Ausgabe 20/2011: Dichtung oder Wahrheit

Dichtung oder WahrheitArbeitszeugnisse E Standardformulierungen und ihre Bedeutungautohaus-juristen rechtsanwälte G. Haug & PartnerEin Arbeitszeugnis ist nach wie vor das Aushängeschild für eine Bewerbung auf eine neue Stelle. Nicht selten muss sich der Arbeitgeber jedoch fragen, ob das Arbeitszeugnis das tatsächliche Verhalten und die tatsächliche Leistung des Bewerbers widerspiegelt. Hierzu folgendes arbeitsrechtliches Bonmot: Ein Arbeitnehmer arbeitete als Lkw-Fahrer für eine Leimfabrik. Hierfür transportierte er tagein tagaus Knochen von verschiedenen Schlachthöfen zu seiner Firma. In regelmäßigen Abständen zweigte er jedoch Ladungen ab und verkaufte sie unter der Hand an ein Konkurrenzunternehmen. Er wurde erwischt und erhielt die fristlose Kündigung. In seinem Arbeitszeugnis stand sodann: „Er war ehrlich bis auf die Knochen …“. Es gilt also zu betrachten, ob es sich bei einem Arbeitszeugnis um Dichtung oder Wahrheit handelt.Leistung und Verhalten nach NotenstufenDem Arbeitnehmer ist auf den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein einfaches schriftliches Arbeitszeugnis über Art und Dauer seiner Beschäftigung auszustellen. Der Arbeitnehmer hat darüber hinaus einen Anspruch auf ein qualifiziertes Arbeitszeugnis, welches sich auf seine Leistung und seine Führung im Arbeitsverhältnis erstreckt. Nur ein qualifiziertes Arbeitszeugnis ist sinnvoll für eine Bewerbung einzusetzen. In der Rechtsprechung hat sich ein Notensystem herausgebildet, welches jeder Arbeitgeber anwenden kann, ohne allerdings hierzu verpflichtet zu sein:Leistungsnotensystem:Stets zu unserer vollsten Zufriedenheit= sehr gutStets zu unseren vollen Zufriedenheit= gutStets zur Zufriedenheit= befriedigendzur Zufriedenheit = unterdurchschnittlichEs gibt Arbeitsrichter, die sich aus sprachlichen Gründen weigern, eine Leistungsbeurteilung „zur vollsten Zufriedenheit“ auszusprechen. Voller als voll gebe es schließlich nicht. Nachdem sich die beste Leistungsbeurteilung mit der Formulierung „zur vollsten Zufriedenheit“ mittlerweile dennoch als üblich durchgesetzt hat, muss bei der Formulierung „zur vollen Zufriedenheit“ eine tatsächlich sehr gute Arbeitsleistung des Arbeitnehmers mit zusätzlichen Formulierungen dargestellt werden.Verhaltensbeurteilung:Das Verhalten des Arbeitnehmers war:Stets vorbildlich = sehr gutvorbildlich bzw. stets einwandfrei = guteinwandfrei = befriedigendohne Tadel = unterdurchschnittlichAusformulierte BeurteilungNeben der notenmäßigen Bewertung von Leistung und Verhalten sind in einem qualifizierten Arbeitszeugnis die Tätigkeiten des Arbeitnehmers im Einzelnen zu beschreiben. Zwar entscheidet jeder Arbeitgeber selbst, welche einzelnen Leistungen er besonders betonen will, allerdings dürfen diejenigen Einzelheiten der Beschäftigung nicht unberücksichtigt bleiben, die berufstypisch sind. Wenn beispielsweise für einen Kfz-Spengler als Tätigkeitsbeschreibung der fachkundige und pflegliche Umgang mit Reparaturfahrzeugen fehlt, würde dies bei einem neuen Arbeitgeber Fragen aufwerfen. Die Ausformulierungen dürfen nicht im Widerspruch zur Notenbewertung stehen. Anderenfalls würde das Zeugnis entwertet werden. Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis hat nach den Grundsätzen des Bundesarbeitsgerichts „wohlwollend“ im Sinne von berufsfördernd zu sein. Der Arbeitgeber darf dem Arbeitnehmer für seine Zukunft also keine Steine in den Weg legen. Dennoch hat ein Arbeitszeugnis zuvorderst wahr zu sein. Erweist sich ein Arbeitszeugnis als Fantasieprodukt, kann der neue vom alten Arbeitgeber im Einzelfall sogar Schadenersatz verlangen. Sonstige FormulierungenIn einem Arbeitszeugnis sind versteckte oder unterschwellige Formulierungen untersagt. Wer „nahen Kontakt zu Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen suchte“, steht im Verdacht der sexuellen Belästigung; wer „stets zuträglich für das Betriebsklima“ war, hielt die Kollegen von der Arbeit ab oder hatte Probleme mit Alkohol. Auch hier gilt, dass Formulierungen, die vom Üblichen abweichen, das Zeugnis insgesamt nicht entwerten dürfen. Gute und sehr gute Arbeitszeugnisse enden regelmäßig mit einer Dankes- und Grußformel. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehört es zwar zur Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers, ob er eine solche Schlussformel verwendet – ein Arbeitnehmer hat keinen Anspruch hierauf. Der Dank für die geleistete Tätigkeit, der Ausdruck des Bedauerns für das Ausscheiden, verbunden mit guten oder besten Wünschen für die Zukunft, findet sich jedoch in mehr als drei Viertel aller Zeugnisse. Das Fehlen einer solchen Formulierung lässt somit gewisse Rückschlüsse zu. In einem Arbeitszeugnis dürfen sich grundsätzlich keine Angaben zum Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wiederfinden. Der Beendigungsgrund kann auf eigenen Wunsch des Arbeitnehmers jedoch aufgenommen werden. Dies geschieht zumeist bei einer betriebsbedingten Kündigung. Enthält das Arbeitszeugnis die Formulierung, dass das Arbeitsverhältnis in „beiderseitigem Einvernehmen“ endete, kann mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass ein Prozessvergleich mit Zahlung einer Abfindung geschlossen wurde.AusblickBei Kündigungen wird ein „gefälliges“ Arbeitszeugnis zunehmend als Mittel eingesetzt, um das Arbeitsverhältnis ohne Rechtsstreit zu beenden. Formulierungsvorschläge des Arbeitnehmers können hier – zulässigerweise – berücksichtigt werden, wenn sie denn keine reine Fiktion sind. Wenn bei einer Bewerbung ein exorbitant gutes Arbeitszeugnis vorgelegt wird, sollten immer die konkreten Umstände hinterfragt werden, weshalb das alte Arbeitsverhältnis keinen Bestand hatte. Wurde der Arbeitnehmer weggelobt? Ein einfacher Anruf beim alten Arbeitgeber kann hier oft für Aufklärung sorgen.Rechtsanwalt Rainer Bopp,Fachanwalt für Arbeitsrecht,Kanzlei@raehaug-partner.deKurzfassung1. Nur ein qualifiziertes Arbeitszeugnis ist sinnvoll für eine Bewerbung einzusetzen. Es hat sich in der Rechtsprechung ein übliches Notensystem herausgebildet, welches jeder Arbeitgeber anwenden kann, ohne hierzu verpflichtet zu sein.2. Ausformulierte Tätigkeitsbeschreibungen müssen sich an berufstypischen Gegebenheiten orientieren und dürfen nicht im Widerspruch zur Notenbewertung stehen.3. Versteckte oder unterschwellige Formulierungen sind in einem Arbeitszeugnis untersagt. Formulierungen, die vom Üblichen abweichen, dürfen das Zeugnis nicht entwerten.4. Gute und sehr gute Arbeitszeugnisse enden mit einer Dankes- und Grußformel, ohne dass der Arbeitnehmer Anspruch darauf hat. Das Fehlen einer solchen Schlussformel lässt gewisse negative Rückschlüsse zu.Kommentar< Die Universität Erlangen-Nürnberg veröffentlichte im Mai 2011 eine Studie, bei der sie knapp 1.000 Arbeitszeugnisse untersuchte und auswertete. Es ergab sich hierbei, dass 38,8 Prozent aller Zeugnisse die Notenstufe sehr gut enthielten. 48,5 Prozent der Zeugnisse wurden mit gut beurteilt, 11,6 Prozent mit befriedigend, 0,6 Prozent mit ausreichend und 0,5 Prozent mit mangelhaft oder ungenügend. Eine vergleichbare Studie aus 1994 las sich hier noch ganz anders: Nur 10 Prozent der Arbeitszeugnisse enthielten eine sehr gute, 47 Prozent eine gute, 34 Prozent eine durchschnittliche und 9 Prozent eine unterdurchschnittliche Leistungsbeurteilung. Die Gewichtung hat sich somit innerhalb von 17 Jahren in erstaunlichem Maße in den Bereich nach „gut“ und „sehr gut“ (zusammen 87,3 Prozent der Arbeitszeugnisse!) verschoben. Die Aussagekraft heutiger Zeugnisse wird durch diese inflationäre Entwicklung entwertet. >der aktuelle BuchtippRäder- und Reifen-Management (RRM) im AutohausViel Geld verdienen können Autohäuser und Werkstätten, wenn sie ihr Reifengeschäft optimieren. Alles zu effizienter Prozessführung, zielgerichteter Kundenkommunikation und Potenzialoptimierung lässt sich pünktlich zur Winterreifen-Saison in Prof. Hannes Brachats neuem Buch „Räder- & Reifen-Management (RRM) im Autohaus“ nachlesen. Wie können Autohäuser und Werkstätten den Kundenkontakt über den Reifenwechsel erhöhen? Welche Rolle spielen Reifendruckinformationssysteme? Wie steht es um ökologische Themen? Schwerpunkte sind unter anderem der globale und nationale Reifenmarkt, Kundenanforderungsprofile, die strategische Ausrichtung Räder- und Reifengeschäft, Marketing und Verkauf, Räder- und Reifenservices sowie Prozesse im RRM.

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Dichtung oder Wahrheit

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