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Hightech-Windschutzscheiben: Teure Ausblicke

16.07.2024 11:17 Uhr | Lesezeit: 4 min
Fummeln für den Feuchtigkeitssensor - der winzige Chip auf der Frontscheibe ist mit nichtmagnetischen Schrauben befestigt.
© Foto: SP-X/Peter Weißenberg

Der kleinste Sprung wird richtig teuer: Windschutzscheiben bekommen immer mehr eingebaute Funktionen für Sicherheit und Komfort. Zudem werden sie immer größer und aufwändiger. Das macht den Hightech-Durchblick schon jetzt erheblich kostspieliger. Die Rechnung geht an alle Autofahrer.

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Ein Jahrhundert lang hatte die Frontscheibe bei fast allen Autos im Wesentlichen nur eine Funktion: Durchschauen, die Straße sehen – und dabei weder Regen, Insekten noch Fahrtwind ins Gesicht bekommen. Ein besseres Fenster eben, seit Mitte der 50er Jahre immerhin so hergestellt, dass es beim Crash nicht in Tausenden Splittern durch den Wagen fliegt. Außer diesem Verbundglas hielten sich die Innovationen bei der größten Scheibe im Fahrzeug für Normalkunden in Grenzen.

Heute fährt auch der Käufer des billigsten Neuwagens ein massiges Stück Hightech durch die Landschaft: Seit kurzem sind Spurhalte- oder Notbremsassistenten in Europa Pflicht – und damit auch eine Kamera am oberen Rand der Windschutzscheibe, exakt auf der Oberfläche der gewölbten Innenseite montiert. Zudem benötigt der digitale Durchblick auch zumindest an dieser Stelle eine eigene Heizung, um auch bei eisigen Temperaturen die Scheibe freizuhalten.

Mit der eingebauten Kamera belassen es die meisten Fahrzeughersteller aber nicht: "Bis zu 20 Funktionen sind heutzutage in eine moderne Frontscheibe eingebaut", sagt Jean-Pierre Filippini, Geschäftsführer von Carglass. Das reicht von der Wärmedämmung über das Einziehen einer geräuschabsorbierenden Folie, von Heizungen für die Scheibenwischer in Ruhestellung bis zu Temperaturfühlern, von Hutzen für einen Lidar in der Verglasung Richtung Dach, GPS-Antennenkabeln, Mobilfunk- und DAB-Verbindungen – und nicht zuletzt den eingebauten Bereichen für das Head-up-Display.


Hightech-Windschutzscheiben

Hightech-Windschutzscheiben Bildergalerie

Gerade bei diesen über eine Folie virtuell in das Sichtfeld integrierten Symbolen geht die Entwicklung rasant voran. Jaguar, BMW, Toyota, Great Wall oder Forvia haben erst unlängst ihre Zukunftsvisionen vorgestellt: Head-up-Displays, die beinahe die gesamte Frontscheibe einnehmen und auch für Fahrerin und Copiloten unterschiedliche Bereiche und Informationen ermöglichen. Da kann der Fahrer vor sich auf der Straße den Navigationspfeil und die kommende Geschwindigkeitsbeschränkung wandern sehen, während der Beifahrer gerade einen Film auf Youtube schaut oder eine Teams-Konferenz leitet. Viele Zulieferer arbeiten an ähnlichen Technologien, die potenziell bald auf allen Scheiben im Auto kommen werden. Wer möchte nicht bei der Ruhepause im Liegesitz während des Ladens durch das Panoramaglas im Dach die Sternbilder erläutert bekommen?

Ganz neue Ausblicke – die aber eine teure Schattenseite haben: Diese Hightech-Windschutzscheiben lassen sich schon bei winzigen Löchern in den neuralgischen Bereichen der Assistenzsysteme nicht mehr für ein paar Dutzend Euro reparieren, sondern müssen komplett ersetzt werden. Im Schadensfall ergeben sich zudem neue Herausforderungen für Autoglaser, wie Filippinis Experten kürzlich bei einer Präsentation am Beispiel des Tesla Model 3 erläutert haben. Reparatur und Austausch erfordern jetzt noch mehr Präzision und Fachwissen. Denn die Fachleute müssen komplexe digitale Systeme verstehen und präzise reparieren können.

Glasfächen: Größer, gewölbter, technischer

Das fängt bei der schieren Größe der Frontscheiben an. War noch die Scheibe eines Käfers ursprünglich flach wie ein stinknormales Fenster, knapp einen Meter breit und nicht mal einen halben Meter hoch, so sind heutige Glasflächen oft dreimal größer, gewölbt, auch unterhalb der Fronthaube oder bis ins Dach für die Integration von Funktionen speziell ausgeformt und mit unzähligen Anschlüssen für die Technik versehen.

Das macht Aus- und Einbau oft zu einem halben Alptraum. Denn mit dem Lösen von ein paar Schrauben oder Klebeflächen ist es nicht getan. Beim Tesla beispielsweise muss der Frunk, Teile der Innenverkleidung und die Türdichtungen ausgebaut werden, um die Scheibe überhaupt erst freizulegen. Techniker brauchen zudem nicht nur ein tiefes Verständnis der Hardware, sondern auch der Software. Sie müssen Updates durchführen und Systeme neu konfigurieren, um die beste Funktionalität sicherzustellen. Das bedeutet, dass sie sich ständig weiterbilden müssen, um mit der schnellen technologischen Entwicklung Schritt zu halten. Und die Monsterscheiben müssen ja am Ende auch an die exakt richtige Stelle gewuchtet werden. Da dauert so eine Arbeit oft weit über eine Stunde, wo es vorher nur ein paar Minuten waren.

Auch die Versicherungen gruselt es deshalb vor der teuren Entwicklung. Denn meist müssen sie ja den Austausch der Scheibe bezahlen – und die Kosten dafür bei der nächsten Kalkulation der Tarife auf alle Versicherten umrechnen. Die Kostenexplosion fängt schon beim Transport an: "Passen noch 35 Ersatzscheiben für ein Fahrzeug ohne Frontscheiben-Kamera auf eine Europalette des Lieferanten, dann sind es bei den Hightech-Gläsern nur noch elf", so Filippini. Entsprechend verteuert sich schon die Anlieferung. Richtig teuer wird es aber durch das aufwändige Kalibrieren nach dem Einbau. Die Systeme müssen ja exakt denselben Bereich abdecken wie zuvor, damit etwa per Infrarot auch im Dunkeln genau der Straßenrand virtuell ausgeleuchtet wird oder vierdimensional arbeitende Kameras auch Mensch und Tier nach digitalem Abgleich mit der Cloud genau erkennen.

Rekalibrierungsfahrt nach millimetergenauem Einbau

Mit dem millimetergenauen Einbau ist es überdies nicht getan. Nach dem Neuaufspielen der Software über den Zentralrechner im Tesla – und einer schnellen Verbindung auf die Cloud der Amerikaner – ist noch eine sogenannte Rekalibrierungsfahrt angesagt. Die kann bis zu 160 Kilometer in Anspruch nehmen. Bei Feierabendverkehr in der City eine stundenlange Arbeit. Ohne dieses Firmware-Update schalten sich aber die Assistenzsysteme im rollenden Computer nicht ein. Und die Frontscheibe ist genau so dumm wie im Käfer. Nur viel teurer: Der Ersatz im Model 3 kostet mit Einbau schnell 1.500 bis 2.000 Euro. Beim VW ist es ein Zehntel. Und an selbstständiges Bremsen und Spurhalten ist der Käferfahrer ja ohnehin gewohnt.


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