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Stackmann schreibt: Crunchtime für die Agenturmodelle

Stackmann schreibt ...
Jürgen Stackmann schreibt exklusiv für AUTOHAUS.
© Foto: AUTOHAUS

Der hohe Marktdruck auf Volumen und schnell sinkende Transaktionspreise fordern ihr erstes "Agenturmodell-Opfer". Ford kassiert seine Pläne zur Einführung eines echten Agenturmodells wieder ein. Bleibt dies ein Einzelfall – oder ist dieser Schritt der Vorbote einer Kehrtwende?

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Datum:
12.04.2024
Lesezeit:
5 min

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Situation bei Ford in Europa und Deutschland

Neben einem stabilen und profitablen Geschäft mit leichten Nutzfahrzeugen (hier ist Ford auf Markenebene seit geraumer Zeit die Nummer ein in Europa) zieht sich Ford in Europa mehr und mehr aus dem Pkw-Volumengeschäft zurück. Ziel ist es, ein profitables und höherpreisiges Pkw-Nischengeschäft mit weitgehend elektrischem Portfolio (z.B. Explorer) aus europäischer Produktion sowie einigen expressiven ("adventurous") US-Importmodellen (z.B. Bronco) zu etablieren. Diesen Plan zu einem nachhaltigen Erfolg zu machen, kann man wohl ohne Übertreibung "extrem anspruchsvoll" nennen. Ford hat im Markt weder eine kaufkräftige Klientel dafür aufgebaut noch einen etablierten Ruf als Marke mit Abenteuerprofil. 

Neben einer konsequenten und in Anbetracht der deutlich geringeren zukünftigen Planvolumen notwendigen Reduzierung des Handelsnetzes sollte auch die Einführung des echten Agenturmodelles zur dringend benötigten Profitsteigerung für Ford beitragen. Bereits in dessen Ausplanungsphase, nach ersten Tests in den Niederlanden (deren Ergebnisse wohl reichlich deprimierend waren) sowie in den Vertragsverhandlungen mit dem Händlerverband entstand die Idee eines Stufenplan-Modells.

Die Zwischenstufe auf dem Weg zur Agentur sollte im Jahr 2024 anlaufen – die echte Agentur erst im Jahr 2030 in Kraft treten. Wir alle kennen das ja: Zusagen, die sechs Jahre in der Zukunft liegen, entsprechen in der Regel mindestens zwei Personalrochaden in der Hersteller-Vertriebsfunktion. Zweifel, ob die Agentur wirklich ernsthaft jemals das Zielbild darstellte, dürfen angebracht sein. 

Jetzt zieht sich Ford aus dem Agentur-Karussell komplett zurück und bleibt beim etablierten Franchise-Modell. Den Schritt kann man angesichts des Marktumfeldes, des fehlenden Know-hows zur Führung einer Agentur und des deutlich gestiegenen finanziellen Aufwands für Lagerkosten und Vorführwagen nachvollziehen. Ford möchte jedoch beim ausverhandelten Zwischenmodell namens "Stufenplan" bleiben – die Stufe führt allerdings jetzt nirgendwo mehr hin. 

Wie sieht der Ford-"Stufenplan" unterm Strich aus? 

Sorry für die Verkürzung an dieser Stelle, liebes Ford-Team, aber der Stufenplan belässt die wesentlichen Kosten und Vermarktungsrisiken (wie Lager und Vorführwagen) beim Handel, kürzt aber dessen Marge auf das Niveau einer echten Agentur. Wie soll das bitte funktionieren und ein aktives, engagiertes, starkes und zukunftsfähiges (Rest-) Handelsnetz hinterlassen? Viele gute Handelspartner orientieren sich schon seit geraumer Zeit markenseitig um oder verlassen durch Verkauf die betriebswirtschaftliche Risikozone Ford. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, wie Ford in Europa eine erfolgreiche Repositionierung ohne druckvolle und engagierte Hilfe seines Handelsnetzes umsetzen will. Noch gibt es sie, die loyalen und fokussierten Partner, die hinter dem blauen Oval stehen. Das wird kommende Woche sicherlich eine spannende Händler-Generalversammlung werden – weit davon entfernt von einem "Smooth Ride" für die Ford-Verantwortlichen. 

Und die anderen Marken mit Agenturmodellen – alles im Lot? 

Nein, beileibe nicht. Es rumort, gärt, brodelt und wackelt an allen Orten und in allen Marken. Und nein, es sind nicht die fehlerhaften oder lückenhaften IT-Systeme, die so manchen Vertriebschef zweifeln lassen – die sind die geringste Sorge nach dem ersten Quartal 2024.

Es ist die schleppende Pkw-Nachfrage (besonders im Bereich der E-Mobile), der hierdurch ausgelöste massive Druck auf die Preise sowie die hohen Finanzierungskosten für Lager und Vorführwagen, die die systemischen Schwachstellen einer Agentur schonungslos an die Oberfläche befördern. It's Crunchtime!

Ich gehe davon aus, dass nichts davon wirklich überraschen kommen sollte. Alle Marken, die sich bereits im Markt mit der Agentur bewegen (MG, VW, Cupra, Mercedes-Benz) oder diese einführen wollen (Mini, BMW, Audi, Skoda) haben dieses Szenario in "golden rules" oder ähnlichen Überlegungen sicherlich durchdacht – nur die Realität kommt halt härter und schneller als jemals geplant. Hier der Überblick:

Kostenvorteil Agentur – adieu Planung! 

Durch die in den vergangenen 1,5 Jahren dramatisch gestiegenen Zinskosten (EZB liegt jetzt bei 4,5 Prozent) für Neuwagenlager sowie Vorführwagen platzt einer der größten Kostenvorteile der Agentur. Geringere Lagervolumen, zentrale Lagerhaltung und weniger Ausstellfahrzeuge bringen tatsächlich signifikante Kostenvorteile – diese werden jedoch zurzeit durch die dramatisch gestiegenen Zinskosten (mehr als) aufgefressen.

Zudem gehören in der Agentur die Vorführwagen dem OEM bzw. Importeur. Durch die deutlichen Preisabschläge im Neuwagenmarkt (noch deutlicher im BEV-Segment) erleiden diese Fahrzeuge jetzt natürlich eine rasante Abwertung. Und wer trägt die Kosten? Der OEM! 

Mehr Direktgeschäft mit Privatkunden – nicht mit dem deutschen Michel! 

Im Zielbild einer jeden Agentur und deren möglichen Kostenvorteilen steht natürlich ein deutlich steigender Anteil an Online-Direktgeschäften auf Seiten des Herstellers. Alles easy-peasy – gute Systeme, herausragende Produkte, ausreichend onlineaffine Kunden, bärenstarke Marken und gute Preise werden schon genug Pull erzeugen, damit Kunden gerne auch direkt beim OEM unterschreiben und bestellen. So die Vorstellung der Planer.

Leider scheint es damit besonders in Deutschland nicht so recht zu funktionieren. Bei einigen Herstellern hat die Markenattraktivität nachgelassen, die Preise sind zu hoch, die Produkte zu erklärungsbedürftig, und die Bereitschaft, sich online bezüglich des Einkommens komplett zu entkleiden (bei Finanzierung und Leasing), tendiert bei deutschen Endkunden gegen null. Da wird wohl nur die Zeit helfen – die Systeme stehen eigentlich überall schon recht solide im Markt zur Verfügung.

Pull vs. Push – Wer macht's denn jetzt? 

Seit Sommer 2023 befinden wir uns wieder in einem Push-Markt, in dem das Angebot (und der Druck der Hersteller) über der "natürlichen" Nachfrage liegt. Nichts Neues und Erschreckendes. Da die Produktion immer noch nicht richtig "atmen" will, muss der OEM Gas geben, um über attraktive Angebote erhöhte Nachfrage auf seine Produkte zu lenken. Im etablierten Franchise-System kann der Hersteller sein Handelsnetz durch Incentives "hebeln" und damit aktivieren. Dieser Hebel entfällt weitgehend im Agentursystem und bringt die Vertriebler derzeit ins Schwitzen.

Wer kümmert sich ums Lager (wenn es dem OEM gehört), wer um die Vorführwagen? Dies scheint sich zur zentralen Fragestellung in Agentursystemen zu entwickeln – eine funktionierende Lösung dafür liegt derzeit noch nicht auf dem Tisch. Effektiver Push entsteht zurzeit durch nationale Fokus-Angebote im Leasing – mal sehen, ob die Lagerthematik damit auch in den Griff zu bekommen ist.

Übersicht Agenturmodelle im deutschen Automobilhandel (April 2024)
© Foto: Jürgen Stackmann

Status der Agentur bei Volumenmarken

MG Motor

Die in Deutschland und Europa mit Abstand erfolgreichste chinesische Marke MG Motor führt auch die wohl derzeit erfolgreichste Agentur auf dem deutschen Markt. Im Zusammenspiel mit dem Händlernetz erreicht der Neueinsteiger schon 0,7 Prozent Marktanteil in Deutschland und bleibt trotz Elektro-Nachfrage-Rückschlägen und Preisanpassungen im ersten Quartal 2024 am Ball.

Bemerkenswert und bislang einzigartig ist das gute vertriebliche Marktverständnis für den deutschen und europäischen Markt. Die SAIC-Tochter agiert flexibel und will wachsen. Dies ist bei den anderen China-Marken noch nicht schlüssig zu erkennen (außer Willensbekundungen).

Mein Ausblick: MG wird die echte Agentur durchziehen. 

Volkswagen

Die "unechte" BEV-Agentur von VW (und Cupra) muss sich im neuen Marktumfeld erst noch beweisen. Den Druck auf die eigene Handelsorganisation konsequent in der Agentur mitzuziehen, ist noch nicht erreicht worden, zumal fast 80 Prozent des Vertriebsvolumens über Verbrenner-Modelle im alten Franchise-System bewegt werden. Das Abflachen der BEV-Nachfrage macht die Aufgabe für den Hersteller momentan nicht gerade kleiner. Im ersten Quartal hat VW mit attraktiven Leasingraten für den ID.3 im Markt positiv gepunktet und seinen Handel aktivieren können.

2024 ist für VW das letzte "Testjahr" für die Agentur. 2025 schlägt das europäische CO2-Flottenverbrauchslimit heftig zu. Der durchschnittliche Verbrauch darf zukünftig 93g/km CO2 nicht mehr übersteigen – das lässt sich nur mit deutlich höheren Verkaufsvolumen von E-Fahrzeugen erreichen. VW muss also noch in diesem Jahr eine marktgängige und funktionierende Agenturlösung finden und umsetzen und dabei auf die Produkterträge achten. Es bleiben drei Quartale Zeit.

Mein Ausblick: Volkswagen bleibt bei der Agentur, muss aber das Vermarktungsmodell auch mit seinem Handel anpassen.

Stellantis

Stellantis testet die Agentur gerade in Österreich. Wie ich höre, eher mit mäßigem Erfolg für die beteiligten Marken und den Handel. Leider haben sich unter dem großen Volumendruck auch schon erste Stockfehler eingeschlichen, indem Werkszulassungen mit hohem Nachlass in den Markt gedrückt werden – dies ist eigentlich in der Agentur ein absolutes No-Go. Aber dazu testet man ja….

Mein Ausblick: Stellantis ist der vielleicht konsequenteste Volumenhersteller der Welt. Entweder das Team um Uwe Hochgeschurtz zieht noch in diesem Jahr den endgültigen Agentur-Stecker oder führt das Vertriebsmodell ab 2025/2026 in Europa ein. Spätestens im dritten Quartal werden hier die Würfel fallen.

Premiummarken

Mercedes-Benz

Im Markt tritt Mercedes in Deutschland volumenmäßig momentan auf der Stelle. Durch den angekündigten Verkauf der hauseigenen Niederlassungen setzt sich die Marke unter zusätzlichen großen Druckm die Agentur zum Erfolg zu machen. Aus dem österreichischen Pilotmarkt (dieser hat ca. ein Jahr Vorsprung vor Deutschland) kommen positive Signale aus dem Handel – Volumen, Erträge und Zusammenarbeit mit dem Importeur scheinen im Großen und Ganzen zu stimmen.

So weit sind wir in Deutschland noch nicht – die Agentur ist zwar ohne große Anfangskrisen in Deutschland gestartet, aber rund läuft es weder für den Handel noch den Hersteller nicht. Wie auch, das System muss sich ja erst einschleifen. Wie für VW gilt es, das Agenturmodell schnell im Feinschliff auf das notwendige Performance-Niveau gerade auch für die BEV Modelle in 2025 zu heben.

Mein Ausblick: Trotz einiger Nervosität wird Mercedes die gestartete Agentur durchziehen.

Mini/BMW

Mini steht als Pilotmarke der BMW Group unmittelbar vor der Einführung des Agentursystems in der zweiten Jahreshälfte. Die Handelspartner werden in den kommenden Wochen in Rotterdam mit Ausblick auf neue Produkte auch auf das neue Agenturmodell eingeschworen. Mini wird als Wellenbrecher für den Konzern vorauslaufen und profitiert gleichzeitig von den Erkenntnissen der Wettbewerber im Markt. 

Ab Sommer 2025 geht auch BMW in das Agenturmodell und nutzt die Zeit, um auf Kosten des Handels noch schnell eine Neugestaltung der Verkaufsräume umzusetzen ("New Retail"). Der im Vergleich zu Wettbewerbern längere Vorlauf und die BMW-typische gute Vorbereitung solcher Umstellungen werden es den Handelspartnern hoffentlich leichter machen. 

Mein Ausblick: Die BMW Group zieht das durch.

Audi 

Audi steht unmittelbar vor der Umstellung auf das Agentursystem für die BEV-Fahrzeuge in diesem Jahr. Mit etwas Nervosität schaut das Team um Hildegard Wortmann auf die jüngsten Erfahrungen und Ergebnisse des Volkswagen-Teams, sieht aber keinen Anlass, den Start grundsätzlich zu hinterfragen. Vielleicht nimmt Audi den Druck etwas vom Roll-out in Europa und wartet erste eigenen Erfahrungen in Deutschland ab. 

Mein Ausblick: Audi wird trotz Gegenwind aus dem Markt dieses Jahr einführen.

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Zum Autor

Jürgen Stackmann zählt zu den bekanntesten Automanagern Deutschlands. Unter anderem war er im Vorstand der Hersteller VWSeatSkoda und Ford tätig. Er gilt als Experte für die Bereiche Management, VertriebMarketing und Finanzen.

Seit 2021 hat Stackmann einen Lehrauftrag an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). Zudem ist er Direktor des Institutes für Mobilität an der Universität St. Gallen. Seit 2024 verfasst der Branchenkenner exklusiv die Kolumne "Stackmann schreibt" für AUTOHAUS.



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KOMMENTARE


Norbert Irsfeld

12.04.2024 - 13:46 Uhr

Jürgen Stackmann wagt eine mutige Einschätzung. Gut so. In nächsten und übernächsten AUTOHAUS simuliert Prudentes das Agenturmodell. Mit konkreten Zahlen. Aus Handelssicht. Auch mutig. Ziemlich mutig. Ohne Garantie. Dafür zum Nachdenken. Zum Hinterfragen. Die Diskussion ist eröffnet!


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