist es Nacht. Marco Staudt* schaut gebannt auf die sechs Bildschirme, die wie bei einem Trader an der Frankfurter Börse in zwei Reihen zu je drei Monitoren an seinem Schreibtisch im "Video-Operation-Center" von Secontec aufgebaut sind. Statt Börsenkursen zeigen die vier äußeren Bildschirme jedoch Luftaufnahmen und Lagepläne von Autohäusern. Sie dienen der Orientierung, wenn Staudt auf dem mittleren oberen Bildschirm aus einer Art Mailpostfach die Alarmmeldungen mit Videoschnipseln von Autohauskameras aus ganz Deutschland auswählt und auf dem mittleren unteren Bildschirm ansieht. Die Maus braucht er dabei eher wenig, meist huschen seine Finger nur über die Tastatur - wer pro Nacht mehrere Hundert dieser Alarme bearbeitet, kennt die nötigen Tastaturkürzel. Hin und wieder beugt sich Staudt nach vorne. Dann ist kein Reh oder Hund auf dem Videoclip zu sehen und er schaltet sich live auf die Kameras des Autohauses auf, um der Sache auf den Grund zu gehen. Diesmal sind Menschen auf dem Gelände zu sehen. Er nimmt sein Headset ab und hält sich dessen Mikrofon vor den Mund: "Guten Tag, hier spricht der Sicherheitsdienst. Werte Besucher, in Anbetracht der nächtlichen Uhrzeit bitten wir Sie, das videoüberwachte Gelände des Autohauses zu verlassen und gerne zu den regulären Öffnungszeiten zu besuchen. Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis!" Die bewusst freundliche Ansprache über die Lautsprecher des Autohauses dient dazu, potenzielle Diebe darauf aufmerksam zu machen, dass sie beobachtet werden, ohne dabei aus Versehen Kunden zu vertreiben. "Die haben das wirklich gut im Griff. Mir sind keine Fälle bekannt, in denen Passanten verschreckt wurden", sagt Eichbichler. Besichtige etwa ein Familienvater mit seinen Kindern am Sonntagmorgen die Autos, folge in der Regel überhaupt keine Anrede. "Das ist der Vorteil, wenn ein Mensch hinter der Kamera sitzt. Der kann das unterscheiden", ergänzt Stefan Bürger, Prokurist im Autohaus Eichbichler. Dreistufige Eskalationsleiter Gibt es auf die erste freundliche Bitte keine Reaktion, folgt die zweite Eskalationsstufe und der Secontec-Mitarbeiter droht, die Polizei zu alarmieren. Arbeitet ein Autohaus zudem mit einem regionalen Wachdienst zusammen, verständigt der Mitarbeiter diesen im Hintergrund. "Die sind in zwei bis drei Minuten vor Ort", sagt Eichbichler. Machen die Eindringlinge Anstalten, auch die zweite Warnung zu ignorieren, alarmiert der Mitarbeiter in der Zentrale, noch bevor der Wachdienst eintrifft, auch die Polizei "Hat Videoüberwachung keine unmittelbar spürbaren Konsequenzen, schreckt sie nicht ab. Vor allem Profis testen vorher immer, ob etwas passiert, wenn jemand das Gelände betritt", erklärt Chüo. Gibt es eine Reaktion, schlendert der Kundschafter scheinbar gelassen wieder weg. Die beiden "Interessenten" in der BMW-Niederlassung sind insofern vermutlich Amateure. Ihnen kann es auf einmal gar nicht schnell genug gehen. Sie sehen aus wie gehetzte Tiere, während sie so schnell es die Schlabberhose des einen zulässt, vom Gelände hasten. *Name von der Redaktion geändert. Kurzfassung Beim Kamerasystem im Autohaus Eichbichler analysiert eine KI die Aufnahmen. Erkennt diese etwas Verdächtiges alarmiert sie die Überwachungszentrale. Dort sieht sich ein Mitarbeiter ein Videoschnipsel des Vorfalls an. Ist etwas Verdächtiges zu sehen, schaltet dieser sich live auf die Kameras und spricht die Verdächtigen per Lautsprecher an. Verschwinden sie nicht, alarmiert der Mitarbeiter die Polizei. Kfz-Kriminalität in Deutschland Am häufigsten werden in Deutschland Fahrzeuge von VW gestohlen. Insgesamt zählt das BKA für das Jahr 2017 3.782 Fälle. Dahinter folgen auf der "Rangliste" der beliebtesten Marken Audi (3.275), BMW (2.640), Mercedes (2.052), Ford (869) und Mazda (840). Bemerkenswert dabei: Die Fallzahlen sind seit Jahren tendenziell rückläufig, während die Schadenssummen hingegen steigen. "Grund dafür ist, dass vermehrt hochpreisige Fahrzeuge entwendet werden", sagt Kriminalhauptmeister Fabian Puchelt vom LKA.Geographisch betrachtet besonders diebstahlgefährdet sind Hamburg, Bremen und die östlichen Bundesländer - hier vor allem Berlin. In keinem anderen Bundesland wurden mehr Fahrzeuge gestohlen (4.620). Die niedrigste Belastung verzeichnen das Saarland sowie Bayern und Baden--Württemberg.Etwa 40 Prozent der Tatverdächtigen besitzen nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Mehrheit davon stellen polnische Bürger. Dahinter folgen türkische, rumänische und litauische Staatsangehörige. Obwohl Deutsche mit rund 60 Prozent die Mehrheit der Tatverdächtigen stellen, geben sie doch nicht den Ton an: "Die Kfz-Kriminalität in Deutschland wird seit Jahren von osteuropäischen Tätergruppen aus Polen und Litauen dominiert. Die angrenzenden osteuropäischen Staaten sind sowohl wichtige Absatzmärkte als auch Transitstaaten, wobei die Fahrzeugteile auf den gängigen Portalen im Internet vermarktet werden", erklärt Puchelt. Etliche Fahrzeuge beziehungsweise Teile landen laut BKA auch in Schiffscontainern, in denen sie auf dem Seeweg nach West- und Nordafrika sowie nach Südostasien gelangen.Entwarnung ist übrigens nicht in Sicht: "Eine grundlegende Änderung der Kfz-Kriminalität ist nicht abzusehen", sagt Puchelt.

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