Seit Mitte der Neunziger ist die sanfte Reparaturtechnik aus der deutschen Kfz-Branche nicht mehr wegzudenken. Zuvor allerdings war das Dellendrücken – anders als in den USA – hierzulande noch so gut wie unbekannt, obwohl das Arbeiten mit Ausbeulhebeln in der Automobilfertigung bereits seit den 1930er Jahren zum Einsatz kommt.
Vorwiegend genutzt wird die Technik für die Beseitigung von Hagelschäden, Parkplatzdellen und Dellen, die keine erkennbare Beschädigung des Lacks zeigen, wie zum Beispiel im Herbst durch herabfallende Kastanien. Mit professionellen Hebelwerkzeugen, dem entsprechenden Zubehör und einer gehörigen Portion Übung schaffen es erfahrene Profis, auch beinahe faustgroße Dellen relativ schnell wegzuzaubern. Aufgrund einer permanent erforderlichen Übung greifen aber die meisten Autohäuser und K&L-Betriebe eher auf Freelancer oder Dienstleister als auf eigenes Personal zurück. Neben dem klassischen Anwendungsfeld "Smart-Repair" wissen findige Unternehmer wie Jörg Sonnenberg die Vorteile der cleveren Reparaturmethode noch in einem ganz anderen Bereich optimal zu nutzen: in der Lackvorbereitung.
Rasant gewachsener Betrieb
Sonnenberg, Gründer und Geschäftsführer des gleichnamigen Karosserie- und Lackierbetriebs im Identica-Werkstattsystem, hat in Kassel innerhalb von nur fünf Jahren aus einem Kleinbetrieb ein Vorzeigeunternehmen mit aktuell mehr als 30 Mitarbeitern gemacht. Mit fünf Lackierern, sechs Karosseriebauern und Mechanikern sowie insgesamt sieben Azubis, zwei Mitarbeitern im Finish-Bereich, Bürokräften und vier Aushilfsfahrern schafft er über 2.000 Durchläufe im Jahr. Das rasante Wachstum des Betriebs sei nur möglich gewesen, weil er nicht nur massiv in die für ihn optimale Reparaturtechnik, effiziente Prozesse und vor allem in die Aus- und Weiterbildung investiert habe, so Sonnenberg. Schließlich müssten alle Mitarbeiter in den betrieblich eingesetzten, sanften und innovativen Reparaturtechniken "grundsätzlich fit" sein. Davon könne man jedoch bei den teilweise antiquierten Ausbildungsinhalten der Berufsschulen nicht ausgehen.
Technik plus Schulung
Jörg Sonnenberg nutzt neben mehreren Miracle-Richtsystemen für Stahl- und Aluminium und der Miracle-Klebetechnik auch im Bereich lackschadenfreie Ausbeultechnik die Werkzeuge und das Schulungsangebot der Carbon GmbH aus Eigeltingen. Diese hat als einer der ersten Anbieter in Deutschland bereits vor über zwanzig Jahren mit AOL-Werkzeug- und Zubehörsets sowie Schulungen Pionierarbeit bei Betrieben, Versicherern und Sachverständigen-Organisationen geleistet. Im straff durchgeplanten Tagesgeschäft, weiß Jörg Sonnenberg, bleibt kaum Zeit für Experimente. Deshalb habe er für sein Team im Betrieb ein zweitägiges AOL-Training mit Karosserie-Trainer Thomas Beck von Carbon anberaumt.
Nach einem theoretischen Teil, in dem auf unterschiedliche Materialien, die verschiedenen Ausbeulhebel und das effektive Schattenlicht für ein optimales Arbeiten eingegangen wurde, durften die Teilnehmer schon bald selbst Hand anlegen. Explizit im Vordergrund stand dabei der effiziente Einsatz der Dellentechnik in der Lackvorbereitung. Schließlich, erklärt Lackierer- und Karosseriebaumeister Jörg Sonnenberg, kommen angelieferte Neuteile nicht selten mit Transportschäden ins Haus, manche würden dann versehentlich noch im eigenen Lager beschädigt.
Ausbeulen statt spachteln
Anstatt mit viel Zeit- und Materialaufwand zu spachteln, könne man nach dem viel schnelleren Herausdrücken der Delle unter Umständen gleich mit Nass-in-Nass-Füller weiterarbeiten. Bei der Reparatur von Unfallschäden finden sich zudem auf angrenzenden Bauteilen oftmals Dellen, die mit Ausbeulhebeln oder der AOL-Klebetechnik deutlich schneller gerichtet werden können, als mit herkömmlichen Methoden wie Hammer, Schlaghammer oder Karosseriefeile. Im Idealfall sei das Ergebnis so gut, dass die Flächen allein mit Füller, Basis- und Klarlack wieder einwandfrei stehen. Klar ist: die Karosseriebauer sollten dem Lackierer perfekt instand gesetzte Teile mit lackierfertigem Finish übergeben. Entdeckt der Lackierer zum Beispiel im Randbereich des angelieferten Teils dennoch eine Delle, kann er diese nun mühelos entfernen, anstatt das Teil zurück in die Karosserieabteilung zu bringen. Und wenn im Eifer des Gefechts doch einmal eine kleine Delle übersehen wurde, vermeidet der geschickte Einsatz der Ausbeulhebel nicht nur teure Nacharbeit oder eine Neulackierung, sondern auch Diskussionen mit dem End- oder Versicherungskunden zum Thema Terminverzug.
Schulung brachte Prozess-Sicherheit
Gelohnt hat sich die zweitägige AOL-Schulung auch für die K&L-Mitarbeiter, die allesamt einen freien Samstag geopfert haben. Das Feedback zur Schulung sei sehr positiv gewesen. Alle Mitarbeiter hätten viele neue Einblicke gewonnen und seien hoch motiviert, die lackschadenfreie Ausbeultechnik in ihren Arbeitsalltag zu integrieren. Sonnenberg plant, zwei bis drei der Mitarbeiter nach etwa einem halben Jahr Praxis auf eine Aufbauschulung zu schicken. Wie bei jedem Handwerk kristallisiere sich bald heraus, wer das nötige Gespür für Material und die Reparaturmethode mitbringe. "Unsere Prozesse sind jetzt sicherer und schneller. Unterm Strich verdienen wir mit der lackschadenfreien Ausbeultechnik eindeutig mehr Geld", resümiert Jörg Sonnenberg. Leif Knittel