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Automechaniker auf Kuba: Meister zwischen Mangel, Improvisation und Mango-Bäumen

01.11.2016 10:52 Uhr
Einem deutschen Automechaniker muss die Werkstatt von Jorge Luis Hernandez wie das Paradies vorkommen.
© Foto: Benjamin Bessinger/SP-X

In Kuba geht der Wandel mur langsam von statten. Sehr zur Freude zigtausender Touristen – und Männern wie Jorge Luis Hernandez. Denn als Mechaniker mit magischen Händen lebt er nicht schlecht von verbeulten US-Klassikern.

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Von Benjamin Bessinger/SP-X

Neben dem Parkplatz wachsen Mango-Bäume, in der Mittagspause gibt es Rum und Zigarren und das Wetter ist so gut, dass er die meiste Zeit unter freiem Himmel arbeitet. Einem deutschen Automechaniker muss die Werkstatt von Jorge Luis Hernandez wie das Paradies vorkommen. Aber wie so oft im Leben hat auch dieser Traum einen Haken: Der Betrieb liegt in einem Vorort von Havanna und sein Inhaber kämpft seit über 30 Jahren einen schier aussichtslosen Kampf gegen die Mangelwirtschaft und das Handelsembargo, das die Karibikinsel zu einem der ärmsten Länder der Welt gemacht hat.

Dass der 57-Jährige trotzdem gut lachen hat, liegt nicht allein an der paradiesischen Umgebung und dem milden Klima. Es liegt vor allem daran, dass Jorge Luis Hernandez ein Meister der Improvisation ist und aus dem Mangel sein Geschäft gemacht hat. Denn Hernandez repariert nicht die wenigen hundert Neuwagen, die von der Regierung jedes Jahr ins Land geholt und zunächst nur bei Staatsbetrieben eingesetzt werden, bevor sie irgendwann in die Hände verdienter Bürger und Parteigängen gelangen. Der Mann mit den magischen Händen schraubt an den vielen tausend US-Klassikern, die von den Reichen Amerikanern zurückgelassen wurden, als Fidel Castros und Che Guevaras Revolutionäre sie Anfang 1959 aus dem Land gejagt haben. Auf fast 100.000 Oldies von 1945 bis 1958 schätzen Experten den Bestand und dass es die allermeisten davon noch immer fahren, liegt an Männern wie Hernandez, der damit irgendwie auch sein ganzes Land am Laufen gehalten hat.

Jahr für Jahr bringt er rund ein Dutzend Ami-Autos zurück auf die Straße. Die sehen zwar aus wie früher, haben aber mit dem Original meist nicht viel mehr als die grobe Form gemein. Denn erstens gibt es kaum originale Ersatzteile, so dass Hernandez zur Improvisation gezwungen ist, mit Spachtelmasse modellieren muss wie ein Bildhauer und bisweilen sogar Scheiben in Form schmilzt. Und zweitens sind die alten Achtzylinder den meisten seiner Kunden schlicht zu versoffen. Weil Sprit teuer ist auf Kuba und Geld knapp, lassen sie sich sparsame Motoren von chinesischen oder europäischen Gebrauchten einbauen, die ihnen Hernandez auf verwunschenen Kanälen besorgt. Nicht umsonst heißen die Möchtegern-Oldtimer im Volksmund auch "Frankenstein-Autos."

Umbau nötig

So hängt in seiner Werkstatt gerade die Karosse eines Chrysler, natürlich aus den Fünfzigern. Sauber entrostet, geschweißt, geschliffen, grundiert, fast schon lackierfertig. Vorher muss Jorge sie allerdings nochmal umbauen: die Spritzwand kürzen, den Mitteltunnel verbreitern, andere Aufhängungspunkte für die Hinterachse anschweißen. Schließlich steht eine Herzverpflanzung an: Hernandez schmeißt schweren Herzens den urtümlichen Achtzylinder raus und baut stattdessen einen Fünfzylinder-Turbodiesel samt Automatikgetriebe aus deutscher Produktion ein.

Damit der Motor passt, muss Jorge noch die Lenkung versetzen und die Vorderachse umbauen. Die Hinterachse wird er auch weitgehend neu konstruieren, falls das vorhandene Differenzial nicht doch wiederzuverwerten ist. Und dann kommt erst das Interieur. Cockpit und Sitze hat er schon im Lager, sie stammen aus einem Hyundai Sonata. Und damit am Ende alles halbwegs passt, bunkert er Fässerweise Kunststoff-Modelliermasse.

Nur gut, dass der kubanische TÜV schon zufrieden ist, wenn ein Auto überhaupt fährt, wenn man es halbwegs um eine große Kurve lenken kann und die Bremsen nicht völlig wirkungslos sind. Und von Schadstoffgrenzwerten hat im Land der schwarzen Abgasfahnen offenbar auch noch niemand etwas gehört.

Hernandez’ Kunden sind Kubaner, die sich nicht länger der Lethargie des Kommunismus hingeben und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen wollen. Während der Neuwagenmarkt noch in den Kinderschuhen steckt, von den Castro-Brüdern mit ziemlich skurrilen Regeln künstlich klein gehalten und ohnehin nur über staatliche Betriebe läuft, werden die Oldtimer aus Hernandez’ Werkstatt als private Taxis für sentimentale Touristen zum Motor der aufkeimenden Privatwirtschaft.

Viel Geduld gefragt

Es ist deshalb auch ein ziemlich kapitalistisches Kalkül, wenn Exil-Kubaner ihren verwanden oder Freunden die umgerechnet bis zu 10.000 Euro vorstrecken, für die Hernandez aus einem Wrack wieder einen funktionierenden Oldtimer für den Alltag macht, nur um dann mit Zins und Zinseszins an den Einnahmen aus dem Taxi-Geschäft beteiligt zu werden. Bevor so ein Geschäft ins Rollen kommt, ist allerdings viel Geduld gefragt: Die reine Arbeitszeit bei einer kompletten Restaurierung liegt zwar selten bei mehr als zwei Monaten. Schließlich hat Hernandez ein Dutzend Mechaniker, die eigentlich eher Kunsthandwerker sind und mit einfachsten Mitteln schier Unglaubliches leisten. Dass die Autos trotzdem meist sechs bis zehn Monate in seinem Hof stehen, hat einen anderen Grund: Die Ersatzteilversorgung. Schließlich muss Hernandez jedes einzelne Bauteil irgendwie „organisieren“, was gar nicht so leicht ist in einem Land, in dem es keinen offiziellen Ersatzteilhandel gibt und das Internet erst vor ein paar Monaten freigeschaltet wurde. Hernandez ist deshalb zum findigen Beschaffer geworden, der auf Baujahr und Hersteller nicht viel Rücksicht nimmt. Und was er partout nicht passend machen oder auf seiner riesigen Resterampe finden kann, das lässt er sich von Freunden und Bekannten im Handgepäck im Flugzeug mitbringen.

Zwar registriert auch der Mann mit den magischen Händen den Wandel auf Kuba und sieht immer mehr neue Autos auf den Straßen. Doch erstens macht ihm das seinen Job auch ein bisschen leichter, weil er jetzt Ersatzteile sogar bei Ebay kaufen und per DHL aus den USA kommen lassen kann, wenn die Kunden genügend Geduld dafür haben und genügend Geld dafür zahlen. Und zweitens kann selbst der optimistischste Kubaner nicht glauben, dass der Aufbruch von heute auf morgen kommen und es die US-Klassiker nach bald 60 Jahren doch noch von der Straße fegen wird. „Und selbst wenn jeder ein neues Auto will, werden noch immer Touristen kommen, die sich mit den alten Chevys und Caddys durch die Stadt chauffieren lassen wollen“, redet er sich die Zukunft schön. Und wenn nicht? Dann hat Hernandez damit auch kein Problem. Schließlich ist er nicht umsonst im Präsidium des ersten kubanischen Oldtimer-Clubs. "Dann fangen wir endlich an, die ganzen Frankestein-Autos wieder in den Original-Zustand zurück zu bauen", sagt der Meister der Improvisation. Wenn’s einer kann, dann ist das schließlich er. 


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