Volkswagen Elektrostrategie: "Wir spielen nicht, wir werden elektrisch"

Es wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. "Mit dem Start des europaweiten Pre-Booking für die ID.3 wird Elektromobilität bei Volkswagen für unsere Kunden jetzt konkret", sagte Jürgen Stackmann, Mitglied des Vorstands der Marke Volkswagen für Vertrieb, Marketing und Aftersales bei der Launch-Veranstaltung am 8. Mai im Drive Volkswagen Konzernforum in Berlin. "Mit dem ID.3 beginnt nach Käfer und Golf das dritte große Kapitel von strategischer Bedeutung in der Geschichte unserer Marke." Und dafür macht Volkswagen den großen Aufschlag. "Wir spielen nicht, wir werden elektrisch", brachte Stackmann die Dimension der Veränderung auf den Punkt. Vor 220 Journalisten aus 17 Ländern skizzierte er die gesamte Bandbreite der dafür vorgesehenen Maßnahmen: Es gehe nicht nur um das Auto, sondern um einen konsequenten Schritt in Richtung Nachhaltigkeit, einen tiefgreifenden Systemwechsel. Dabei soll der so genannte "CO2-Fußabdruck" so schnell wie möglich reduziert werden. Dafür setzt Volkswagen konsequent auf den batterie-elektrischen Antrieb. Die Brennstoffzelle sei zumindest in den nächsten zehn Jahren keine Alternative, so Stackmann. Aber: "Normale" Fahrzeuge wie der Golf werden selbstverständlich auch weiter mit herkömmlichen Antrieben gebaut. Volle Unterstützung des VAPV Von 2019 bis 2023 will allein die Marke Volkswagen rund neun Milliarden Euro ausschließlich in die E-Mobilität investieren. In den nächsten zehn Jahren sollen weltweit mehr als zehn Millionen E-Autos hergestellt werden, 20 Modelle sind in Planung. Der ID.3 steht für die Mittelklasse und damit das Volumenmodell der neuen Familie und wird zuerst nach oben und dann nach unten ergänzt. Volkswagen will alles tun, um nicht zuletzt den gefürchteten Strafzahlungen an Brüssel zu entgehen. Der Volkswagen- und Audi-Partnerverband (VAPV) steht dafür an seiner Seite: "Ich habe Herrn Dr. Diess dafür unsere volle Unterstützung zugesagt", sagte VAPV-Präsident Dirk Weddigen von Knapp auf Anfrage von AUTOHAUS. "Das Motto ist 'We act as one'." Batterie in eigener Verantwortung Aber es geht hier nicht nur um Autos. Schon in der Lieferkette und bei der Herstellung der Batterien will Volkswagen auf CO2-Neutralität achten. Die neue und eigenständige Marke Volkswagen Konzern Komponente übernimmt dabei die End-to-End-Verantwortung für die Lithium-Ionen-Batterie - vom Kompetenzaufbau für die Zellfertigung bis zum Recycling. Am Ende der Lebensdauer des Fahrzeugs kann die Batterie entweder in anderen Bereichen weiterverwendet werden - oder sie wird durch Recyclingverfahren zur wertvollen Rohstoffquelle. Neben der Rückgewinnung von Aluminium, Stahl und Kupfer liegt der Fokus auf wiedereinsatzfähigem Nickel, Mangan und Kobalt. Dabei werden etablierte Prozesse auf technische und wirtschaftliche Skalierbarkeit überprüft. Ziel ist es, 97 Prozent aller Wertstoffe weiterzuverwenden, wenn Ende der 2020er Jahre größere Mengen Batterie-Rückläufer aus dem Markt zurückkommen. Energie von Konzern-Tochter Die Batteriezellen werden in Europa gefertigt, die benötigte Energie soll aus erneuerbaren Energien kommen. "Weitere Einsparpotenziale in der Lieferkette bis hin zu Rohstoffgewinnung werden derzeit gemeinsam mit direkten und indirekten Lieferanten untersucht", heißt es. Das Werk in Zwickau, wo der ID.3 ab Ende des Jahres gebaut werden wird, arbeitet bereits heute mit "grünem Strom". Nicht vermeidbare Emissionen im Herstellungsprozess will Volkswagen in zertifizierten Klimaprojekten ausgleichen. Volks-Wallbox Seit Januar entwickelt die ebenfalls neue Konzern-Tochter Elli ein Portfolio aus Stromtarifen, Wallboxen für Privat- und Firmenkunden, einem IT-basierten Energiemanagement und entsprechenden Beratungs- und Installationsleistungen. Das erste Produkt von Elli heißt Volkswagen Naturstrom, stammt zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen und richtet sich an Privathaushalte und Kleinunternehmen. Rechtzeitig zum Marktstart des ID 2020 wird es dann die "Volks-Wallbox" für zu Hause geben. Geplant sind unter anderem 11-kW-Wallboxen, die für 100 Prozent Batterieladung fünf bis acht Stunden benötigen. In der Komfort-Version sind darin auch attraktive Bezahlmodalitäten inbegriffen und eine Konnektivitäts-Lösung, über die etwa Updates und aktuelle Informationen auf das Fahrzeug gespielt werden, denn alle IDs sollen über ihren gesamten Lebenszyklus ständig aktualisiert werden. Das soll entweder im Händlernetzwerk oder "over the air" passieren. Perspektivisch wird es auch schnelle 22-kW-Wallboxen mit deutlich kürzeren Ladezeiten von drei bis vier Stunden geben. Nadelöhr Energieversorger Zudem wird Volkswagen die Ladepunkte an Mitarbeiter-Parkplätzen bis 2020 von derzeit 1.000 auf mehr als 5.000 Stationen ausbauen. Im selben Zeitraum werden auch alle 5.500 Volkswagen Händler und Servicepartner in der EU mit mehreren Lademöglichkeiten ausgerüstet. Diese sollen Kunden und Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Auch hier steht der VAPV an der Seite des Herstellers: Die geforderten Investitionen für die neuen Standards seien "nicht dramatisch", so Weddigen von Knapp. Viele Unternehmer würden sogar freiwillig mehr tun, weil sie die Notwendigkeit für ihre Betriebe sehen. Nadelöhr sei hier aber manchmal der regionale Energieversorger, der entweder nicht oder nur nach teuren Baumaßnahmen liefern könne. Ausbau der Ladeinfrastruktur Volkswagen wird aber über den Service "We Charge" den Kunden das Finden von Stationen und einfaches Bezahlen anbieten. Für den Ausbau von Infrastrukturund Energielösungen in Städten und Gemeinden wurde eine flexible Schnellladesäule entwickelt. Die mobile Ladesäule kann mit Solar- oder Windenergie geladen werden und funktioniert nach dem Prinzip einer Powerbank, wie sie viele Menschen für ihr Mobiltelefon nutzen - nur eben für E-Fahrzeuge. Unabhängig vom Stromnetz kann sie flexibel dort aufgestellt werden, wo Bedarf ist, und ermöglicht im autarken Betrieb das Schnellladen von E-Fahrzeugen mit bis zu 100 kW. Für die Langstrecke baut das von Volkswagen zusammen mit anderen Herstellern gegründete Unternehmen Ionity derzeit ein Netzwerk an Schnellladestationen entlang europäischer Autobahnen auf. Bis 2020 sollen 400 Stationen in ganz Europa entstehen. An dieser Stelle kommen erstmals Zweifel an der Tauglichkeit des Stromers als Familienauto auf, wie Stackmann es gerne sehen möchte. Denn mit der kleinsten Batterie kann der ID.3 in einer 30-minütigen Kaffeepause mit 100 kWh Strom für mindestens 260 Kilometer nachgeladen werden. Mindestens sechs Lademöglichkeiten sollen an jedem Ionity Stop zur Verfügung stehen. Man muss also, um einen kleinen Sicherheitspuffer zu haben, alle 200 Kilometer mindestens eine halbe Stunde Pause machen und hoffen, dass in dieser Zeit eine Ladesäule betriebsbereit und frei ist. Inkrafttreten mit Händlervertrag Trotzdem: Der ID.3 soll jetzt breitere Gruppen ansprechen und mit einem Einstiegspreis von unter 30.000 Euro auch erschwinglich sein. Die "First Edition", die man seit dem 8. Mai vorbestellen kann, hat eine Reichweite von 420 Kilometern nach WLTP und kostet nach Angaben von Stackmann unter 40.000 Euro in Deutschland, vor Abzug der staatlichen Förderung. Kurz nach der IAA, auf der das Fahrzeug und die Preise der Öffentlichkeit vorgestellt werden, können die "Pre-Booking"-Kunden ihr Fahrzeug mit ihrer Registrierungsnummer dann bei ihrem Volkswagen Händler bestellen. In Deutschland wird die Bestellung mit Inkrafttreten der neuen Händlerverträge im April 2020 verbindlich. Bis dahin kann der Kunde seine Registrierung jederzeit und ohne Gebühren stornieren. Tatsächlich geliefert werden sollen die Fahrzeuge dann im Sommer - und zwar an die Kunden mit Vorbestellung zuerst. Damit hat der ID einige Monate Verspätung, denn ursprünglich sollte das Inkrafttreten der neuen Händlerverträge mit der Markteinführung zusammenfallen. Das wird nun nicht klappen. Marketingkampagne ab Pokalfinale Noch bis Anfang Juni ist das E-Zebra, der in Camouflage wie ein Erlkönig zurecht gemachte Prototyp des ID.3, hinter Glas in der Berliner Volkswagen-Repräsentanz Unter den Linden, Ecke Friedrichstraße zu sehen. Die große Marketingkampagne beginnt am 25. Mai zum DFB-Pokalfinale in Berlin.Volkswagen kündigte an, dass die deutsche Hauptstadt dann auf mehr als 50 Prozent der Werbeflächen ein ID-Motiv zeigen werde. Das Media Budget für die Kampagne in Europa beläuft sich auf einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag. Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Kurzfassung In der Tradition von Golf und Käfer startet Volkswagen mit dem ID.3 in eine neue Ära. Mit einem ganzheitlichen Ansatz: von der Energieversorgung über die Batterie bis zur Entsorgung. Begleitet wird das Ganze von einer großen Marketingkampagne.

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