Elektromobilität: " Wir haben die Technologie schon heute "

Der Elektro-Transporter-Hersteller Streetscooter will nicht nur hierzulande seinen Vertrieb ausbauen, sondern bereitet sich zudem auf die Marktauftritte in den USA und in China vor. CEO Jörg Sommer verrät die Details.AH: Herr Sommer, was hat Sie an Streetscooter gereizt?J. Sommer: Nachdem ich für verschiedene OEM auf unterschiedlichen Managementpositionen in diversen Ländern tätig war, wollte ich etwas völlig Neues machen und die Start-up-Szene in Kalifornien kennenlernen. Deshalb bin ich zunächst zu Faraday Future gegangen und habe danach als COO für Chanje gearbeitet. Denn aus meiner Sicht ist die Idee, die letzte Meile zu elektrifizieren, angesichts der ökologischen Herausforderungen weltweit naheliegender, als das nächste Supersportscar auf die Straße zu bringen. Schon bei Chanje ging es uns darum, ein ganzes Ökosystem rund um die Elektromobilität zu etablieren. Diese Kombination aus Fahrzeugproduktion, Ladeinfrastruktur und Energieservices setzen wir jetzt noch konsequenter bei Streetscooter um, und hier kommen mir meine Erfahrungen aus den beiden Welten Autoindustrie und Start-up-Szene sehr zugute.AH: Wie stellt sich das Unternehmen aktuell dar?J. Sommer: Wir sind in den letzten Jahren kontinuierlich auf aktuell rund 500 Mitarbeiter zuzüglich Lieferanten und Dienstleister gewachsen. Wir haben über 12.000 Fahrzeuge im Markt und mit der Post einen anspruchsvollen Großkunden, der seine Zustellflotte Zug um Zug weiter elektrifiziert. 20 Prozent aller Neuzulassungen der Post waren im vergangenen Jahr Streetscooter-Fahrzeuge. Darüber hinaus schlummert aber bei Streetscooter noch ein sehr großes Potenzial, weil wir nicht nur ein elektrischer Postwagenbauer sind, sondern auch das Energiemanagement für große Flotten beherrschen. Wenn wir an einen Flottenkunden Autos verkaufen, stellt sich sofort die Frage nach der Energie. Denn wer 200 Autos an einem Standort laden muss, hat die große Herausforderung, die Energie zu managen. Da geht es um die Ladeinfrastruktur, die Bereitstellung der Energie und die Kosten. Dazu wiederum brauche ich eine intelligente Software-Lösung. Wir haben dafür eine eigene Firma, die Streetscooter Schweiz, gegründet. So konnten in Zusammenarbeit mit der Post fast 700 Depots elektrifiziert werden. Jeder, der über mehr als zehn E-Transporter verfügt, benötigt diese Technologie. Hier geht es vor allem darum, kostengünstig zu sein. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Wir haben die Technologie schon heute. Gleichzeitig können wir dieses Know-how allen anderen zur Verfügung stellen.AH: Die OEM ziehen jetzt nach. Wie behält man diesen Vorsprung?J. Sommer: Fakt ist, dass die Angebote, sofern schon vorhanden, sehr teuer sind. Unser Fahrzeug ist auf den Paketmarkt fokussiert und der wächst zweistellig. Wir sind optimal aufgestellt, um diese Funktion zu erfüllen. Dieses Ökosystem kann derzeit kein OEM bieten. Wir sind zwar auch ein Start-up, allerdings mit der Unterstützung des weltweit führenden Logistikkonzerns. Wir haben damit eine völlig andere Mentalität und sind breiter aufgestellt. Wir werden auch als Serviceplattform an den Markt gehen. Die Abrechnung unseres Produkts soll dann über die Kilowatt-Stunde erfolgen.Vertrieb im AufbauAH: Wie wird der Vertrieb künftig organisiert?J. Sommer: Der Fokus war für uns zunächst die Post als größter und wichtigster Kunde. Damit war der Vertrieb zunächst zweitrangig. Wir haben aber eine Kooperation mit Ford, mit denen wir nicht nur unser größtes Modell - den StreetScooter Work XL - gemeinsam produzieren, sondern über deren Händlernetz wir auch unsere E-Transporter verkaufen. Diese Kooperation wollen beide Seiten fortsetzen. Wir werden zusätzlich weitere Vertriebskanäle aufbauen, um an die zehn größten Flotten der Welt direkt zu verkaufen. Wir denken in zweiter Linie aber auch über Kooperationen mit großen Händlergruppen nach, die von der E-Mobilität überzeugt sind. Interessenten sind also willkommen.AH: Gibt es schon Kundenkontakte?J. Sommer: Wir werden in Japan beispielsweise mit Yamato (Japans Nummer 1 in Logistik, Anm. der Redaktion) zusammenarbeiten. Yamato verfügt über 40.000 Flottenfahrzeuge und hat jetzt in einem ersten Schritt 500 Streetscooter bestellt, die wir bereits ausliefern. Das haben wir geschafft, weil wir das Fahrzeug und das Energiemanagement anbieten können. Gerade im Bereich der letzten Meile oder bei den Paketdiensten stellen die Unternehmen fest, dass sich mit der E-Mobilität die Kosten deutlich reduzieren lassen - künftig um bis zu 70 Prozent gegenüber herkömmlich betriebenen Transportern trotz höherer Anschaffungskosten. Das wird zu einem Sinneswandel führen. Gleichzeitig gibt es verstärkt Beschränkungen im innerstädtischen Bereich für dieselbetriebene Lieferwagen. Da entsteht also ein Entscheidungsdruck. Gerade in diesem Bereich, der ja noch eine Nische ist, wird der Wandel viel schneller einsetzen.Funktionalitäten verbessertAH: Der Streetscooter Work bekam jetzt ein Facelift. Was ist neu?J. Sommer: Wir haben vor allem die Funktionalitäten und die Ergonomie verbessert. So ist das Kabinendach jetzt höher, um den Ein- und Ausstieg zu erleichtern. Das kommt den Fahrern sehr entgegen. In Japan gibt es künftig eine vorgeschriebene Klimaanlage, deshalb bieten wir diese nun auch optional an. Wir haben auch die Achslast erhöht. Bei der Variante mit kurzem Radstand haben wir 400 Kilogramm mehr Zuladung, bei der großen Variante bis zu 100 Kilogramm. Wichtig ist für uns, dass wir uns nicht im Reichweiten- sondern im Kostenwettbewerb bewegen. Wir müssen mit dem Streetscooter nicht in den Urlaub fahren, sondern wir richten uns an Kunden mit Routen zwischen 80 und 100 Kilometern. Die Reichweite von 140 Kilometern reicht also völlig aus. Die Fahrzeuge werden beim Laden vorgewärmt, um Schwankungen zu vermeiden.AH: Wie geht es international weiter?J. Sommer: Wir bereiten uns derzeit auf die Marktauftritte in den USA und China vor. Unser Management hat die Ambition schnell zu wachsen und Marktführer zu werden. Wenn wir das nicht tun, dann machen es andere. In China wird es dazu ein Joint Venture mit Chery geben. Wir wollen dort eine Produktion und ein Entwicklungszentrum für Streetscooter aufbauen. Das Kapital kommt aus China. In den Vereinigten Staaten werden wir die lokale Produktion ohne Partner aufbauen.AH: Wie hoch ist die Produktionskapazität in Aachen und Düren?J. Sommer: Wir können bereits jetzt - je nach Anzahl der gefahrenen Schichten - bis zu 20.000 oder gar 30.000 Autos pro Jahr produzieren. Die Herstellung ist sehr kostenorientiert und wenig kapitalintensiv. Wenn wir die Stückzahlen allerdings deutlich erhöhen, müssen wir auch die Produktionsmethoden ändern.AH: Was tut sich beim Produktportfolio?J. Sommer: Wir verbessern derzeit unser bestehendes Angebot hinsichtlich Funktion und Qualität. Gerade der Bedarf nach größeren elektrifizierten Lieferwagen wird weiter wachsen. Hier werden wir uns künftig auch positionieren. Es geht aber nicht nur um das Produkt, sondern um die Themen Energie und Logistik als Service. Hier werden wir weiter investieren.AH: Herr Sommer, vielen Dank für das Gespräch!Zur PersonJörg Sommer ist seit 1. April 2019 als CEO für Streetscooter verantwortlich. Nach zehn Jahren bei Daimler und einem Jahr am Massachusetts Institute of Technology, MIT, kam 2009 der Ruf zu Renault nach Paris, um dort die Elektrostrategie des Konzerns zu gestalten. Auch bei Volkswagen war Sommer dann für die E-Mobilstrategie in USA, Asien und Europa zuständig. "Volkswagen wollte schon damals in diesem Bereich zum Weltmarktführer werden", sagt der Manager dazu. Zuletzt war er als Board Member für das US-Produktprogramm von Volkswagen in den USA zuständig. Es folgten Stationen bei Faraday Future und Chanje (vgl. AUTOHAUS 19/2018).

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