Die Marschrichtung wird von Vorstandchef Giovanni Liverani ganz klar vorgegeben: Der mit 13 Millionen Kunden und 16 Milliarden Euro Beitragseinnahmen zweitgrößte Erstversicherungskonzern auf dem deutschen Markt will nicht weniger als "Versicherung
neu erfinden. Unser Ziel ist es, bei der Digitalisierung Vorreiter zu sein sowie Hightech zu nutzen, um damit das Leben unserer Kunden sicherer und komfortabler zu gestalten. Um dies zu erreichen, haben wir in den vergangenen Jahren neue Smart-Insurance-Produkte wie Generali Vitality, Mobility und Domocity sowie im Rechtsschutz-Bereich den Identitätsschutz IDPROTECT eingeführt und gleichzeitig in smarte, innovative Prozesse in den Feldern Schaden und Kundenservice investiert."
AH-Exklusivgespräch in München
Wie diese Strategie im Bereich Kfz-Schadenregulierung konkret in die Praxis umgesetzt wird und dass aus einem Gespräch mit einem Versicherungsnehmer ein konzernweiter Pilotversuch in Sachen Oldtimer-Ersatzteile aus dem 3D-Drucker entstehen kann, erläutern die Generali-Verantwortlichen gemeinsam mit Pilotkunde Ulrich Gebauer im AUTOHAUS-Interview: Ulrich Rieger, Chief Insurance Officer P&C der Generali Deutschland AG, Roland Stoffels, Vorsitzender der Geschäftsführung Generali Deutschland Schadenmanagement GmbH (GDSM), und Frank Decker, Chef-Sachverständiger Generali in Deutschland.
AH: Herr Decker, Sie sprachen mit einem Ihrer Versicherungsnehmer über seinen
wertvollen Oldtimer. Welches Problem hatte Ulrich Gebauer mit seinem Pontiac Star Chief?
F. Decker: Während eines Einbruchdiebstahls hatten zunächst unbekannte Täter eine Kunststoffblende an seinem extrem seltenen 1956er Coupe irreparabel beschädigt.
Besonders ärgerlich war, dass das Teil im Einstiegsbereich verbaut ist, so dass der Schaden immer wieder ins Auge fiel. Da das Modell seit Jahrzehnten nicht mehr gebaut wird, gibt es keine entsprechenden Ersatzteile mehr. Im Rahmen der Regulierung sprach ich das Thema intern bei der GDSM an, um nach einer Lösung zu suchen. Recht schnell kamen wir auf das Thema 3D-Druck und waren in der Lage, gemeinsam mit der Firma Rapid Object das Ersatzteil passgenau und in einwandfreier Qualität nachfertigen zu lassen. Damit ist die Generali einer der ersten Versicherer, der diese Zukunftstechnologie besetzt hat.
Dem Kunden eine Lösung bieten
AH: Herr Stoffels, inzwischen läuft unter Federführung der GDSM ein Pilotversuch für die drei Versicherungsmarken Generali, AachenMünchener und CosmosDirekt zum Thema Ersatzteile aus dem 3D-Drucker. Was versprechen Sie sich davon?
R. Stoffels: Wir sind immer auf der Suche nach innovativen Techniken, die für unsere Kunden von Vorteil sind. Selbst wenn aus einer solchen Idee zunächst kein Massengeschäft wird, ist es der Generali wichtig, sich möglichst früh mit Zukunftsthemen zu beschäftigen. So können wir gemeinsam mit kleinen, flexiblen Unternehmen Erfahrungen sammeln und neue Produkte und Dienstleistungen kreieren. Wir machen einen Kunden glücklich und für Oldtimerfans ist das eine super Sache. Ein Beispiel: Ein begeisterter Autosammler meldete uns einen Schaden an einem sehr alten Fahrzeug. Den betroffenen Türgriff aus einem massiven Teil per Hand zu feilen, war sehr teuer. Dies könnten wir heute per 3D-Druck anders handhaben. Durch den Einsatz moderner Technik ergeben sich einfach ganz neue Möglichkeiten, die wir aktiv nutzen möchten.
Es muss nicht immer original sein
AH: Gibt es keine Bedenken in Sachen Sicherheit oder Designschutz, Herr Rieger?
U. Rieger: Natürlich setzen wir uns mit diesen Themen auseinander. Gerade beim Beispiel des Pontiac, wo keine Originalteile mehr hergestellt werden oder verfügbar sind, stellt sich die Frage nach dem Designschutz aus meiner Sicht nicht. Deswegen
beschränken wir uns ganz bewusst auf Oldtimer-Kunden. Gerade dort gibt es viele Fälle, wo Kunden froh sind, wenn sie überhaupt ein Ersatzteil bekommen, das funktioniert. Es muss also nicht immer ein Originalteil sein. Auch damit erhöhen wir unser Know-how und sind davon ausgehend in der Lage, weitere Überlegungen anzustellen. Für welche
Einsatzgebiete eignet sich die Technik noch, wo liegt der Kundennutzen – eventuell auch in anderen Sparten? Hier steckt für unsere Branche ein immenses Potenzial, das nicht nur im Bereich Kfz-Schaden, sondern zukünftig auch im Bereich Personen- oder Sachschaden Anwendung finden kann. Denken Sie an immens teuere Prothesen wie ein C-Leg, das durch einen Scan des gesunden Beins und einen entsprechenden Ausdruck
optimal an den Körper des Versicherungsnehmers angepasst werden könnte.
Innovationskraft absichern
AH: Sie sehen solche Vorstöße also als sinnvolle Investition in die Zukunft und suchen nach weiteren Anwendungsgebieten?
U. Rieger: Genau. Aus meiner Sicht geht es beim 3D-Druck oft zu sehr um die
Produktionstechnik. Die wirklich spannende Frage sind aber die dahinterstehenden Daten und die zugrundeliegende Scan-Technik: Wie erfasse ich ein dreidimensionales
Objekt so genau wie möglich und übersetze es in einen Druckauftrag für die Maschine? Wie korrigiere ich intelligent eine vorhandene Beschädigung, die ich im Ersatzteil nicht haben möchte? Wir sprechen hier von angewandter Digitalisierung, weswegen ich den aktuellen Pilotversuch auch als weiteren Meilenstein in diese Richtung ansehe – nach dem innovativen Hagelscanner und unserer Sofortregulierungs-App. Wir sehen bei all diesen Technologien eine schrittweise Entwicklung in die richtige Richtung, mehr Genauigkeit, mehr Schnelligkeit, mehr Intelligenz in unserem Kundenservice. Aus diesem Grund arbeiten wir als Versicherungskonzern gerne mit Start-ups zusammen,
die bei der Umsetzung neuer Ideen zielstrebig und flexibel vorgehen. Unsere Partner
profitieren von den Erfahrungen der Generali und wir können unser Knowhow sukzessive erweitern, um auch weiterhin innovativ zu bleiben. Die Vergangenheit hat auch gezeigt, dass funktionierende Ideen im Laufe der Zeit branchenweit übernommen werden – hier bleiben wir gerne in einer Vorreiterrolle.
F. Decker: Auch in Bereichen wie Elementar- und Unfallschäden geht es um das Erkennen von Oberflächen mittels künstlicher Intelligenz. Wer einen Parkrempler
selbstständig melden möchte, braucht einSmartphone mit Software, die einen Karosserieschaden erkennen kann. Gleiches gilt für Hageldellen, die von einem Scanner erfasst werden. Auf diesem Sektor werden wir ebenfalls irgendwann nicht mehr von vier Meter hohen Systemen oder Portallösungen sprechen, sondern ein High End-Handy oder eine vergleichbare, smarte Technologie zur Anwendung bringen. Alles, was wir testen, hilft uns auch auf anderen Gebieten. Deswegen suchen wir immer nach schnellen, einfachen, cleveren Ansätzen, um am Ball zu bleiben.
100 % digital sind nicht das Ziel
AH: Wird die Technik über kurz oder lang alle Aspekte der Versicherungsbranche
überlagern?
R. Stoffels: Nicht überlagern, sondern intelligent unterstützen. Wenn das System stimmt, haben alle etwas davon: Der Kunde freut sich über Geschwindigkeit, der Vermittler über reibungslose Abläufe. Natürlich profitieren wir auch davon, wenn optimierte Prozesse dazu führen, dass Kosten eingespart werden können. Das ist unsere Aufgabe, wir bewegen unsin einem Umfeld, wo wir neugierig auf Technologie sind. Dazu gehört auch Big Data. Die vielen vorhandenen Informationen in Übereinstimmung mit den vorhandenen Richtlinien und dem Kundenwunsch so zu nutzen, damit wir schneller
regulieren und Ergebnisse erzielen können. Auf der anderen Seite sage ich auch ganz klar: Wir wollen kein 100 Prozent- Digital-Versicherer werden. Gerade der Schadenfall ist und bleibt ein Kümmerer-Geschäft. Der Versicherungsnehmer will einen Menschen am Telefon haben, will mehr spüren, als nur seinen finanziellen Schaden ersetzt zu bekommen.
U. Rieger: Beide Ansätze schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich. Unsere
Leidenschaft ist es, so schnell wie möglich zu regulieren. Überall, wo wir das mit technischer Unterstützung ohne Abstriche beim Kundenservice erreichen können, setzen wir auf Digitalisierung. Entscheidend ist immer der Wunsch des Kunden. Er kann seine Jahresfahrleistung aus einem Schreiben erfahren, wir bieten ihm aber auch an, uns per Dongle zu informieren.
Wo immer Daten technisch gesammelt werden können, geschieht dies ausschließlich mit Einwilligung unserer Kunden. Alles andere wäre ein Vertrauensbruch, der für ein Versicherungsunternehmen existentielle Folgen haben kann.
AH: Herr Rieger, Herr Stoffels, Herr Decker, vielen Dank für dieses informative Gespräch.
So funktioniert die ET-Herstellung per 3-D-Druck
Notwendige Grundlage für das digital gesteuerte Verfahren ist ein hochauflösender Scan des Originals. Bei der eigentlichen Herstellung werden mehrere Druckschichten nacheinander aufgebaut und somit ein dreidimensionaler Gegenstand erzeugt. Das Material, aus dem das Endprodukt besteht, kann Kunststoff, Keramik, Metall oder auch Silikongummi sein. Im Pilotprojekt hatte die Generali eine Kunststoffverkleidung produziert und ersetzt. Die Produktionszeiten liegen zwischen 24 Stunden bei Kleinteilen bis zu zehn Tagen bei komplexen Teilen. (kt/wkp)