AVAG Holding: Vom Boom zur Normalität

Die AVAG Holding SE zählt mit rund 6.000 Mitarbeitern, über 200 Standorten in Europa und mehr als drei Milliarden Euro Jahresumsatz zu den größten Autohausgruppen Deutschlands. Roman Still steuert den Augsburger Autohaus-Riesen mit pragmatischer Bodenhaftung und dem Blick fürs Wesentliche durch die Transformation der Branche. AH: Herr Still, welche Strategien sind bei der Umstellung vom Angebots- auf einen Nachfragemarkt entscheidend? R. Still: Die Rückkehr zum Nachfragemarkt war für uns keine Überraschung. Drei Jahre Angebotsmarkt waren die Ausnahme, nicht die Regel. Wir mussten uns als Organisation "resetten" - das heißt: wieder aktiver verkaufen, stärker werben, die Abläufe verschlanken und kundenorientierter arbeiten. Push statt Pull. Diese Transformation ist anspruchsvoll, aber auch eine Rückbesinnung auf unsere eigentliche Vertriebs-DNA. AH: Wie gehen Sie mit der gesunkenen Neuwagenrendite um? R. Still: Einerseits bedeuten sinkende Neuwagenrenditen, dass wir einfach weniger verdienen. Eine gewisse Kompensation gelingt nur durch ein ausgewogenes Gesamtkonzept. Zum einen gilt es, die Werbeaufwände den Verkaufsvolumina anzupassen, um die Vertriebskosten im Griff zu halten. Zum anderen müssen wir sicherstellen, dass wir vorhandene Verkaufschancen konsequent nutzen und Leads möglichst perfekt bearbeiten. AH: Wie geht man im Gebrauchtwagengeschäft professionell mit der Preisproblematik rücklaufender E-Fahrzeuge um - und welche Rolle spielen dabei Rückstellungen? R. Still: Offen und konsequent. Wenn ein BEV zu teuer eingekauft wurde, hilft nur eines: "First lost, best lost". Also schnell abverkaufen - stehen lassen bringt nichts. Wir hatten nie riesige E-Auto-Bestände, der Mix zwischen Hersteller- und Eigenrücknahmen war ausgewogen. Aber klar ist: Man muss mit dem aktuellen Marktpreis leben, selbst wenn das Fahrzeug unter dem Einkaufspreis verkauft wird. Dafür ist die Liquidität frei für besser kalkulierte Fahrzeuge. Wichtig ist außerdem: Wir bilden ganz bewusst Rückstellungen für erwartbare Wertverluste. Das ist kaufmännisch korrekt, sorgt für Stabilität in der Bilanz und schützt vor Überraschungen. Diese Vorsicht ist eines der wichtigsten Learnings aus den letzten Jahren. AH: Wie kann ein Autohaus das Service-geschäft stabil halten, obwohl die Zahl der Neuwagenverkäufe rückläufig ist? R. Still: Die Herausforderung ist da, aber sie ist lösbar. Entscheidend ist, wie gut ich meine Kunden im Bestand gebunden habe. Wir sehen bei uns keinen dramatischen Einbruch im Servicebereich. Es gibt Verschiebungen - weniger Inspektionen, dafür mehr mechanische Arbeiten. Wichtig ist, aktiv zu steuern, Servicepotenziale auszuschöpfen und neue Bedürfnisse frühzeitig zu erkennen. Der Bestand ist da - die Frage ist, ob ich den Kunden auch in die Werkstatt bekomme. AH: Welche Auswirkungen haben Elektrofahrzeuge auf den Teileumsatz und die Werkstattauslastung? R. Still: Interessanterweise sind die Serviceerlöse bei BEVs bei uns nicht schlechter - aber der Teileumsatz ist messbar rückläufig. Das ist ein klarer Effekt der Technik: weniger Verschleißteile, weniger Ersatzbedarf. Das muss man akzeptieren. Auf der anderen Seite brauchen E-Fahrzeuge neue Kompetenzen in der Werkstatt - etwa geschultes Hochvolttechnik-Personal und eine passende Kalkulation der Stundenverrechnungssätze. Hier sind viele Betriebe noch im Aufbau. AH: Wie können zusätzliche Dienstleistungen wie Scheibenreparatur oder Reifenverkauf zur Renditesteigerung beitragen? R. Still: Genau da liegt Potenzial. Wir haben über Jahre Geschäftsfelder wie Reifenverkauf oder Glasreparatur an Dritte abgegeben. Das war bequem - aber auch teuer. Heute schauen wir wieder bewusster auf diese Zusatzleistungen. Wer bei der Direktannahme die kaputte Windschutzscheibe erkennt und gleich das Angebot macht, schafft echten Mehrwert. Dasselbe gilt für den Reifenersatz. Reifen sind kein Margenbringer, aber ein Kontaktbringer - und Kundennähe ist die Währung im Aftersales. AH: Sind steigende Teile- und Lohnkosten ein Risiko für die Kundenbindung im Werkstattbereich? R. Still: Ja - aber nicht so, wie viele denken. Die großen Preissteigerungen kommen nicht von uns, sondern vom Hersteller. Teilepreise haben sich stark verteuert, auch durch internationale Entwicklungen wie Zölle oder Rohstoffkosten. Der Kunde merkt das. Aber was soll er tun? Viele Teile gibt es nur beim OEM. Deshalb ist Transparenz und Beratung wichtig. Kundenbindung funktioniert nicht über Preis, sondern über Vertrauen - und da haben wir als Autohaus klare Vorteile gegenüber freien Werkstätten. AH: Wie wirkt sich das steigende Total-schadenrisiko auf das Unfallgeschäft aus? R. Still: Die Kombination aus höheren Stundenlöhnen und teureren Teilen führt dazu, dass Fahrzeuge schneller in den wirtschaftlichen Totalschaden rutschen. Das verändert das Unfallgeschäft massiv. Wir gehen wieder mehr zurück zur klassischen Reparatur - Ausbeulen, Spachteln, Lackieren - statt reiner Teiletausch. Das ist für viele Werkstätten eine Chance, denn handwerkliches Können wird dadurch wieder wichtiger. Und es bringt eine gewisse Marge zurück in ein Geschäft, das lange als kostenintensiv galt. AH: Welche Infrastrukturmaßnahmen sind notwendig, um Elektromobilität im Markt erfolgreich zu fördern? R. Still: Vor allem braucht es eines: flächendeckende, funktionierende Ladeinfrastruktur. Es bringt nichts, zuerst Verkaufsziele zu definieren und danach über die Ladepunkte nachzudenken. Schnellladesäulen - gerade entlang der Hauptverkehrsachsen - müssen massiv ausgebaut werden. Und: Wir brauchen mehr Strom, nicht nur für Autos, sondern auch für Wärmepumpen, KI-Anwendungen, alles. Ich bin kein Stromexperte, aber ich bin sicher, dass die aktuelle Strommenge nicht reicht, um all das zu bedienen. AH: Welche Rolle spielt der Staat durch Subventionen und Infrastrukturpolitik in der Elektromobilitätsentwicklung? R. Still: Eine entscheidende. Wenn E-Autos weiter gefördert werden sollen, muss die Prämie wieder her - das hilft schlicht beim Preis. Aber noch wichtiger als Geld ist Infrastruktur. Erst Ladepunkte bauen, dann die Nachfrage steigern. Sonst entsteht Frust. Ich wäre dafür, die zeitlichen Ziele für den Hochlauf der Elektromobilität etwas zu strecken - nicht aus Bequemlichkeit, sondern damit die Rahmenbedingungen realistisch wachsen können. Ohne Stromnetz, Ladeparks und Kapazitäten wird das nichts. AH: Wie wichtig ist Größe im Autohausgeschäft wirklich - und welche echten Vorteile bringt sie? R. Still: Größe bringt Effizienz - aber nicht wegen des Einkaufs. Herstellerverträge sind da klar geregelt. Der echte Vorteil liegt in den zentralen Services: Wir verhandeln als Holding mit Banken, kümmern uns um Bau, CI-Umrüstung, IT, Marketing, Ladesäulenprojekte. Der Standortleiter hat dadurch mehr Zeit fürs operative Geschäft - für Kunden, Teams, Abläufe. Das ist ein klarer Vorteil. Und: Wir haben unsere Geschäftsführer meist beteiligt. Sie denken wie Unternehmer - das ist bei Wachstum Gold wert. AH: Welche Rolle spielen selbstständig denkende Geschäftsführer im Skalierungsmodell der AVAG? R. Still: Eine entscheidende. Unser Modell funktioniert nur, weil unsere Geschäftsführer unternehmerisch denken und in vielen Fällen auch beteiligt sind. Sie sind keine angestellten Verwalter, sondern prägen den Erfolg vor Ort - mit ihren Entscheidungen, ihrer Marktkenntnis, ihrem Einsatz. Das ist der Unterschied zu zentralistisch geführten Konzernen. Und wer gute Renditen erzielt, hat bei uns alle Freiheiten. AH: Wie lassen sich Innovationen und digitale Services in einer dezentralen Organisation erfolgreich einführen? R. Still: Indem man sie nicht von oben diktiert. Es braucht immer einen Pilotbetrieb - einen Standort, der sagt: "Ich probier's." Wenn es dort funktioniert, spricht sich das schnell herum. Wenn keiner mitmachen will, ist die Idee vielleicht noch nicht gut genug. Das ist ein wichtiger Filter. Unsere dezentrale Struktur zwingt uns, Innovationen zu erklären und wirklich durchdacht umzusetzen - das ist manchmal mühsam, aber am Ende sorgt es für tragfähigere Lösungen. AH: Ist weiteres Wachstum - national oder international - für große Gruppen strategisch oder opportunistisch motiviert? R. Still: Bei uns ganz klar: opportunistisch. Wir wachsen nicht, weil es im Plan steht, sondern weil sich eine gute Gelegenheit ergibt. In den letzten Jahren haben wir rund 20 neue Standorte und mehrere Marken aufgenommen - das war enorm arbeitsintensiv. Deshalb machen wir jetzt bewusst Pause, um zu stabilisieren. Wachstum darf kein Selbstzweck sein. Wenn es passt - personell, finanziell, strukturell -, dann machen wir es. Aber nur dann. Entscheidend ist, dass wir auch das Neue sauber integrieren. AH: Herzlichen Dank für das Gespräch!

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