Beim autonomen Fahren sind die deutschen Autobauer bisher gut aufgestellt - doch der Vorsprung droht zu verpuffen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Centers of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk-Ausrüster Cisco Systems. Vor allem Hersteller aus China könnten vorbeiziehen.
Beim autonomen Fahren nach Level 3, bei dem der Fahrer zeitweise die Verantwortung ans Auto abgeben kann, seien deutsche Hersteller bisher gut aufgestellt. Mercedes-Benz sei hier klarer Innovationsführer: Als bislang einziger Hersteller biete die Marke in ihrer S-Klasse einen Staupiloten an, der bis Tempo 95 auf der Autobahn das Lenkrad übernehmen dürfe. BMW gehöre mit der 2026 startenden Neuen Klasse zu den Marken, die schnell folgten.
Vorsprung durch Staupiloten
"Die deutsche Automobilindustrie hat bei Level-3-Systemen für autonomes Fahren aktuell eine Vorreiterrolle inne", sagte CAM-Experte Stefan Bratzel, der die Studie erstellt hat. "Doch dieser Vorsprung ist fragil, insbesondere Hersteller aus China werden die deutsche Innovationsleistung bald überflügeln", warnt Bratzel. Bis 2028 dürften chinesische Hersteller die deutschen Autobauer bei der Innovationskraft überholt haben, so Bratziels Prognose.
Dennoch sei die Lage in Deutschland deutlich besser als ihr Ruf, so Bratzel. "Wir sind nicht so schlecht, wie im Moment die Stimmungslage ist." Das heiße aber nicht, dass die Branche die Gefahr aus China nicht ernst nehmen sollte. "Aber wir dürfen unser Licht nicht fortwährend unter den Scheffel stellen."
Derzeit sei das gute Abschneiden der Deutschen vor allem der Stärke bei den Level-3-Funktionen zu verdanken. Doch dabei handle es sich um einen eher kleinen Nischenmarkt. Ganz anders sieht es der Studie zufolge bei den derzeit vorherrschenden Assistenzsystemen nach Level 2 und 2+ aus, bei denen das Auto immer mehr Unterstützung anbietet, den Fahrer aber nicht aus der Verantwortung nimmt. Hier seien Hersteller aus China bereits weit vorn, allen voran BYD, Nio und Xpeng.
China setzt auf Fahrassistenz
Seit 2022 sei bei den Herstellern in China ein enormer Anstieg zu beobachten. In dem Land habe es damals einen spürbaren Schwenk Richtung Fahrassistenz gegeben - "fast schon so eine Art Hype Phase", so Bratzel. Anders als in Deutschland sei das teilautomatisierte Fahren in China längst Standard. Und auch US-Hersteller wie Tesla und Ford seien hier etwas besser aufgestellt als die Europäer.
Insgesamt lag der Anteil Chinas an Innovationsstärke bei Fahrassistenz und autonomem Fahren 2024 bei 70 Prozent, so das Ergebnis der Studie. Deutschland folge mit deutlichem Abstand mit 14 Prozent auf Platz zwei vor den USA mit 12 Prozent. 2016 hatte es noch ganz anders ausgesehen: 60 Prozent der Innovationsstärke bei dem Zukunftsthema entfiel damals auf die deutschen Hersteller.
Mercedes-Benz E 450 4Matic
VW fällt zurück
Vor allem VW war in der Vergangenheit weit vorn: Im Zeitraum 2020 bis 2024 ermittelte die Studie bei keinem anderen Konzern eine so hohe Innovationsstärke bei der Serienentwicklung wie bei den Wolfsburgern. Das Gros entfielt dabei auf die Fahrassistenz. In den vergangen beiden Jahren kamen die Wolfsburger dagegen weltweit nur noch auf Platz sechs. Die fünf Plätze davor gingen allesamt nach Asien.
"Die deutschen Automobilhersteller haben mit ihren Level-3-Fähigkeiten eindrucksvoll gezeigt, dass autonomes Fahren made in Germany möglich ist", sagte Levar Ussery, Automobil-Experte bei Cisco in Deutschland. Diesen Vorsprung dürfe man nun nicht aufgeben. "Das vernetzte Auto muss ein deutscher Exporterfolg bleiben." Die IT-Infrastruktur und KI-unterstützte digitale Netzwerke seinen dabei "der Schlüssel, damit die deutschen Hersteller weiterhin diese Innovationskraft halten können".
Für die Studie wurde die Innovationsstärke von 28 globalen Automobilhersteller-Gruppen verglichen. Untersucht wurden insgesamt mehr als 750 Innovationen, davon gut 500, die in die Serienproduktion einflossen. Für die Berechnung der Innovationsstärke wurden die einzelnen Neuerungen nach ihrer Bedeutung und Tragweite gewichtet.