Albert Still: Die weise Sicht der automobilen Dinge

In der Branche gilt er als der automobile Fugger, "Sir" Albert Still, AVAG-Aufsichtsratsvorsitzender. Er hat Deutschlands größtes automobiles Handelshaus mit Hauptsitz in Augsburg aufgebaut. Operativ wird die AVAG SE heute maßgeblich von seinen Söhnen Roman und Albert gesteuert. In Augsburg sprach AUTOHAUS-Herausgeber Prof. Hannes Brachat mit dem Handelsgiganten über aktuelle Fragestellungen der Branche. AH: Wie charakterisiert der Aufsichtsratsvorsitzende von Deutschlands größtem Handelshaus die ersten sechs Monate im automobilen Geschäftsverlauf? A. Still: Für uns, im Wirtschaftsjahr der AVAG, sind bereits neun Monate vorüber. Wir beginnen stets am 1. September. Der Auftragseingang war insgesamt sehr gut. Er war leicht über unserem Erwartungshorizont, und zwar quer über alle Bereiche, also über alle Marken, die wir vertreten. Lieferfähigkeit AH: Das setzt aber voraus, dass man lieferfähig ist? A. Still: Wir haben vielleicht eine Marke, die da schwächelt. Das ist Nissan. Da ist man dann etwas zurückhaltender. Lieferfähigkeit haben wir so erreicht, indem wir einen Gesamtlagerbestand vorhalten, der astronomisch hoch ist. Wir haben beispielsweise mit Vorlauf immer noch 9.000 Einheiten Opel oder 1.500 Toyota. Also in all diesen Bereichen sind wir durchweg lieferfähig. Warum haben wir das? Es laufen sehr viele Produkte aus. Zum Beispiel bei Opel der Adam, der Karl, der Mocca, der Astra erhält ein Facelift. Es läuft aus der Zafira und wird durch ein neues Produkt ersetzt. Und es gibt ja noch viele Kunden, die diese Autos wollen. Gerade in Deutschland. Ich denke an den Adam. Daher haben wir uns gut bevorratet. Neue Händlerverträge AH: Aufgrund Ihrer Mehrmarkenofferte bei Opel, Ford, Mercedes, Nissan, Honda, Toyota, Hyundai, Kia haben Sie einschlägige Einsicht in die Entwicklung neuer Händlerverträge. Sie stehen ja gerne über den Dingen. Wir schätzen Sie hier die Gesamtentwicklung ein? A. Still: Die Tendenz in allen Verträgen ist nahezu gleich. Alle glauben, dass im Direktvertrieb die große Zukunft liege. Und alle wollen vorbereitet sein, an diesem Direktvertrieb ordentlich zu partizipieren. Das ist einer der Grundgedanken. Ich halte diesen Grundgedanken nicht für richtig. Ich bin überzeugt, wenn wir im Handelsbetrieb nach wie vor vernünftig agieren, sind wir zumindest für die nächsten zehn Jahre für den Kunden der Ansprechpartner. Ohne Frage, die Branche steht in einem ungeheuren Wandlungsprozess. Andere Mobilitätsgedanken, politische Umweltanforderungen CO2, Zusammenschlüsse von Herstellern und das fortlaufend. Das hat alles Einfluss auf das Geschäft und die künftigen Verträge. Bildhaft gesprochen: Wir sind alles Lemminge und rennen zum Fluss, ob man ersäuft oder nicht. Relation Hersteller - Handel AH: "Tradition & Kompetenz", das ist der Slogan der AVAG. Sie verfügen über einen außerordentlichen Erfahrungshorizont in Sachen Automobilhandel. Wo sehen Sie die Spielregeln der Zukunft zwischen Hersteller und Handel? A. Still: Ich habe das auch schon in der Vergangenheit mehrfach zum Ausdruck gebracht: Wir Händler sind Erfüllungsgehilfen des Herstellers. Wenn wir glauben, freie Unternehmer zu sein, unterliegen wir einer Illusion. Und nur, wer dieser Illusion nicht unterliegt und sich darauf einstellt, dass er Erfüllungsgehilfe ist, kann erfolgreich sein. Die Hersteller haben in der Regel immer kurzfristige Manager. Wenn einer zehn Jahre dabei ist, dann ist das schon sensationell. Die durchschnittliche Verweildauer liegt vielleicht bei fünf bis sechs Jahren und jeder will Erfolg haben und versucht die Welt so zu verändern, dass sein Erfolg besonders groß ist. In meinem Alter und in dieser langen Zeit weiß man aber, man rennt los und mal ist die Luft dünner und mal sauerstoffreicher. Digitalisierung AH: Worin liegen in Sachen Digitalisierung die Aufgaben, die der Händler selbst in die Hand nehmen muss? Was muss seitens der Hersteller/Importeure kommen? A. Still: Da muss ich etwas passen, da ich operativ nicht mehr eingebunden bin. Grundsätzlich: Digitalisierung ist nicht aufhaltbar. Sie kommt auf uns zu. Man denke an die Aktenberge, die uns zugemutet werden, der Haufen an Unterschriften, Zulassungen. Da hat der Hersteller einiges zu vereinfachen, effizienter zu machen. Wir im Handel sollten uns umgekehrt darauf vorbereitet haben, die auf uns zukommenden Vorstellungen der Hersteller, Öffentlichkeit und Kunden erfüllen zu können. Wir haben heute in der Holding acht Mitarbeiter beschäftigt, die den Digitalbereich im Verbund mit IT gestalten. Opel und Peugeot AH: Sie sind aufgrund Ihrer Vergangenheit durch und durch "Opel-Mann". Was hat sich hier durch die Übernahme von Peugeot für Sie verschoben? A. Still: Durch die Übernahme von Opel durch Peugeot war mir klar, dass da kein Stein auf dem anderen bleibt. Wenn ein Hersteller einen anderen übernimmt, der seit zwanzig Jahren jedes Jahr 1 Mrd. Euro Verlust einfährt, dann kauft er ihn ja nicht, um ein Abschreibungsmodell zu haben, sondern dass er ihn umdreht zum Ertrag. Das beeinflusst alle Beteiligten, Händler, Zulieferer, Mitarbeiter und Hersteller selber, da haben wir schon einiges an Umstellungen erfahren müssen. Aber auch er braucht Produkte und Händler, die ihm Volumen abnehmen und verkaufen. Mein Vergleich: wir sind ein Fisch, der in unbekanntem Wasser schwimmt. Wir müssen schauen, dass wir genügend Nahrung finden und uns nicht an irgendwelchen Felsen verletzen. AVAG und MB AH: Sie haben in Österreich die absolute Novität geschaffen, dass einem Opel- Händler zum 1.5.2018 ein Mercedes-Benz-Vertrag offeriert wurde. Sie haben sieben Autohäuser der Wiesenthalgruppe Wien übernommen. Wie kommt ein Opel-Händler damit zurecht? A. Still: Das ist für uns alle ein erheblicher Lernprozess. Das Denken von Daimler ist anders als das unserer bisherigen Hersteller. Darüber hinaus ist auch der Kunde ein anderer, als wie wir ihn bisher haben. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Und er wird auch noch eine Zeit andauern. Aber, wir machen diesen Prozess gerne und bereuen es keineswegs, dass wir es getan haben, sondern würden eher weiter investieren in Mercedes, vor allem jetzt dann, wo wir wissen, was wir tun müssen und wie wir was besser machen können. Betriebsübernahmen AH: Sie haben Ihr ganzes Leben expandiert, Betriebe übernommen - nicht nur Perlen. Sie haben diese zu Erfolg geführt. Worin basiert diese Könnerschaft? A. Still: Unsere erste Frage: Was für einen Markt hat dieser Betrieb? Zweitens: Wie wurde dieser Betrieb bisher geführt? Hat er den Markt ausgeschöpft? Jetzt die Frage: Was trauen wir uns zu, um diesen Markt auszuschöpfen? Daraus ergeben sich Bruttoerträge und damit, was können wir für dieses Unternehmen ausgeben? Was brauchen wir zur Restrukturierung? Und da haben wir ein System entwickelt, das uns in kurzer Zeit ermöglicht zu sagen, das und das sind wir bereit für einen Betrieb zu bezahlen. Wir haben bei einer Übernahme noch nie einen Rechtsstreit geführt. Wir haben auch noch nie einen Betrieb danach abgegeben, sondern alle zu einem Erfolg geführt. Freier Neuwagenhandel AH: Mehr und mehr freie Anbieter engagieren sich im Neuwagengeschäft. Nicht nur Sixt, es werden ja auch andere Börsen mit Neuwagen von Händlern beliefert. Wie gehen Sie damit um? A. Still: Wir können nicht davon ausgehen, dass der Kunde bei uns mehr bezahlt als beim freien Händler. Wenn wir mit einem marginalen Aufpreis am Markt auftreten, dann habe ich kein Problem. Ich bin dann immer noch der Fabrikatshändler, der dem Kunden eine größere Sicherheit garantiert. Die Differenz zwischen freiem Handel und mir darf nicht zu groß sein. Wenn da eine große Lücke entsteht, die ich nicht schließen kann, dann muss ich ebenfalls schauen, dass ich Ware bekomme, die ich dem Kunden anbieten kann, um im Wettbewerb gleichzuziehen. AH: Das meint für Sie freier Einkauf? A. Still: Ja! AH: Sie sagen das in dieser Klarheit? A. Still: Ja! AH: Wird sich die AVAG künftig auch mit Lidl, Amazon oder Sixt verbinden? A. Still: Nein! AH: Eine klare Antwort! A. Still: Ich bitte darum! Interview: Prof. Hannes Brachat

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