Standortentwicklung: Vom Autohaus zum Szenelokal

Was wird aus den Autohäusern, wenn immer mehr Kunden online und/oder direkt beim Hersteller kaufen oder gleich nur noch abonnieren oder mieten? Diese Frage stellten sich ein Transformationsberater und ein Immobilienentwickler in einem Vortrag auf der IAA Mobility zum Thema Autohaus 2030. Und in der Tat haben Christian Feilmeier, Managing Director von rpc, kurz für The Retail Performance Company, und Konstantin von Abercron, Geschäftsführender Gesellschafter von ehret + klein, ein paar Ideen, die durchaus überlegenswert sind. Feilmeier ist dabei der Autobranche näher, er war früher als Manager bei BMW tätig. rpc ist ein im Jahr 2013 von der BMW Group und der h&z Unternehmensberatung gegründetes Joint Venture, das auf Basis datengestützter Analysen strategische Lösungen entwickelt, um Unternehmen in der Transformation zu begleiten. Ehret + Klein ist ein deutschlandweit tätiger Quartiers- und Projektentwickler, der aus Immobiliensicht Anregungen gibt.Assets der HändlerDabei haben die Autohäuser einiges zu bieten, so die Grundannahme der beiden. Egal wie das Vertragskonstrukt zukünftig aussieht, der Kunde sieht nach wie vor im Verkaufspersonal seines Händlers seine Bezugsperson und je nachdem, wie intensiv diese Beziehung gelebt wurde, bietet sie Raum für zukünftige Entwicklung. Die meisten Händlerbetriebe mit Vertragsbindung verkörpern aufgrund der strikten Vorgaben der Hersteller das Brand Design ihrer Marken in baulich hervorragendem Zustand mit guter Erreichbarkeit in Gewerbegebieten oder an Ausfallstraßen. "Hier stellt sich die Frage einer intelligenten Nutzung der Immobilie in Bezug auf die sich wandelnden Anforderungen der Zielgruppen", sagt von Abercron.Mehr FrequenzDenn nicht nur die Autobranche steht unter Beschuss, auch die Immobilienbranche sieht sich unter einem gewaltigen Veränderungsdruck. Beide Branchen zusammen stehen nicht nur für über 25 Prozent der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung, sie verantworten auch einen Großteil des jährlichen CO2-Ausstoßes. Dazu soll noch der Spagat aufgelöst werden, einerseits mehr Wohnraum zu schaffen, andererseits für eine klimagerechte Stadt den Versiegelungsgrad zu reduzieren. Deswegen sieht der Immobilienmanager in einer integrativen Quartierentwicklung große Chancen: "Wenn sich Autohäuser in ihrer Angebotsstruktur ganzheitlicher aufstellen, werden sie attraktiv für eine breitere Zielgruppe und können mehr Frequenz für ihre Immobilie generieren."Nachbarschaft und NachhaltigkeitAngesichts der immer knapper werdenden Wohnflächen in den urbanen Gebieten hält es ehret + klein für wichtig, dass auch der öffentliche Raum stärker bei Projektentwicklungen eingebunden wird (Stichwort "Third Place Living"). Nur durch ganzheitliche Konzepte, die sich an den Bedürfnissen der Nutzer orientieren und die Aspekte Nachbarschaft, Nachhaltigkeit, und Nachverdichtung berücksichtigen, lassen sich attraktive Orte mit hoher Aufenthalts- und Lebensqualität schaffen. Dadurch können neue Räume der Begegnung entstehen, die zum Verweilen einladen, zur Entspannung oder zum Sport.Attraktive StandorteAutohäuser bieten hierbei besonders viele Entwicklungsmöglichkeiten, so der Immobilienexperte, weil sie zumeist attraktive Standorte besitzen, deren Potenziale jedoch nur unzureichend ausgeschöpft sind. Insbesondere, wenn es um Mobilitätsthemen aller Ausprägungen und für alle Bevölkerungs- und Altersschichten geht, gibt es zahlreiche Ansatzpunkte, wie man Flächennutzung und Passantenfrequenz optimieren könnte. Abercron stellt fest: "Wir müssen aufhören, gewerbliche Immobilien nur als gebaute Excel-Tabellen für Investoren zu betrachten. Was spricht dagegen, in einem Autohaus morgens Yogakurse anzubieten, abends Volkshochschul-Seminare durchzuführen und am Wochenende Club-Abende oder Gaming-Veranstaltungen für Szene-Gänger?"Weniger VersiegelungMit der Neu-Ausrichtung auf die wandelnden Nutzeranforderungen werde sich auch das Erscheinungsbild der Autohäuser an die regionalen Ausprägungen anpassen. Die Stadtentwicklung der Zukunft werde weniger Versiegelung, aber intensivere Nutzung durch vertikale Strukturen fordern, die es anforderungsgerecht umzusetzen gelte. Auf dem Lande, weit entfernt von Metropolstrukturen und Verkehrswende, werde der Kfz-Betrieb herkömmlicher Prägung noch am längsten anzutreffen sein. Doch unabhängig von der Region ließen dezentrale Service Factories, saisonale Pop-up Stores - im Sommer auf Sylt, im Winter in den Bergen - viele Spielarten zu, mit denen sich Hersteller und Handel gleichermaßen bei ihren Kunden profilieren könnten.rpc sieht die Erfüllung der sich wandelnden Kundenbedürfnisse als zentralen Faktor für den Erfolg eines Autohauses im Jahr 2030. Die zunehmend ineinandergreifenden Angebote der Mobilitätsinfrastruktur als Folge einer fortschreitenden Digitalisierung würden im Gegenzug für den Nutzer vielfältige Möglichkeiten von personalisierten Mobilitätskonzepten schaffen. Habe der Autoverkäufer der Vergangenheit für seinen Kunden ein Fahrzeug konfiguriert, das immer ein Kompromiss für verschiedene Nutzungsanforderungen war, werde das Autohaus der Zukunft zur Konfigurationsplattform der individuellen Verkehrskonzepte, bei denen das ausleihbare Lastenrad genauso seinen Platz findet wie die elektrifizierte Sportlimousine. Christian Feilmeier fasst den sich daraus ergebenden Wandel des Autohauses so zusammen: "Die Mobilitätswende in Verbindung mit der Digitalisierung erfordert die Neuausrichtung eines nutzerzentrierten Mobilitätsverständnisses im Autohaus. Wer es versteht, für seine Kunden ganzheitliche 360-Grad-Erlebnisse zu schaffen, wird auch in Zukunft Traffic auf seinen Publikumsflächen erzeugen." Dass sich diese Flächen als Showroom mit vollgeparkten Ausstellungsflächen darstellen, bezweifelt Feilmeier.Der Handel muss nachziehen"So offensichtlich die Mobilitätswende, die Digitalisierung und die Umstellung der Vertriebssysteme in vollem Gange sind, so sehr wirkt der Handel noch in den alten Strukturen verhaftet", meint Feilmeier. "Hier bedarf es einer konsequenten Analyse der Kundenbestände, einer Klassifizierung nach Personas, einer Beschreibung ihrer Bedürfnisse und Anforderungen als Grundlage einer nutzerzentrierten Strategieentwicklung. Gerade das Agentursystem bietet den Freiraum, um innovative unternehmerische Wege zu gehen, das Autohaus zu öffnen und neue Kundenerlebnisse anzubieten."ENTWICKLUNGSVORSCHLÄGEDas Autohaus solltesich inhaltlich stärker an den Lebensgewohnheiten und Nutzerbedürfnissen seiner Kunden ausrichten,sich als Immobilie konsequenter um Frequenzgenerierung und quartiermäßige Integration bemühen,in seiner Bespielung lebendiger werden, kuratierte Erlebnisse schaffen und sich als interaktive Mobilitätsplattform verstehen, in der durchaus auch noch Fahrzeuge verkauft werden können.

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