Wird jemand bei einem Verkehrsunfall verletzt, kann er, soweit er für den Unfall und seine Folgen nicht verantwortlich ist, Schadensersatz verlangen. Müsste er dabei auf die Leistungen des Fahrers, des Halters und deren Haftpflichtversicherung warten, würde er Gefahr laufen, nicht rechtzeitig untersucht, behandelt und therapiert zu werden. Unter Umständen müsste der Geschädigte Jahre auf den Ausgleich seines Verdienstausfalls warten. Dass dies in der Regel nicht geschieht, dafür sorgen die (gesetzlichen) Sozialversicherungen. Deren Eintrittspflicht hängt nicht von der Klärung der Haftungsfrage ab, sondern allein vom Eintritt des Versicherungsfalles (Krankheit, Unfall oder Verlust der Erwerbsfähigkeit).
Regelungen im Einzelfall kompliziert
Da es nicht Zweck der Sozialversicherung ist, den Schädiger zu entlasten, gehen Ansprüche hinsichtlich der erbrachten Leistungen auf die Träger der Sozialversicherung über. Diese müssen sich mit dem Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer um einen gerechten Ausgleich bemühen.
Im Einzelnen sind die Regelungen allerdings kompliziert, erklärten die Rechtsexperten auf dem 52. Verkehrsgerichtstag in Goslar. Insbesondere in der gesetzlichen Unfallversicherung ist demnach die Rechtslage schwer zu übersehen. Wer unterfällt dieser Versicherung? Welche Leistungen kann der Versicherte beanspruchen? Inwieweit decken sich die von der Unfallversicherung gewährten Leistungen mit Schadenspositionen, für die der Schädiger einstandspflichtig ist?
Haftungsausschlüsse sorgen für Unverständnis
Zudem ordnen die §§ 104 ff. SGB VII in bestimmten Fällen Anspruchsausschlüsse an: So kann der Unternehmer von einem Angehörigen seines Betriebes und dessen Familie grundsätzlich nicht auf Ersatz eines Personenschadens in Anspruch genommen werden, weil allein der Unternehmer die Kosten der Unfallversicherung aufzubringen hat und der Betriebsfrieden nicht durch Rechtsstreitigkeiten belastet werden soll.
Das SGB VII hat den früher geltenden Haftungsausschluss bei Teilnahme am allgemeinen Verkehr auf Wegeunfälle nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII, beschränkt. Dies hat die Grenzziehung nicht erleichtert. Nach § 105 Abs. 1 SGB VII gilt der Haftungsausschluss auch, wenn versicherte Betriebsangehörige durch Personen verletzt werden, die für denselben Betrieb tätig sind. Schließlich wird die Haftungsbeschränkung noch auf weitere Personen ausgedehnt, die in ähnlich engen Gefahrengemeinschaften oder auf einer gemeinsamen Betriebsstätte tätig sind (§ 106 SGB VII).
In der zivilgerichtlichen Praxis stoßen diese Haftungsausschlüsse nicht selten auf Unverständnis. So kann der Verletzte keinen Anspruch auf Schmerzensgeld gegen den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung durchsetzen. Entlastet die Unfallversicherung also doch den Schädiger? Ist der gesetzlich unfallversicherte Verletzte nicht gestraft, wenn ihm ein weitergehender Schadensersatzanspruch aberkannt wird? Diese Fragen stellte sich auch der Arbeitskreis III auf dem 52. Verkehrsgerichtstag in Goslar Ende vergangener Woche und kam zu folgenden Ergebnissen:
1. Auch bei zunehmender Globalisierung im Arbeitsleben habe das System der gesetzlichen Unfallversicherung seine Berechtigung und gewährt einen angemessenen
Schutz.
2. Die Haftungsausschlüsse der §§ 104 ff. SGB VII seien im Interesse des Betriebsfriedens auch dann geboten, wenn der Schaden durch ein haftpflichtversichertes Kraftfahrzeug verursacht wurde.
3. Dass der Geschädigte bei einem Wegeunfall im Sinne des § 8 Abs. 2 SGB VII seine
Schadensersatzansprüche gegen den schädigenden Arbeitskollegen behält, während
entsprechende Ansprüche des Geschädigten bei einem Unfall auf einem Betriebsweg
im Sinne des § 8 Abs.1 SGB VII gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen
sind, beruhe auf dem besonderen betrieblichen Bezug des Betriebswegs.
4. Schädigungen zwischen Stammarbeitnehmern und in dem Stammunternehmen
tätigen Leiharbeitnehmern sollten unabhängig davon, ob der Leiharbeitnehmer
Schädiger oder Geschädigter ist, vom Haftungsausschluss gem. § 105 Abs.1 SGB VII erfasst werden. (lk)
Arbeitskreis III: Gesetzlich unfallversichert – Fluch oder Segen?
Entlastet die Unfallversicherung den Schädiger und ist der gesetzlich unfallversicherte Verletzte nicht gestraft, wenn ihm ein weitergehender Schadensersatzanspruch aberkannt wird? Die Frage stellt sich immer wieder neu und erfordert nach Ansicht des Deutschen Verkehrsgerichtstages einer Überprüfung der Systematik.