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Verkehrstote: "EU-Ziele für 2020 sind akut in Gefahr"

24.04.2016 11:25 Uhr
Verkehrstote: "EU-Ziele für 2020 sind akut in Gefahr"
"Alle Beteiligten sind aufgefordert, mit aller Macht gegen den Trend steigender Unfallzahlen anzukämpfen": DEKRA SE Vorstandsmitglied fand klare Worte bei der Vorstellung des neuen Verkehrssicherheitsreports seiner Organisation.
© Foto: Foto: Walter K. Pfauntsch; Grafik: DEKRA

Ungewohnt offen warnte DEKRA SE Vorstandsmitglied Clemens Klinke kürzlich vor einem Scheitern der 2010 beschlossenen EU-Charta zur Halbierung der Verkehrstoten in Europa bis zum Jahr 2020. Steigende Verkehrsdichte und wachsende Probleme durch Ablenkung stelle deshalb auch der neue DEKRA-Verkehrssicherheitsreport in den Fokus.

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Die jüngsten Unfallzahlen, die die Europäische Kommission veröffentlicht hat, sind nach Ansicht von Clemens Klinke, Mitglied des Vorstands DEKRA SE, alarmierend: Zum ersten Mal seit 2001 ist die Zahl der Verkehrstoten in der EU im vergangenen Jahr wieder gestiegen – auf insgesamt rund 26.000 (+ 1,2 Prozent). Das strategische Ziel der EU einer Halbierung der Zahl der Verkehrstoten bis 2020 gegenüber dem Jahr 2010 zu erreichen, sei deshalb "akut" in Gefahr. "Umso mehr sind alle Beteiligten aufgefordert, mit aller Macht gegenzusteuern", so Klinke kürzlich bei der Vorstellung des DEKRA Verkehrssicherheitsreports 2016 in Berlin.

Der Report rückt diesmal den Personenverkehr – insbesondere den Pkw-Verkehr, den mit Abstand größten Anteil der individuellen Mobilität – in den Fokus. Er zeigt auf, wo die größten Potenziale für die nachhaltige Verringerung der Unfallopferzahlen auf den Straßen der EU liegen und welche Herausforderungen sie für Mensch, Technik und Infrastruktur bedeuten.

Mehr Verkehrstote in Ländern mit modernen Fahrzeugen sind "alarmierend"
Über viele Jahre habe sich das Risiko, im Personenverkehr tödlich zu verunglücken oder schwer verletzt zu werden, in nahezu allen Mitgliedstaaten der EU deutlich verringert. Doch diese positive Entwicklung sei nun ins Stocken geraten. So stieg die Zahl der Verkehrstoten 2015 nach vorläufigen Statistiken in Deutschland (+ 2,9 Prozent), Frankreich (+ 2,4 Prozent) und Italien (+ 1,3 Prozent). Diese drei Länder machen zusammen knapp 40 Prozent aller Verkehrstoten in der EU aus. "Wenn die Zahl der Verkehrstoten ausgerechnet in diesen Staaten mit ihrer vergleichsweise modernen Fahrzeugflotte nach oben geht, ist das alarmierend", sagte DEKRA Vorstand Klinke.

Bei Pkw-Unfällen versagt zu 90 Prozent der Mensch
Was den Personenverkehr anbelangt, sind Pkw-Fahrer seit Jahrzehnten die Verkehrsteilnehmergruppe, die am häufigsten an Unfällen mit Personenschaden beteiligt sind. Insofern gelte es, insbesondere hier anzusetzen, um die Verkehrssicherheit nachhaltig zu erhöhen. Die Hauptursache von Unfällen mit Personen- und/oder Sachschaden sei dabei menschliches Versagen: Wie Statistiken immer wieder zeigen, ist der Mensch für etwa 90 Prozent der Unfälle verantwortlich. Nicht ohne Grund setze daher die Automobilindustrie schon seit Jahren verstärkt auf Fahrerassistenzsysteme, die kritische Situationen frühzeitig erkennen, vor Gefahren warnen und wenn nötig auch aktiv eingreifen.

Hoffen auf Fahrzeug-Autonomie – und den rechtlichen Rahmen
Ergänzend komme den Schlüsseltechnologien der Mobilität 4.0 ebenfalls ein wichtiger Part zu, auf den im neuen DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2016 eingegangen wird: Neue Technologien können mit der Kommunikation zwischen Fahrzeugen und auch der sie umgebenden Infrastruktur zusätzlich helfen, die Zahl der schweren Unfälle noch weiter zu reduzieren. Schon heute fahren einige Fahrzeuge teilautomatisiert und vernetzt. In Zukunft wird die Anzahl der Fahrzeuge mit Funktionen des automatisierten Fahrens und Vernetzung deutlich steigen. Das eröffne beachtliche Perspektiven, um die Zahlen getöteter oder verletzter Verkehrsteilnehmer zu reduzieren. "Zuvor müssen dafür aber die rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst werden", betonte Clemens Klinke. Das betreffe neben dem "Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr" vor allem auch die nationalen und internationalen Vorschriften über die Rechte und Pflichten der Verkehrsteilnehmer sowie die Regelungen für die Zulassung von Kraftfahrzeugen.

Jeder 6. Fußgänger achtet auf sein Smartphone statt auf die Straße
Während insbesondere elektronische Assistenzsysteme den Verkehr sicherer machen, werde dieses positive Potenzial durch zunehmende Ablenkung im Verkehr teilweise zunichte gemacht: Verkehrsteilnehmer wenden ihre Aufmerksamkeit ab, weil sie beispielsweise ihre Smartphones bedienen. Die Gefahren hierdurch sind nach Ansicht der Stuttgarter Sachverständigenorganisation nicht zu unterschätzen. Die DEKRA Unfallforschung hat in sechs europäischen Hauptstädten beobachtet, dass insgesamt fast 17 Prozent der Fußgänger beim Überqueren der Straße ihr Smartphone benutzten. "Gerade beim Thema Ablenkung muss die Verkehrssicherheitsarbeit in den kommenden Jahren mit Nachdruck ansetzen. Aufklärungsarbeit steht hier an erster Stelle", so Klinke.

Insgesamt sind nach seiner Überzeugung verantwortungsbewusstes Verhalten, die richtige Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und ein hohes Maß an Regelakzeptanz aller Verkehrsteilnehmer unerlässlich. "Daran kann auch die beste Fahrzeugtechnik und Straßenverkehrsinfrastruktur nichts ändern."

Zeitgleich mit der Veröffentlichung des DEKRA Verkehrssicherheitsreports 2016 startete die Sachverständigenorganisation das neue Online-Portal www.dekra-roadsafety.com zu wichtigen Themen rund um die Verkehrssicherheit.

DEKRA Forderungen für mehr Verkehrssicherheit
Im DEKRA-Verkehrssicherheitsreport 2016 werden eine ganze Reihe von Forderungen erhoben, die es gelte, nachhaltig zu verfolgen. Im Einzelnen sind dies:

1. Höhere Marktdurchsetzung mit elektronischen Fahrerassistenzsystemen
2. Verständliche Aufklärung über das Vorhandensein, die Funktion und die Grenzen von Fahrerassistenzsystemen sowie Klarstellung der stets gegebenen Eigenverantwortung des Fahrers
3. Schnellstmögliche Ausarbeitung international einheitlicher rechtlicher Rahmenbedingungen für hoch- und vollautomatisierte Fahrfunktionen
4. Ständige Weiterentwicklung der technischen Fahrzeugüberwachung im Hinblick auf neue elektronische Systeme und sicherheitsrelevante Kommunikationstechnik
5. Erweiterte Öffnung des Zugangs für Überwachungsorganisationen zu Daten der Hersteller, die zur Prüfung elektronischer Systeme relevant sind
6. Verstärkter Einsatz von Unfalldatenspeichern (Event Data Recorder) zur Aufklärung von Unfallabläufen und zur Unfallursachenermittlung – vor allem im Zusammenhang mit automatisierten Fahrfunktionen
7. Förderung intelligenter Infrastruktur (Car-to-Infrastructure-Kommunikation) und intelligente Vernetzung von Verkehrsträgern (Mobilität 4.0)
8. Vorrang der Verkehrssicherheit gegenüber Kostenfragen bei der Planung und  Instandhaltung von Infrastruktur
9. Aktive und aufmerksame Teilnahme am Straßenverkehr sowie größtmögliche Vermeidung von Ablenkung
10. Gegenseitige Rücksichtnahme und Hineinversetzen in die Lage anderer Verkehrsteilnehmer
11. Steigerung der Gurtanlegequote in Pkw auf 100 Prozent, auch mithilfe angemessener und wirksamer Kontrollen
12. Konsequente Umsetzung der europaweiten Gurtpflicht in Reise- und Fernlinienbussen
13. Steigerung der Helmtragequote bei Radfahrern – insbesondere auf Pedelecs mit ihren höheren Durchschnittsgeschwindigkeiten
14. Frühestmögliche Verkehrserziehung schon im Vorschul- und Grundschulalter
15. Gezielte Förderung der Kompetenzen in Sachen vorausschauender Verkehrsbeobachtung und Gefahrenvermeidung in der Fahrausbildung
16. EU-weite Vereinheitlichung der Verfahren zur Überprüfung der Fahreignung nach dem Vorbild des bewährten deutschen MPU-Systems
17. EU-weit einheitliche Verkehrsregeln, soweit möglich und sinnvoll    (wkp)

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KOMMENTARE

Frank Oesterle

25.04.2016 - 09:05 Uhr

Ich bin der Ansicht, dass wir keine weitere Absenkung der Verkehrstotenzahlen erreichen können, nichts spricht dafür. Wir erziehen junge Verkehrsteilnehmer zu einer Vollkaskomentalität, in der nichts passieren kann, und trotzdem alles passiert. Schauen Sie sich einen heutigen Fahranfänger an, der mit einem assistenzmäßig vollgepropften Fahrschulwagen das Fahren lernt (bzw. eben nicht lernt, da ihm die Assistenten alles abnehmen) und sich danach in ein Fahrzeug setzt, das ihm das Fahren nicht abnimmt. Das Eintreten des Unfalls ist erwartbar, nur die Schwere nicht. Die Assistenzsysteme sind ein Irrweg, viele davon schaffen mehr Un- als Sicherheit, lenken unnötig ab, und bringen zum Schluss doch nichts. Wenn ich mich in ein solches "modernes" Auto setze, schalte ich zuerst das Meiste ab, damit ich sicher von A nach B komme. Ich kann noch selber Auto fahren, und man kann der autofahrenden Gesellschaft nur wünschen, dass sie dorthin zurückkehrt, wo eigenes Wissen gefragt ist, und nicht unterstützende Assistenz, also der Freibrief für Nichtwissen.


egon samu

29.04.2016 - 10:50 Uhr

Es bleibt keine andere Möglichkeit: die Bundeskanzlerin muß sich dieses Themas annehmen.Als Chefsache.Sie sorgt schon für die Begrenzung der Klimaerwärmung auf max 2°C. Versprochen.Sie schafft es Deutschland ins Chaos und soziale Unruhen zu treiben. Alternativlos.Dann wird sie doch auch 0 Tote im Straßenverkehr bis 2020 schaffen.Sie wird auch die eine Million Elektrofahrzeuge auf die Straßen bringen. Koste es was es wolle. Vorteil: dann werden nur noch Schwerhörige überfahren...


Michael Kühn

29.04.2016 - 13:20 Uhr

@ egon samu; einfach erste Klasse Ihr Kommentar, da stehe ich voll dahinter. - Auch @ Frank Oesterle kann ich nur zustimmen. Grüßle MK


wylly

29.04.2016 - 16:01 Uhr

@frank oesterle: ich fahre im Jahr 80000 Km - Sie haben ja so recht@egon samu - allerbeste Satire - Glückwunsch!


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