Steuergeräte-Manipulation: Auf Spurensuche

Gut sieht sie aus, die silberne Mercedes E-Klasse: Im Lack sind keinerlei Kratzer oder Dellen zu erkennen, der Innenraum wirkt gepflegt, der Tacho zeigt 121.000 Kilometer, und der aktuelle Servicebericht einer großen Mercedes Autohaus-Gruppe belegt eine tadellose Service-Historie. Beim Ankauf des Fahrzeugs ging der Händler aus dem Raum Nürnberg wohl davon aus, ein solides Geschäft zu machen. Allein, es war keines. Denn der Tacho der E-Klasse ist manipuliert und der Servicebericht ist eine raffinierte Fälschung, bei der die Fälscher selbst an Details wie einen echten Stempel und eine handschriftliche Unterschrift des "Werkstattmeisters" gedacht haben. In Wahrheit hat das fünf Jahre alte Fahrzeug rund 320.000 Kilometer Straße hinter sich. "Das macht einen Wertunterschied von mindestens 7.000 Euro aus", schätzt Michael Tziatzios, Leiter des Gebrauchtwagenmanagements bei Dekra. Entdeckt haben den Schwindel Tziatzios' Kollegen - während der Pilotphase eines Verfahrens zur Diagnose von Steuergerätemanipulationen, an der sich der Händler, der hier anonym bleiben soll, beteiligt hatte. Dieses ist kürzlich als eigenständige Dienstleistung sowie als Teil des Dekra Gebrauchtwagensiegels auf den Markt gekommen. Zusätzliches Verkaufsargument Zielgruppe für das Angebot sind neben Endkunden, Herstellern und Leasingbetreibern vor allem Autohäuser. Ihnen soll die Diagnose helfen, manipulierte Fahrzeuge rechtzeitig zu erkennen und auszusieben. "Das spart dem Handel nicht nur eine Menge Ärger, sondern gibt ihm durch das Prüfprotokoll auch ein zusätzliches Verkaufsargument an die Hand", meint Tziatzios. In ein paar Jahren sei das Standard, ist er überzeugt. Bislang konnten die Dekra-Mitarbeiter bei der GW-Systemprüfung lediglich den Fehlerspeicher der Fahrzeuge auslesen. Frisierte Tachos oder Steuergeräte, die aufgrund von Manipulationen keine Fehlermeldungen generieren, blieben dabei unerkannt. "Jetzt gehen wir in die Tiefe und untersuchen erstmals die Steuergeräte selbst", sagt Ronald Hufnagel, GW-Produktmanager bei Dekra. Und so funktioniert die Steuergeräte-Diagnose: Ein Mitarbeiter schließt einen VCI-Adapter an die OBD-Schnittstelle des Fahrzeugs an. Dort kommuniziert das Gerät mit den einzelnen Steuergeräten und liest verschiedene Parameter, wie etwa die Fahrgestellnummer oder die Kilometerlaufleistung aus. Diese überträgt der Adapter dann an den Laptop des Dekra-Experten. Dort untersucht eine Software, ob die Daten zueinander plausibel sind. So vergleicht sie beispielsweise den Kilometerstand des Kombiinstruments mit dem Kilometerstand der letzten Partikelfilter-Regeneration im Motorsteuergerät. Weichen beide stark voneinander ab, liegt eine Manipulation nahe. Stimmen hingegen die Fahrzeugidentifikationsnummern der Steuergeräte nicht überein, deutet das auf Diebstahl hin. Die Software erkennt daneben auch unsachgemäße Reparaturen. Dazu prüft sie, ob ein Steuergerät überhaupt Informationen sendet und wenn ja, ob dessen Konfiguration den Herstellervorgaben entspricht. Diagnose erst ab Baujahr 2010 Das Ergebnis der Diagnose fasst die Software in einem Protokoll zusammen, in dem es alle analysierten Parameter auflistet und auf eventuelle Ungereimtheiten hinweist. "Die Schwierigkeit war, aus den je nach Hersteller grundverschiedenen Datenprotokollen eine identische Schnittmenge an Parametern zu identifizieren, die wir auslesen, vereinheitlichen und analysieren können", erklärt Andreas Wittig vom Werkstattausrüster AVL Ditest, der das Tool mit Dekra entwickelt hat. Die Steuergeräte-Diagnose funktioniert allerdings nicht bei allen Fahrzeugen. Hauptkriterium ist das Fahrzeugalter. Als ungefähre Grenze nennt Wittig das Baujahr 2010. Vor diesem Datum würden lediglich ausgewählte Oberklassemodelle die technischen Voraussetzungen erfüllen. Einschränkungen gibt es daneben auch bei Fahrzeugen, die hierzulande wenig verbreitet sind. "Wir haben uns bei der Entwicklung auf Modelle mit relevantem Marktanteil konzentriert", sagt Tziatzios. Analyse liefert nur Indizien Obwohl die Diagnose nach Angaben von Dekra sehr zuverlässig sei, gebe sie dennoch keine absolute Gewissheit und vor allem keine Rechtssicherheit darüber, ob ein Fahrzeug manipuliert wurde. "Wir liefern Hinweise. Was der Auftraggeber damit macht, kann nur er entscheiden", sagt Tziatzios. Im Falle der silbernen E-Klasse etwa beschloss der Händler, den Hinweisen nachzugehen und Gewissheit zu erlangen. Dazu forderte er bei Daimler einen Ausdruck der Servicehistorie an. Darin war der letzte Service bei 285.000 Kilometern vermerkt - und der Betrug rechtssicher bestätigt. Wie viel die Diagnose die Betriebe kosten soll, will Dekra derzeit nicht im Detail verraten. Das sei Verhandlungssache, heißt es. Für Endkunden werden es aber 69 Euro netto. Da die Diagnose auch Teil des GW-Siegels wird, passt Dekra dessen Preis zudem auf 129 Euro netto an. Der Umfang des Siegels dürfte in Zukunft noch weiter steigen - Dekra plant bereits die nächsten Ausbauschritte: Beispielsweise sollen in Zukunft mehr Diagnose-Daten in Schadengutachten einfließen. Dabei würde dann unter anderem geprüft, ob der Gurtstraffer ausgelöst hat oder ob es bei den Leuchten eine Niedrigspannung gab, die auf einen Auffahrunfall hindeuten könnte. Für Elektroautos soll dann zudem noch eine Tiefenanalyse der Antriebs-Strang-Batterie folgen. Ob und wann derartige Untersuchungen auch Teil der Hauptuntersuchung werden, ist derzeit nicht absehbar. "Das wäre sicherlich wünschenswert. Entscheiden kann das aber nur der Gesetzgeber", sagt Tziatzios. Kurzfassung Bei der Diagnose liest ein Adapter über die OBD-Schnittstelle Daten aus den Steuergeräten aus. Im Anschluss daran vergleicht eine Software, ob diese Daten zueinander plausibel sind. Daraus lässt sich unter anderem ableiten, ob am Tacho eines Fahrzeugs gedreht wurde. Hauptzielgruppe für das Angebot sind Autohändler.

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