Schadensersatzklage: Risikomoment

Wohl die meisten kennen das Geräusch, wenn das Fahrzeug mit dem Unterboden irgendwo aufsetzt. Es stellt sich unmittelbar die Frage nach einem eventuell entstandenen Schaden und wie es zu dem Aufsetzen überhaupt kommen konnte. Verantwortlich sind häufig Schlaglöcher und sonstige Straßenschäden wie auch zur Geschwindigkeitsreduzierung eingebaute Bodenschweller. Derartige Schäden entstehen zuvorderst bei - in der Regel teuren - tiefergelegten Fahrzeugen mit geringerer Bodenfreiheit als bei durchschnittlichen Fahrzeugen. In der Folge werden gegenüber der zuständigen Behörde Schadensersatzansprüche mit der Behauptung der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht geltend gemacht.Ein nun veröffentlichter Hinweisbeschluss des OLG Koblenz vom 28. Dezember 2021 (Az. 12 U 1012/21) gibt Anlass, sich mit der Rechtsproblematik aktuell zu befassen. Im Fall des OLG Koblenz ging es um einen Ferrari F 40 mit einer serienmäßigen Bodenfreiheit von 12,5 Zentimetern, der bei der Fahrt über eine von ihm nicht erkannte schadenserhebliche Straßenunebenheit eine entsprechende Bodenbeschädigung erlitt.Allgemeiner RechtsgrundsatzDie Verkehrssicherungspflicht leitet sich aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz ab, dass jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern lässt, diejenigen Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen hat, die zur Abwendung der daraus für andere Verkehrsteilnehmer entstehenden Gefahren notwendig sind. Verkehrssicherungspflichten treffen sowohl private Personen, Unternehmen wie auch die öffentliche Hand. Die Straßenverkehrssicherungspflicht ergibt sich somit aus dem Umstand, dass von der Straße durch Zulassung des öffentlichen Verkehrs Gefahren ausgehen können. Das verpflichtet die verantwortliche Körperschaft (Bund, Land, Gemeinden) zum Eingreifen. Die verpflichtete Behörde hat im Rahmen des Zumutbaren alles zu tun, um den Gefahren zu begegnen, die den Verkehrsteilnehmern aus einem nicht ordnungsmäßigen Zustand der Verkehrsflächen drohen. Bei einer schuldhaften Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht stehen dem Geschädigten Schadensersatzansprüche zu.HaftungseinschränkungenNicht jedes Verhalten eines Verkehrssicherungspflichtigen, das eigentlich und grundsätzlich für den Schaden eines Verkehrsteilnehmers "ursächlich" im Rechtssinne wäre, führt in direkter Konsequenz zu einer Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen. Wäre jedes "ursächliche" Verhalten des Verkehrssicherungspflichtigen für dessen Haftung ausreichend, würde man das Haftungsrisiko des Verkehrssicherungspflichtigen unvertretbar hoch ansiedeln und ihm nicht mehr zumutbare Anforderungen aufbürden. Die Rechtsprechung trägt dem mit den Überlegungen Rechnung, dass eine risikofreie Umwelt mit zumutbaren Mitteln nicht geschaffen bzw. gewährleistet werden kann und vom Verkehr auch nicht erwartet wird. Dies gilt nicht nur für Gefahrenlagen, die durch höhere Gewalt oder durch Dritte verursacht werden, sondern auch für solche Risiken, die aus der Sphäre eines Verkehrssicherungspflichtigen selbst stammen.Nach der Definition des Bundesgerichtshofs (BGH) umfasst die rechtlich gebotene Verkehrssicherung "diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren." Es ist allgemeine Lebensweisheit, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann.Wie sieht dies nun im Abgleich zu einem Ferrari F 40 mit einer Bodenfreiheit von lediglich 12,5 Zentimetern aus?Fehlende Vorschriften zur BodenfreiheitGesetzliche Regelungen zur Beschaffenheit von Fahrzeugen finden sich in der Straßenverkehrszulassungsverordnung (StVZO). Allerdings gibt es in der StVZO keine ausdrücklichen Vorschriften zur Bodenfreiheit von Kraftfahrzeugen. § 30 Abs. 2 StVZO bestimmt lediglich: "Fahrzeuge müssen in straßenschonender Bauweise hergestellt sein und in dieser erhalten werden." Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang die allgemein anerkannten Regeln der Technik wie auch der aktuelle Standard aus Fahrzeugtechnik und Straßenbau. In diesem Zusammenhang wird regelmäßig das VdTÜV Merkblatt 751 herangezogen. Hiernach muss ein tiefergelegtes Fahrzeug - besetzt mit einem Fahrer und mit vollem Kraftstofftank - Hindernisse mit einer Breite von 800 Millimetern und einer Höhe von 110 Millimetern mittig überfahren können, ohne dass es zu einer Berührung kommt.Hinweisbeschluss des OLG KoblenzDer Eigentümer des Ferrari befand sich vor dem OLG Koblenz in der Berufungsinstanz, die erste Instanz vor dem zuständigen Landgericht hatte er bereits verloren. Das OLG Koblenz führte in seinem Beschluss vom 28.12.2021 aus, dass die Tieferlegung des Ferraris als eine konstruktive Besonderheit anzusehen war, die zu einer Verringerung der "üblicherweise" zu erwartenden Bodenfreiheit führte. Es ergab sich hierdurch ein "dem Fahrzeugführer zuzurechnendes Risikomoment", was dieser durch erhöhte Aufmerksamkeit und Vorsicht zu kompensieren hatte. Nach den Darlegungen des OLG Koblenz musste sich der Ferrarifahrer danach richten, was sein Fahrzeug aufgrund der konkreten Beschaffenheit in der konkreten Verkehrssituation unter Berücksichtigung der Straßengestaltung "zu leisten" vermochte. Er war notfalls - so das OLG - gehalten, eine andere Wegstrecke zu wählen oder, wenn es sich wie hier um eine Sackgasse handelte, sein Fahrzeug gegebenenfalls an anderer Stelle zu parken oder eigeninitiativ zu veranlassen, dass durch ein vorübergehendes Entfernen der dort parkenden Fahrzeuge ein Befahren eines anderen Fahrbahnteils möglich wurde.Das OLG Koblenz vertrat in seinem Beschluss des Weiteren die Auffassung, dass der Fahrer eines Fahrzeugs wie eines Ferraris nicht nur Bodenunebenheiten eine besondere Aufmerksamkeit zuwenden muss, sondern auch bei anderen Fahrbahngegebenheiten beachten muss, ob die Straße für sein "nicht alltagstaugliches" Fahrzeug gefahrlos nutzbar ist. Das OLG Koblenz empfahl dem Kläger, seine Berufung wegen Erfolglosigkeit zurückzunehmen, eine beantragte Beweiserhebung wies das OLG zurück.Differenzierende Sichtweise des BGHÜber die Jahre hinweg gibt es inzwischen einen bunten Strauß an Urteilen, die sich mit Schadensersatzansprüchen unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Straßenverkehrssicherungspflicht befassen. Dass bei einem tiefergelegten Fahrzeug ein Schadensersatzanspruch zugestanden wird, bildet dabei wohl eher die Ausnahme.Es sei hier allerdings das in den Entscheidungen selten in Bezug genommene Urteil des BGH vom 16.05.1991 (Aktenzeichen III ZR 125/90) in Erinnerung gebracht, welches sich mit einem Pkw Panther Lima mit einer Bodenfreiheit von nur sieben Zentimetern befasste, der durch eine Bodenschwelle mit einer Höhe von 7,3 Zentimetern beschädigt wurde. Abzustellen ist gemäß BGH im jeweiligen Einzelfall auf die Verkehrsbedeutung der konkreten Straße. Der Verkehrssicherungspflichtige hat jedenfalls bei einer Straße, die für den allgemeinen innerstädtischen Verkehr gewidmet ist und die nicht auf bestimmte Fahrzeugtypen beschränkt ist, mit allen Fahrzeugen zu rechnen, die nach § 30 Abs. 1 und 2 StVZO zugelassen werden können. Hierzu gehören nach BGH auch solche Fahrzeuge, die eine geringere als die "übliche" Bodenfreiheit aufweisen, wenn sie nur gewährleisten, dass bei ihrem verkehrsüblichen Betrieb niemand geschädigt wird und ihre Insassen vor Verletzungen namentlich bei Unfällen möglichst geschützt sind. Auch für tiefergelegte Fahrzeuge kommt nach der differenzierenden Sichtweise des BGH demnach ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht in Betracht, wenn nach dem konkreten Unfallhergang die Verkehrssituation für den einzelnen Fahrzeugführer schadensverursachend nicht beherrschbar ist. Der BGH entschied im damaligen Fall allerdings nicht selbst, sondern wies den Rechtsstreit wegen erforderlicher Sachverhaltsaufklärung zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Für den geschädigten Eigentümer eines tiefergelegten Fahrzeugs gilt es im Streitfall jedenfalls detailliert und zielgenau zu argumentieren.Kurzfassung1. Verkehrssicherungspflichten ergeben sich aus dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern lässt, zur Abwendung der für andere Verkehrsteilnehmer entstehenden Gefahren die notwendigen Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen hat. Bei einer schuldhaften Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht steht dem Geschädigten ein Schadensersatzanspruch zu.2. Nach der einschränkenden Definition des BGH umfasst die rechtlich gebotene Verkehrssicherung (nur) diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren.3. Gemäß Hinweisbeschluss des OLG Koblenz vom 28.12.2021 stellt die Tieferlegung eines Fahrzeugs eine konstruktive Besonderheit dar, wodurch sich ein dem Fahrzeugführer für sein "nicht alltagstaugliches" Fahrzeug zuzurechnendes Risikomoment ergibt, welches dieser durch erhöhte Aufmerksamkeit und Vorsicht zu kompensieren hat. Ohne Beachtung dieser erhöhten Anforderungen besteht kein Anspruch auf Schadensersatz.4. Nach der differenzierenden Sichtweise des BGH hat der Straßenverkehrssicherungspflichtige jedenfalls bei einer Straße, die für den allgemeinen innerstädtischen Verkehr gewidmet ist und die nicht auf bestimmte Fahrzeugtypen beschränkt ist, mit allen Fahrzeugen zu rechnen, die nach der StVZO zugelassen werden können. Hierzu gehören gemäß BGH vom Grundsatz her auch solche Fahrzeuge, die eine geringere als die "übliche" Bodenfreiheit aufweisen.KommentarBetrachtet man einige Urteile, die sich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht mit Schadensersatzansprüchen wegen Beschädigungen an tiefergelegten Fahrzeugen befassen, so könnte man diese salopp und unjuristisch mit der Überschrift versehen: "Selbst schuld, wer ein solches Fahrzeug fährt." Der Hinweisbeschluss des OLG Koblenz vom 28.12.2021 argumentierte in diesem Sinne mit dem abstrakten Versatzstück, ein Ferrari F 40 sei "nicht alltagstauglich". Auch das mit der Entscheidung des BGH vom 16.05.1991 aufgehobene Berufungsurteil argumentierte damit, der Verkehrssicherungspflichtige sei nicht gehalten, "im Interesse von sportlich ambitionierten Kraftfahrern innerstädtische Straßen renntauglich auszubauen". Der BGH führte hierzu aus, dass das Berufungsgericht solchermaßen die richtige Fragestellung verfehlte. Der BGH mahnte damit auch für derartige Fälle eine objektive und sachlich korrekte Fallbehandlung an.Rechtsanwalt Rainer Bopp

Hyundai Motor Deutschland: Ralph Kranz wird neuer Vertriebschef

Produktsicherheit im Handel: ZDK kritisiert neue EU-Verordnung

Luxus trifft auf Tradition: Aston Martin eröffnet City Store in Nürnberg

Übernahme von Schneider Automobile in NRW: Glinicke weiter auf Expansionskurs

VW-Tarifstreit: IG Metall drängt auf Einigung

Alle Schlagzeilen

Schadensersatzklage: Risikomoment

MEISTGELESEN

Mercedes-Benz: Vier Wechsel im Vorstand

Stellantis: Deutschland-Geschäft unter neuer Leitung

VCDP-Mitgliederversammlung: Stellantis bewegt sich auf Vertragshandel zu

STELLENANGEBOTE

Finanz- oder Bilanzbuchhalter (m/w/d)

Juniorverkäufer (m/w/d)

Servicetechniker (m/w/d)

Audi Kfz-Mechatroniker (m/w/d)

Leiter IT (w/m/d)

WEITERLESEN

NEWSLETTER