Ausgabe 19/2012: Bangemachen gilt nicht!

Bangemachen gilt nicht!wertewandel – Teil 2: Der Prestigeverlust des Automobils hat für Hersteller und Handel unterschiedliche Konsequenzen. Von Prof. Dr. Ulrich Ermschel*Dass derzeit ein fundamentaler Wertewandel zulasten des Automobils zu verzeichnen ist, haben wir im ersten Teil dieses Beitrags erläutert (siehe AUTOHAUS 18, Seite 40). Welche Risiken und Chancen birgt dieser Wertewandel für Hersteller und Handel? Um Ordnung in die Analyse zu bringen, wird hier das Modell der „Five Forces“ von Porter verwendet. Porter beschreibt in seinem Ansatz, dass die Attraktivität einer Branche durch fünf Kräfte bedingt wird. 1. Potenzielle Mitbewerber, deren möglicher Markteintritt die Wettbewerbsintensität einer Branche erhöhen könnten2. Die Zulieferer, deren Marktmacht die Gewinnmöglichkeiten der Unternehmen der Branche beschränkt3. Die Käufer, deren Verhandlungsmacht, Nachfragevolumen und Preisbereitschaft ebenso die Gewinnmöglichkeiten beschränken.4. Substitute zu den auf dem Markt gehandelten Gütern und Dienstleistungen5. Die Intensität des Wettbewerbs zwischen den Anbietern der BrancheZunächst soll erörtert werden, wie sich der Wertewandel hinsichtlich dieser fünf Kräfte auf die Situation der Fahrzeughersteller auswirken könnte:Was das für die Hersteller bedeutet 1. Potenzielle Mitbewerber: In einem Markt, in dem Waren hinsichtlich ihres Grundnutzen von den Käufern beurteilt werden, in dem Umweltverträglichkeit, Preiswürdigkeit und Praktikabilität entscheidend sind, fällt es Anbietern schwerer, markenbedingte Präferenzen bei den Käufern zu erzeugen. Dem Kunden ist es dann einerlei, welches Markenemblem auf dem Auto klebt, Hauptsache ist, in welchem Ausmaß es seine Anforderungen erfüllt. Dies hat Einfluss auf die Marktchancen neuer Wettbewerber. Die Markteintrittsbarrieren sinken, und so könnten z. B. Anbieter aus Indien, das im Bereich Kleinwagen zu einer Keimzelle der Forschung und Entwicklung geworden ist, eine ernst zu nehmende Bedrohung für die etablierten Hersteller werden. Prognosen besagen, dass Indien bis spätestens 2020 die drittgrößte Autonation sein wird. Hinzu kommen die bisher mit wenig Erfolg in Deutschland agierenden chinesischen Anbieter. Dass dieser mangelnde Erfolg von Dauer sein wird, darauf sollte niemand bauen. So meldet die „Autobild“ am 5. 1. 2012, dass im Jahr 2013 eine neue chinesische Marke den Markt in Europa erobern möchte – mit Hilfe ehemaliger Manager und Designer aus Europa. Dass diese neuen Wettbewerber sich vermutlich in den kleinpreisigen Segmenten, deren Bedeutung mit dem Wertewandel wachsen wird, bewegen werden, dürfte mehr als wahrscheinlich sein. Gerade diese Segmente werden von den bisherigen Anbietern aber bisher kaum bedient.2. Die Zulieferer: Eine Machtverschiebung zugunsten der Zulieferer dürfte sich nur dann ergeben, wenn neue Hersteller (z. B. aus Indien oder China) mit fairen Vertragskonditionen durch entsprechende Nachfrage Kapazitäten bei den Zulieferern binden, so dass der Markt in dieser Stufe zu einem Anbietermarkt wird. Bisher ist dieser Markt aber durch die Marktmacht auf Seiten der Autohersteller gekennzeichnet. 3. Die Käufer: Der Zusatznutzen aus der Markenwahl, der zur Verwirklichung des eigenen Lebensstils beiträgt, eröffnet Unternehmen einen preispolitischen Spielraum und ist gerade für Premiumanbieter ein Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg. Nun aber wird gemeldet, dass das Auto bei jungen Menschen diese Funktion nicht mehr erfüllt. Damit sinkt die Preisbereitschaft dieser Kunden, und alternative Mobilitätskonzepte senken möglicherweise das Absatzvolumen. Will die Automobilindustrie Präferenzen bei Endverbrauchern erzeugen, so muss sie sich auf die geänderte Bedürfnislage der Kunden einrichten, indem sie ihre Produkte entsprechend anpasst. Der direkte Kunde des Herstellers ist aber nicht der Endverbraucher, sondern der Händler, und dieser ist an den Hersteller vertraglich gebunden. 4. Substitute zum Auto aus Kundensicht sind im Wesentlichen der öffentliche Fern- und Nahverkehr und alternative Fortbewegungsmittel im Individualverkehr. Dass die Bahn eine ernst zu nehmende Konkurrenz für den automobilen Personenfernverkehr ist, wird jedem klar, der einmal im ICE gesessen hat. Die Bahn kann im Juli dieses Jahres vermelden, dass sie zum ersten Mal in einem Halbjahr mehr als eine Milliarde Menschen transportiert hat – 40 Millionen mehr als im Vorjahr. Der Vorteil des Reisens mit der Bahn liegt unter anderem darin, dass die Reisezeit zu anderen Tätigkeiten genutzt werden kann. Ist der Fahrspaß kein entscheidendes Kriterium mehr, so hat das Auto dem wenig entgegenzusetzen. Im Personennahverkehr gibt es für viele Menschen (vor allem auf dem Land) aber kaum eine Alternative zum Auto. Ein weiterer Trend ist auch im steigenden Absatz von Elektrofahrrädern zu erkennen, und wenn doch das Auto nötig ist, so muss es nicht das eigene sein. Hier gewinnt das Carsharing Zuspruch, bei dem meist neben einer geringen monatlichen Grundgebühr weitere Kosten nur in Abhängigkeit der Nutzung entstehen. 5. Die Intensität des Wettbewerbs: Der oligopolistische Neufahrzeugmarkt ist seit jeher durch intensiven Wettbewerb gekennzeichnet. Der Wertewandel wird daran kaum etwas ändern, jedoch könnten „die Karten in diesem Spiel neu gemischt werden“. In der Vergangenheit konnten Premiumhersteller ihre Marktanteile zulasten der Volumenhersteller ausbauen, da die Klientel der Volumenhersteller immer kleiner wurde (Wegbrechen der Mitte der Gesellschaft) und andererseits kaufkräftige Kundschaft Premiummarken bevorzugte. Wenn das Auto in Zukunft als Prestigeobjekt ausgedient hat, eröffnet dies den Volumenherstellern neue Chancen (sofern ihre Produkte den Anforderungen der zukünftigen Kundschaft entsprechen), und andererseits könnten schwerere Zeiten auf Premiumhersteller zukommen, da die preistreibende Kraft der Marke dann fehlt. Was das für den Handel bedeutetIm Folgenden nun dasselbe Betrachtungsschema für den Handel:1. Potenzielle Mitbewerber: Es wird seit Jahren spekuliert, ob Neufahrzeuge nicht über alternative Vertriebskanäle wie z. B. Discounter oder Direktvertrieb via Internet vermarktet werden könnten. Das ist bisher u. a. deshalb nicht eingetreten, weil die EU annimmt, dass dies nicht der Bedürfnislage der Käufer entspricht. Ändert sich diese aber, könnte auch der gesetzliche Rahmen GVO geändert werden.2. Die Zulieferer: Seit Jahren wird über die Notwendigkeit eines neuen Geschäftsmodells diskutiert, in dem Erträge und Kosten zwischen Hersteller und Handel neu verteilt werden sollen. Ein solches neues Geschäftsmodell sollte auch neue Aufgaben des Handels integrieren. So sind gemeinsame Carsharing-Konzepte von Hersteller und Handel zwingend. Aber es gibt noch einen weiteren Aspekt: War der Händler bisher quasi der uniformierte Frontsoldat der Hersteller, der deren Markenwelten vor Ort erlebbar präsentiert hat, so sind bei einer Ent-Emotionalisierung des Autos diese Markenwelten für den Kunden gar nicht mehr so wichtig. Kostentreibende Herstellerstandards müssten somit hinterfragt werden, und der Umstand, dass die Mobilitätsdienstleistung vor Ort wichtiger wird, sollte die Position des Händlers gegenüber seinem Hersteller stärken. 3. Die Käufer: Seit langem wird über das zu hohe Nachlassniveau im Autohandel geklagt. Zusätzlicher Wettbewerb zu Substituten des Autos, damit verbundene geringere Absatzzahlen und geringere Preisbereitschaft der Käufer sind da keine positiven Signale für den Fabrikatshandel. Andererseits legen Kunden künftig Wert auf Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit. Bietet man ihnen dies, werden sie auch bereit sein, hierfür zu zahlen. Vielleicht wird ja in Zukunft nicht nur der Kaffee fair gehandelt.4. Substitute: Die neue Konkurrenz durch alternative Mobilitätsformen stellt ein Absatzrisiko dar, andererseits liegt im Wertewandel auch eine Chance für den Fabrikatshandel. Wenn er einfach der beste Mobilitätsdienstleister vor Ort ist, kann er sich neu profilieren. Das bedeutet, dass der Fabrikatshandel in neue Konzepte wie E-Mobilität und Carsharing eingebunden sein muss – nicht gegen neue Trends zu konkurrieren, sondern Teil dieser zu werden, sollte das Ziel sein. 5. Die Intensität des Wettbewerbs: Einerseits verschärfen möglicherweise geringere Absatzmengen und verringerte Preisbereitschaft den Wettbewerb zwischen den Händlern gleicher und verschiedener Marken. Auf der anderen Seite könnte sich durch die geringere Strahlkraft der Marke und die stärkere Bedeutung der Händlerprofilierung via Dienstleistung der Wettbewerb verändern: Weg vom reinen Preiskampf, hin zum Wettbewerb der Dienstleistungskonzepte. ■Lesen SIe hier...... wie der Wertewandel rund ums Automobil (vgl. Teil 1 in AUTOHAUS 18, Seite 40) den Markt und das Wettbewerbsumfeld für Industrie und Handel jeweils spezifisch verändern könnte.KurzfassungEin Wertewandel zulasten des Automobils ist festzustellen, v. a. in der jungen Generation. Er ist aber zu relativieren, da es auch weiterhin kaufkräftige gesellschaftliche Gruppen geben wird, die eine Affinität zum Auto besitzen. Durch einen Verlust an Emotionalität wandelt sich die Rolle des Automobils: Der pragmatische Grundnutzen tritt in den Vordergrund, das Markenprestige verliert an Bedeutung. Dies bedeutet aber noch lange nicht das Ende des Automobils. Durch den Wertewandel ergeben sich Risiken, aber auch Chancen, wobei diese bei Herstellern und Handel unterschiedlich strukturiert sind: Eine Ent-Emotionalisierung des Autos würde auch eine Ent-Emotionalisierung der Markenwelt bedeuten, die der Handel heute als „uniformierter Frontsoldat des Herstellers“ im CI-konformen Autohaus vorhalten muss.

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Bangemachen gilt nicht!

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