Ausgabe 07/2011: Fair für alle Versicherten

Fair für alle Versichertenunfallreparatur E Neue Entscheidungen des BGH zur fiktiven Abrechnung von Reparaturkosten Autohaus Juristen Rechtsanwälte G. Haug & PartnerDer Bundesgerichtshof (BGH) hat in den vergangenen Jahren mehrfach dazu Stellung genommen, unter welchen Voraussetzungen ein Unfallschaden fiktiv abgerechnet werden kann. Mit zwei weiteren nunmehr veröffentlichten Entscheidungen hat der BGH an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten und diese vertieft. Im Urteil vom 23. 11. 2010 (VI ZR 35/10) ging es um die fiktive Schadensabrechnung bei einem teilreparierten Fahrzeug, in der Entscheidung vom 14. 12. 2010 (VI ZR 231/09) um eine fiktive Teilabrechnung nach vollständiger und fachgerechter Reparatur unter Verwendung von Gebrauchtteilen, wobei die einzuhaltende 130 %-Grenze (Reparaturkosten nicht höher als 130 % des Wiederbeschaffungswertes) nur wegen der Verwendung der Gebrauchtteile nicht überschritten wurde.Fall 1Der BGH hatte im Urteil vom 23. 11. 2010 über folgenden Fall zu befinden: Der Kläger ließ nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall ein Sachverständigengutachten anfertigen, welches den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges mit 32.733,10 Euro netto (39.000,00 Euro brutto), den Restwert mit 18.000,00 Euro und die geschätzten Reparaturkosten mit 19.789,35 Euro netto (23.549,54 Euro brutto) bewertete. Nachdem der Kläger die Reparatur des Fahrzeugs in Eigenregie durchgeführt hatte, veräußerte er das Fahrzeug knapp fünf Monate nach dem Unfall zu einem Preis von 32.000,00 Euro. Neben anderen Schadenspositionen verlangte der Kläger von der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung mittels fiktiver Abrechnung die vom Sachverständigen festgelegten Nettoreparaturkosten in Höhe von 19.789,35 Euro. Die Versicherung rechnete jedoch nach Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) ab und zahlte dementsprechend einen deutlich geringeren Betrag an ihn aus. Der Kläger hatte in dem von ihm angestrengten Prozessverfahren insoweit Erfolg, als ihm das zuständige Oberlandesgericht eine Abrechnung auf Basis fiktiver Reparaturkosten zugestand und die Haftpflichtversicherung entsprechend verurteilte.Der BGH hob das Urteil des Oberlandesgerichts auf. Nach den Urteilsgründen des BGH kann ein Unfallgeschädigter die vom Sachverständigen geschätzten und über dem Wiederbeschaffungsaufwand liegenden Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts nur dann abrechnen, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiternutzt und es zu diesem Zweck – falls erforderlich – verkehrssicher (teil-)reparieren lässt. Zwischen dem Unfall und dem Verkauf durch den Kläger lagen jedoch nur knapp fünf Monate, weshalb bereits deshalb eine Abrechnung auf Basis fiktiver Reparaturkosten zu verweigern war. Zwar – so der BGH – kann ein Geschädigter grundsätzlich auch vor Ablauf der Sechsmonatsfrist die Erstattung von Reparaturkosten verlangen. Diese müssen jedoch sodann konkret und nachgewiesen angefallen sein und dürfen den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen. Nachdem der Kläger jedoch den Ersatz fiktiver Reparaturkosten verlangt hatte, konnte er in der Revision keinen Erfolg haben.Fall 2 Auch in dem mit Urteil vom 14. 12. 2010 vom BGH entschiedenen Fall hatte der Kläger nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Dieses ermittelte voraussichtliche Reparaturkosten in Höhe von 3.746,73 Euro brutto, einen Wiederbeschaffungswert in Höhe von 2.200,00 Euro und einen Restwert in Höhe von 800,00 Euro. Der Kläger ließ nach den Vorgaben aus dem Sachverständigengutachten das Fahrzeug fachgerecht reparieren, allerdings unter Verwendung von Gebrauchtteilen. Die hierfür angefallenen Reparaturkosten beliefen sich auf 2.139,70 Euro brutto und lagen somit unter den im Gutachten ausgewiesenen Reparaturkosten (bei Verwendung von Neuteilen) und unter dem Wiederbeschaffungswert. Die beklagte Haftpflichtversicherung bezahlte die tatsächlich angefallenen und nachgewiesenen Reparaturkosten von 2.139,70 Euro. Der Kläger verlangte jedoch darüber hinausgehend die Bezahlung fiktiver Reparaturkosten bis zur Grenze von 130 % des Wiederbeschaffungswerts in Höhe von weiteren 720,30 Euro und hatte hiermit vor dem zuständigen Landgericht in der Berufungsinstanz zunächst Erfolg.Der BGH hob das Urteil des Landgerichts auf. Nach den Ausführungen des BGH kann ein Geschädigter Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs liegen, bis zur 130 %-Grenze nur dann verlangen, wenn sie tatsächlich angefallen sind und die Reparatur (auch bei Verwendung von Gebrauchtteilen) fachgerecht und zumindest wertmäßig in einem Umfang durchgeführt wird, wie dieser vom Sachverständigen in seinem Gutachten für die Schätzung der Reparaturkosten dargelegt wurde. Der BGH schließt somit eine fiktive Abrechnung grundsätzlich für die Fälle aus, in denen die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen. Der vom Kläger fiktiv berechnete Teil der Reparaturkosten war demgemäß zu versagen.Rückblick und AusblickBereits mit länger zurückliegenden Urteilen hat der BGH deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Grundvoraussetzung für die fiktive Abrechnung eines Unfallschadens – bei Nichtüberschreitung des Wiederbeschaffungswertes – nur dann möglich ist, wenn der Unfallgeschädigte sein gesetzlich vorgegebenes Restitutionsinteresse dadurch dokumentiert, dass er das Fahrzeug mindestens verkehrssicher (teil-)repariert und mindestens sechs Monate weiter benutzt. Ebenfalls wiederholt hat der BGH sehr klar dargelegt, dass ein Unfallgeschädigter nur den Ersatz eines tatsächlich erlittenen Schadens verlangen und erwarten kann; nicht erwarten kann er dagegen, an einem Unfall etwas zu verdienen. Die Autohauspraxis hat bei der Abwicklung von Unfallschäden die gefestigte Rechtsprechung des BGH zu beachten. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen ein Kunde unter Abtretung von Schadensersatzansprüchen ein Unfallfahrzeug für die Anschaffung eines Ersatzfahrzeuges in Zahlung geben möchte und eine abschließende Bearbeitung durch die Haftpflichtversicherung noch nicht stattgefunden hat. Werden vom Autohaus für den Unfallwagen vorgreiflich konkrete Beträge als Zahlung akzeptiert und reguliert die Haftpflichtversicherung nachfolgend anders als erwartet, sind Auseinandersetzungen mit dem Kunden kaum zu vermeiden.Rechtsanwalt Rainer Boppkanzlei@raehaug-partner.deKurzfassung1a. Ein Unfallgeschädigter kann die von einem Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungsaufwand (= Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) liegen, bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts mittels fiktiver Abrechnung dann geltend machen, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiternutzt und sich dieses im verkehrssicheren Zustand befindet.1b. Ein Geschädigter kann zwar auch vor Ablauf der Sechsmonatsfrist die Erstattung von Reparaturkosten verlangen. Allerdings müssen diese sodann konkret und nachgewiesen angefallen sein und dürfen den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen. Einer vollständigen Reparatur nach den Vorgaben des Sachverständigengutachtens bedarf es nicht.2. Ein Geschädigter kann Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs liegen, bis zu einer Grenze von 130 % des Wiederbeschaffungswertes nur dann verlangen, wenn sie tatsächlich angefallen sind und die Reparatur – auch bei Verwendung von Gebrauchtteilen – fachgerecht und zumindest wertmäßig in der Art durchgeführt wird, wie sie vom Sachverständigen in seinem Gutachten für die Schätzung der Reparaturkosten festgelegt wurde.Kommentar< Es ist durchaus erstaunlich und in der juristischen Praxis immer wieder zu beobachten, dass gerade derartige Ansprüche mit Nachdruck verfolgt werden, mit denen Anspruchsteller einen kleinen oder auch größeren Nebenverdienst erzielen möchten. Dies gilt namentlich auch für die Abwicklung von Unfallschäden. Mit manchmal listigen, manchmal eher lustigen und teilweise auch abwegigen Begründungen wird in nicht wenigen Fällen versucht, sich auf Kosten der Versichertengemeinschaft zu bereichern. Dass die Versicherungen derartige Fälle von potenziell grundsätzlicher Bedeutung bis zur letzten Instanz treiben, ist nachvollziehbar. Dass der BGH einem solchermaßen ausufernden Schadensersatzgedanken einen Riegel vorschiebt, ist begrüßenswert. Schließlich wirkt sich die Summe des von den Versicherungen zu leistenden Schadensersatzes letzten Endes direkt auf die Höhe der von allen zu zahlenden Versicherungsprämien aus. >

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