Die Richtige Standortstrategie in der "Neuen Normalität" - Teil 1: Weniger Standorte, kleinere Showrooms

Die DNA des stationären Automobilhandels sind seine physischen Standorte. Der Autohausstandort ist der sichtbare und greifbare Markenkern eines Autohauses. Schlagwortartig könnte man sagen: "Store as a brand." Was verhindert, dass der stationäre Autohandel das Schicksal untergegangener und längst vergessener Branchen und Unternehmen teilt? Es ist der Nutzen seiner physischen Betriebsstandorte aus Kundensicht. Das Autohaus aus Glas und Beton bleibt - soweit absehbar - in dem digital-fluiden Vertriebszeitalter die zentrale Kundenschnittstelle. Die vertriebswirtschaftliche Wertschöpfung in der Automobilindustrie findet auch morgen überwiegend in den Autohausimmobilien statt. Genau dieses einzigartige Differenzierungsmerkmal wird zum größten existenziellen Risiko der Autohausunternehmen. Vier Thesen sollen auf der einen Seite zur Diskussion anregen und auf der anderen Seite dem Autohausmanagement erste Handlungsempfehlungen zur zukünftigen Autohausausrichtung und -wertschöpfung unterbreiten. In diesem ersten Teil geht es um die Thesen 1 und 2. Thesen 3 und 4 stellen wir in der kommenden Ausgabe vor. These 1: E-Mobilität und Agenturmodell fressen Standorte Die heranrollende E-Mobilität ist eine manifeste Gefahr für das dichte Vertriebsund Servicenetz. Zuletzt beschrieb eine Studie, dass in der Europäischen Union der Zulassungsanteil rein elektrischer Neufahrzeuge ("Battery Electric Vehicle", BEV) bereits 2030 die Marke von 60 Prozent erreicht. Der Blick nach Norwegen, deren BEV-Neuzulassungen mit mehr als 70 Prozent dem deutschen Markt vorauseilen, konfrontiert die skandinavische Autohausbranche bereits heute mit empfindlichen Servicerückgängen. Gegenwärtig legt der Kaufkunde weniger als 30 Fahrminuten zurück, um den Autohausbetrieb seiner Wahl zu erreichen. Morgen schon wird der Kunde mindestens 45 Fahrminuten einplanen, um den nächsten Markenbetrieb zu erreichen. Das, was beim ersten Hinhören harmlos klingt, hat erheblichen Einfluss auf die Zahl der verbleibenden Standorte. Die Standortkonsolidierung wird sich deutlich beschleunigen, wenn die Automobilhersteller ihre Vertriebssysteme in ein Agenturmodell transferieren. Sobald man in deren Controllingabteilungen realisiert, Standortmieten an die Automobilhandelsunternehmen zu entrichten, wird der Blick auf kleine, gerade kleine ländliche Vertriebsstützpunkte unbarmherzig. Autohausstandorte, deren jährlicher Absatzerfolg weniger als 100 Neuwagen beträgt, stehen grundsätzlich zur Disposition. Diesen vertriebsschwachen Betrieben ist das Schicksal eines "Downsizing" als Servicebetriebe beschieden. Inwieweit es sich dann noch um ein tragfähiges Geschäftsmodell am Standort handelt, muss man im Einzelfall prüfen. Die Erfahrung mit solchen Transformationen zeigt aber, dass ein Standort- und Betriebskonzept, welches sich auf Umsatzrückgang und Kompetenzverlust bei gleichzeitig unveränderten Strukturkosten ausrichtet, wenig erfolgversprechend ist. Erklärt man aktuelle strategische Beratungsprojekte von Prudentes als Bezugspunkt, bedeutet die "Neue Normalität" eine Reduzierung der markengebundenen Vertriebsstandorte um 25 bis 30 Prozent in den kommenden Jahren. Für die Autohausbilanzen kann das eine erhebliche Entwertung langfristigen Vermögens und eine Gefahr für die aktuell auskömmliche Eigenkapitalposition bedeuten. These 2: Selbstverliebte Markenpaläste sind morgen von gestern Die einseitige Dominanz großflächiger, palastartiger Vollfunktionsbetriebe, die ein markenexklusives, automobiles "One-stop-shopping" bieten, neigt sich dem Ende zu. Die "Neue Normalität" postuliert kostenorientierte, multifunktionale, modulhaft mehrmarkenfähige, flächenkompakte und energiesparende Betriebe, die bedarfs- und standortgerecht spezialisierbar sind. Die geopolitische Zeitenwende provoziert einen Paradigmenwechsel im Automobilhandel, der bis vor Kurzem undenkbar war. Die "Neue Normalität" erzwingt auch einen Produktionsrückgang und einen vertriebspolitischen Strategieschwenk der Automobilhersteller. Die Folgen sind geringere Angebots- und Absatzmengen im Handel und höhere Transaktionspreise im Markt. Aktuell sollten sich manch ambitionierte Neubauprojekte fragen lassen, ob die angedachten großzügigen Flächenkapazitäten für Showrooms, Gebrauchtwagenparkierungen und Werkstattarbeitsplätze überhaupt noch gebraucht und vertretbar sind? Im Zweifel müssen vorausschauend und unkonventionell Satellitenbetriebe geschlossen oder zusammengeführt sowie neue Marken, neue Geschäftsfelder und alternative Nutzungskonzepte an den betroffenen Standorten integriert werden. Es geht um die Maximierung der Standortwertschöpfung durch angemessene Minimierung der Standortanzahl. Diese These wird scheinbar durch aktuelle Meldungen widerlegt, die stolze Millioneninvestitionen in neue Autohausimmobilien vermelden. Gleichwohl bleibt es dabei: Die einzigartige Mixture aus Branchenschrumpfungsprozess, strukturellem Angebotsrückgang, verändertem Kundenverhalten und sprunghaft steigenden Kapitalkosten macht zahlreiche Vollfunktionsbetriebe automatisch zu Risikopositionen in den Autohausbilanzen. Die Empfehlung lautet: In unsicheren Zeiten wie diesen muss man dem Autohausmanagement eine Amortisationsdauer von zehn bis 15 Jahren für ihre neuen Immobilieninvestitionen empfehlen. Beim spontanen Griff nach dem Taschenrechner wird jedem Kaufmann klar, dass die angedachte Neubauinvestition nur möglich ist durch die maximale Zentralisierung von Wertschöpfung und Geschäftsbereichen am neuen Standort zulasten bestehender, in die Jahre gekommener Betriebe. Deren Schicksal besteht in einer Transformation oder in einer Desinvestition. Fazit: Keine Angst vor der "Neuen Normalität" Die "Neue Normalität" emanzipiert die Autohausunternehmen von ihren Herstellern. Das Autohausmanagement hat die historische Chance, ihre Autohausbetriebe dank ihrer physischen Standorte strategisch unabhängiger im Wettbewerb zu profilieren, indem die Protagonisten eine eigene Netz- und Betriebsstrategie entwickeln. Die Autohausstandorte werden zum Markenkern der Autohausunternehmen oder griffiger ausgedrückt: "Car Store as a brand". In der kommenden Ausgabe von AUTOHAUS diskutieren wir zwei weitere Thesen: - Autohausmanager müssen gleichzeitig Rechts- und Linkshänder werden. - Betriebsformeninnovationen statt einfallslose Vollbetriebskonzepte. Kurzfassung Die Standortkonsolidierung wird sich deutlich beschleunigen, wenn die Automobilhersteller ihre Vertriebssysteme in ein Agenturmodell transferieren. Die einseitige Dominanz großflächiger Vollfunktionsbetriebe, die ein markenexklusives, automobiles "One-stopshopping" bieten, neigt sich dem Ende zu. NORBERT IRSFELD Norbert Irsfeld ist geschäftsführender Gesellschafter der Prudentes Management GmbH. Das Prudentes-Team unterstützt Autohausunternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer Strategien, berät Inhaber und Gesellschafter, die ihr Unternehmen verkaufen wollen oder extern wachsen, setzt interimistisch Geschäftsführer oder Vertriebsexperten ein und unterstützt Autohäuser in Schieflagen. Norbert Irsfeld ist Lehrbeauftragter für Autohausstrategien an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen.Norbert Irsfeldc/o Prudentes Management GmbHNeumayerring 3367227 FrankenthalTelefon: +49 62 33 355 889 0E-Mail: norbert.irsfeld@prudentes.de

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