Ausgabe 09/2007: Detailfinesse

Bremsenprüfstände gibt es seit über einem halben Jahrhundert. Doch die Entwicklung ist längst nicht am Ende. Detailfinessevon Thomas SeidenstückerBremsen sind die wichtigsten Bauteile am Fahrzeug. Dies erkennt man bereits an dem von vielen Heckscheiben bekannten Slogan: Wer schlechte Bremsen hat, verliert. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind Bremsenprüfstände sehr nützliche Einrichtungen, die man heute in 99 Prozent der Autohäuser und Werkstätten findet. Das ist gut so, denn in erster Linie sollte eine Werkstatt bei jedem Kundenbesuch die Sicherheit der Autofahrer im Blick haben. Der beste Platz für einen Bremsenprüfstand ist deshalb die Ein- und Ausfahrt des Betriebsgeländes, an der kein Kunde vorbeifahren kann. Mehr DialogNatürlich gibt es – wie bei vielen anderen Dingen – auch beim Thema Bremsenprüfstände unterschiedliche Philosophien. Für den einen muss es ein Plattenprüfstand sein, weil man sich nur damit recht sicher sein kann, einen Frontspoiler nicht zum Heckdiffusor zu machen. Für den anderen gehört der Bremsenprüfstand in jede Dialogannahme, weil man den Kunden gern mit Protokollausdrucken überzeugt und nicht gewillt ist, zur Taschenlampe zu greifen, oder den Kunden einfach mal fragen möchte: Wie sind Sie mit den Bremsen Ihres Autos zufrieden? Vibriert da was an der Bremse? Rubbelt es beim Tritt aufs Bremspedal? Geht Ihnen auch das Quietschen auf die Nerven? So simple Dinge des Kundendialogs haben viele vergessen oder man ist bisher nicht auf die Idee gekommen, die technische Keule sparsamer einzusetzen. Denn weniger ist manchmal mehr.Wo geht die Reise bei den Prüfständen hin? Das kommt darauf an, wen man fragt. Der Plattenprüfstand hat weiterhin seine Berechtigung, denn er ermöglicht eine sehr schnelle Aussage, ob die Bremswerte zwischen links und rechts differieren. Zudem benötigt die Platte nur sehr flache Fundamente und die schadenfreie Prüfung von Allradfahrzeugen ist ebenfalls kein Problem. Da allerdings die Prüfgeschwindigkeit fast immer anders ist, liefern Plattenprüfstände keine reproduzierbaren Bremswertergebnisse. Zudem ist die Diagnose der Bremse schwierig bis gar nicht auf dem Plattenbremsenprüfstand möglich. Hier muss man fast notwendigerweise das Gespräch mit dem Kunden suchen oder bei einer Probefahrt Defizite der Bremse entlarven (z. B. Unwucht der Bremsscheibe etc.). SchiebungEin weiteres Manko ist die Prüfung elektronischer Parkbremsen. Extremster Fall: BMW 7er. Hier lässt sich die Parkbremse nur bei stehenden Rädern aktivieren. Dementsprechend müssen im Fall der Prüfung die vier stärksten Mechaniker des Betriebes versuchen das Auto vom Plattenbremsenprüfstand zu schieben um Bremswerte für die Feststellbremse zu erhalten. Alternative: Den 7er mit einem anderen Auto über den Plattenbremsenprüfstand schleifen und dabei den Gesichtsausdruck des Besitzers beobachten. Ein Plattenprüfstand ist also dafür nicht prädestiniert.Der Rollenbremsenprüfstand ist insgesamt flexibler anwendbar, benötigt wenig Platz, lässt sich sehr gut in eine Prüfstraße integrieren, liefert reproduzierbare Ergebnisse und ermöglicht über eine Auswertung des grafisch dargestellten Bremskraftverlaufs (soweit der Prüfstand an einen PC angeschlossen ist) eine genauere Diagnose der Bremsanlage. Hängende Bremssättel oder Dickenunterschiede der Bremsscheibe lassen sich so sehr gut erkennen. Problematischer für den Rollenbremsenprüfstand wird es, wenn ein Allradfahrzeug vor dem Werkstatttor wartet. Bis dato gängige Praxis war ein sehr präzise gesteuerter Gegenlauf der Rollen zwischen rechter und linker Seite des Prüfstandes (patentiert von Maha) und damit verbunden die entgegengesetzte Drehrichtung der Räder. So ließen sich bisher die meisten Allradregelsysteme überlisten und eine Prüfung der Bremse war ohne Schäden am Antriebsstrang möglich. Inzwischen sind modernere Fahrzeuge mit komplexeren Allradregelsystemen auf dem Markt, die sich auch mit gegenläufig drehenden Rollensätzen nicht mehr beschädigungsfrei prüfen lassen. In diesem Fall benötigt die Werkstatt einen kostspieligen Vierradrollenbremsenprüfstand, man weicht auf einen Vierplattenprüfstand aus oder man kennt einen Kollegen, in dessen Betrieb das geeignete Equipment vorhanden ist.Besser wiegenEine weitere Möglichkeit der 4x4-Bremsenprüfung stellte Maha im letzten Jahr auf der Automechanika vor – die so genannte SCM-Regelung (SCM = Speed Control Mode) für Einachs-Rollenbremsenprüfstände. Per SCM werden die Räder winkelsynchron in Fahrtrichtung gedreht. Besonderheit ist, dass die neue Prüfstandssoftware die Rollendrehzahl unter die Einschaltgeschwindigkeit des Allradsystems des Fahrzeugs regelt. In vielen Fällen moderner Allradregelsysteme sprechen die elektronisch gesteuerten Sperren des Antriebsstrangs allerdings so präzise an, dass die Steuerung des Prüfstandes auf Prüfgeschwindigkeiten herunterregeln muss, die unter der gesetzlich vorgeschriebenen Prüfgeschwindigkeit für Bremsanlagen (Verkehrsblatt 9/2003 Punkt 3.4) von zwei km/h liegen. Hier bleibt die Frage offen, wie sinnvoll und gesetzeskonform eine solche Bremsenprüfung bzw. Prüfstandsregelung ist. Hier wären die Fahrzeughersteller besser beraten für solche Fahrzeuge einen geeigneten Modus für die Bremsenprüfung im Steuergerät zu hinterlegen. Weitere Fragen stellen sich in Zusammenhang mit der Bremsenprüfung: Prüfen Werkstatt und Prüfingenieure überhaupt richtig, interpretiert man die Bremswerte korrekt und übereicht man dem Endkunden stets ein ordnungsgemäßes Prüfprotokoll? In einigen Fällen ja, in den meisten Fällen aber nicht. Denn die HU-Bremsenrichtlinie innerhalb der StVZO gibt eindeutig vor, dass die Abbremsung eines Kraftfahrzeugs bezogen auf das zulässige Gesamtgewicht des Fahrzeugs nachzuweisen ist. Um das Gewicht des Fahrzeugs ins Verhältnis zu den Bremskräften setzen zu können, ist eine Achswaage im Bremsenprüfstand sinnvoll, die in der Praxis aus Kostengründen gerne eingespart wird. Ist der Bremsenprüfstand in eine Prüfstraße integriert, ist die Achswaage oft im Stoßdämpferprüfstand vorhanden und die dort ermittelten Gewichte lassen sich auch für die Bremswertausgabe heranziehen. Prinzipiell ist es also ratsam für Autohaus und Werkstatt – ganz speziell bei der Anschaffung eines neuen Bremsenprüfstandes –, dass dieser für eine Achswaage vorgerüstet ist. Denn einige europäische Länder sind hier weit fortschrittlicher und genauer als Deutschland, und wie sich bereits in zahlreichen anderen Bereichen gezeigt hat, läuft es zunehmend auf einheitliche Regularien innerhalb der EU hinaus. Dann ist man gut beraten, Reserven auszubauen. NachgefragtWorauf sollte man heute bei der Investition in einen Bremsenprüfstand achten? Wir fragten Frank Beaujean, Produktmanager Bremsenprüfstände bei der Snap-on Equipment GmbH: "Grundsätzlich und wenn die wirtschaftliche Kraft des Unternehmens ausreicht, würde ich mich stets auf eine Prüfstraße konzentrieren. Beim Rollenbremsenprüfstand würde ich darauf achten, dass die Rollen einen Durchmesser von über 170 Millimeter aufweisen, besser noch 200 Millimeter haben. Ein weiteres Kriterium ist der Motor des Prüfstandes, der mindestens 2,5 kW (bei ca. 3 km/h), besser 3,7 kW für hohe Durchsatzraten hat, weil dann genügend Kraftreserven nach oben bestehen. Darüber hinaus sollte der Prüfstand die Daten elektronisch weitergeben können bzw. eine Schnittstelle zum PC haben. Die Überfahrlast des Prüfstandes sollte über vier Tonnen betragen und eine erweiterte Allradregelung offen halten, bis hier Systeme zu vernünftigen Preisen am Markt erhältlich sind (Preisgrenze ca. 3.500 Euro). Mit der Gegenlaufsteuerung kann man heute ca. 90 Prozent der am Markt erhältlichen Allradfahrzeuge abdecken. Darüber hinaus bleibt abzuwarten, wie sich die Zusammenarbeit von Diagnosegeräteanbietern und klassischen Werkstattausrüstern weiterentwickelt bzw. aufgrund der rasanten Fahrzeugentwicklung künftig neue Wege der Fahrzeugsystemprüfung gegangen werden müssen." Ohne RolleSnap-On Equipment hat einen neuen Bremsenprüfstand entwickelt, der ohne Tastrolle arbeitet. Stattdessen kommen zwei Triangulationssensoren zum Einsatz, die einerseits den Abstand zum Reifen messen und darüber hinaus Funktionen der Tastrolle übernehmen. Sobald das Fahrzeug in den Prüfstand einfährt, ermitteln die beiden Sensoren die Position des Rades im Rollensatz. Per Anzeige innerhalb der Bremskraftanzeige erkennt der Fahrer, ob er zu weit rechts oder zu weit links im Rollensatz steht und nach Anlauf der Rollen eventuell die Felge am Metallrahmen des Prüfstandes beschädigt werden könnte. In Verbindung mit dem Bremskraftsensor ermittelt der neue Sensor zudem, ob ein Fahrzeug in den Prüfstand eingefahren ist. Erst nach eindeutiger Verifizierung eines Fahrzeugs laufen die Rollen an. Die sonst übliche Tastrolle dient neben der Einschaltsicherung gleichzeitig der Drehzahldetektierung des Rades und um den Übergang von der Rollreibung zur Gleitreibung festzustellen. Laut Snap-On ist dies auch mit den neuen Sensoren möglich, da die Abtastrate und Filterung sehr hoch ist und die Steuerung ein blockierendes Rad sofort erkennt und den Prüfstand entsprechend abschaltet. Darüber hinaus verspricht man sich von der neuen Konstruktion einen geringeren Wartungsaufwand und niedrigere Servicekosten, da mit dem Wegfall der Tastrolle auch das Problem abgescherter Drehzahlsensoren entfällt. Die bisherige Bauweise mit Tastrolle bietet das Unternehmen weiter an. In einigen Ländern ist ein Vorhandensein der Tastrolle Bestandteil der Bauartprüfung. ParkbremsenproblemeElektronische Parkbremsen schaffen Platz auf der Mittelkonsole, führen aber teils zu Problemen bei der Bremsenprüfung, weil die verbaute Funktionalität und Prüfanforderung je nach Fahrzeugmodell sehr unterschiedlich sein kann. Beim BMW 7er muss das Auto zum Beispiel stehen um die echte Handbremsfunktion zu aktivieren, da bei rollendem Fahrzeug und Druck auf den Handbremsknopf die Betriebsbremse zum Bremsen verwendet wird. Andere Fahrzeuge (z. B. Audi Q7) erfordern für die Prüfung der Handbremse eine Prüfgeschwindigkeit von mindestens drei km/h, während beim VW Passat mindestens 2,5 km/h notwendig sind. Das heißt, auf einem 2,5 km/h Bremsenprüfstand lässt sich nicht ohne weiteres eine Q7-Handbremse prüfen. Da sind Modifikationen oder gleich ein neuer Prüfstand notwendig. Grundsätzlich ist das Wirrwarr und die Vielzahl unterschiedlicher Systeme bei elektronischen Parkbremsen – die ja prinzipiell "nur" die Funktion einer Handbremse haben – sehr unbefriedigend. Das gilt sowohl für die Werkstatt als auch für die Hersteller von Bremsenprüfständen und selbst den Autofahrer, wenn er von Fahrzeugmodell A auf Fahrzeug B umsteigt und wieder eine neue Bedienung für die Handbremse vorfindet. Vor allem in Hinblick auf einen Mehrmarkenservice wären Standards bei grundsätzlichen Dingen – wozu eine Bremsenprüfung und Bremsenreparatur zweifelsohne gehört – sehr sinnvoll. Erleichterung (gegen Aufpreis) für die Prüfung elektronischer Parkbremsen verspricht ein System von Maha, das zwar als Neuheit promotet wird, aber vom Grundsatz her keine Neuheit ist. Denn dahinter verbirgt sich ein Sanftanlauf der Motoren, wie ihn auch andere Anbieter von Rollenbremsenprüfständen seit längerem im Programm haben. Durch den Sanftanlauf ist es möglich, das Fahrzeug in den Prüfstand zu fahren und bei blockierter Bremse den Prüfablauf zu starten, ohne dabei das Reifenprofil abzuraspeln. Über die Schlupfüberwachung wird der Prüfstand rechtzeitig und vor Beschädigung der Reifen abgeschaltet und über das Anlaufbremsmoment die Bremskraft ermittelt. In England ist die Prüfung mit blockierter Bremse bei Nfz schon länger üblich und wird dort als Applied Handbrake-Test bezeichnet.

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