Daten sind einer der wichtigsten Rohstoffe des 21. Jahrhunderts. Richtig ausgewertet und angewandt, ermöglichen sie maßgeschneiderte Services und helfen bei der Erledigung wiederkehrender Aufgaben. Wie der Konzern Versicherungskammer Digitalisierung für seine Kunden und Mitarbeiter erlebbar macht und was es darüber hinaus an Innovationen beim größten öffentlichen Versicherer Deutschlands gibt, erklärt Christian Krams, Leiter Schaden im Konzern Versicherungskammer und Vorstand bei der BavariaDirekt, im AUTOHAUS-Interview.
AH: Schon vor Corona galt "das Heben des Datenschatzes" als eine der Kernaufgaben im Rahmen der Digitalisierung, die 2020 weiter an Schwung gewonnen hat. Welche konkreten Anwendungen werden bei Ihnen im Haus umgesetzt?
C. Krams: Damit die Transformation im Schaden erfolgreich ist, ist uns wichtig, dass wir auf Basis bisheriger Erfahrungen voneinander lernen. In Sachen Kfz-Schadenbearbeitung bietet Data Analytics, also die Auswertung eines immer größer werdenden Bestands gut abgewickelter Schadenfälle, eine echte Chance. Mit Hilfe eines komplexen mathematischen Algorithmus werden aus unserem Datenpool spezifische "Next Best Action"-Vorschläge generiert. Wenn ein Kunde beispielsweise einen Auffahrunfall meldet, untersuchen wir vollständig digital, welche abgeschlossenen Kfz-Schäden dem vorliegenden Schaden ähneln und welche im Sinne der Kunden und des Unternehmens erfolgreich abgeschlossen wurden. Diese bewährten Vorgehensweisen geben wir dem Sachbearbeiter an die Hand. Er bekommt also IT-gestützt konkrete Handlungsoptionen für den aktuellen Fall auf Basis bisheriger Ereignisse.
Automatische Schaden-Updates
AH: Gibt es auch Anwendungsbereiche, die digitale Services direkt für den Versicherungsnehmer erlebbar machen?
C. Krams: Natürlich. Bei unserem digitalen Versicherer BavariaDirekt haben wir schon seit einigen Jahren den Statustracker im Einsatz. Der Tracker reagiert auf alle Änderungen, die für die Kunden relevant sind. Das sind zum Beispiel Schadenanlage, -zahlung und -abschluss oder die Beauftragung einer Werkstatt oder eines Gutachters. Diesen Service führen wir seit Ende 2020 für unsere Regionalmarken ein, also für die Versicherungskammer Bayern, die Feuersozietät Berlin Brandenburg und die SAARLAND Versicherungen.
AH: Erhalten Ihre Kunden automatisierte Nachrichten oder müssen sie die Status-Updates aktiv abfragen?
C. Krams: Sowohl als auch: Der Kunde erhält via Push-Meldung, also per E-Mail oder SMS, den aktuellen Bearbeitungsstand seines Schadenfalls oder kann ihn auf der Homepage aufrufen. Mittelfristig bauen wir einen umfassenden Kommunikations-Hub auf: Über diesen kann der Kunde Infos zum Schadenfall teilen, Rechnungen und Kostenvoranschläge ablegen oder mit uns in Kontakt treten. Zukünftig planen wir mit dem Hub eine digitale Schnittstelle, innerhalb der die gesamte Kommunikation für alle transparent einzusehen ist. Unsere Versicherungsnehmer sind solche Abläufe von Interaktionen in anderen Lebensbereichen gewöhnt, weswegen wir großen Wert auf die kundenorientierte Optimierung von Prozessen legen, wo immer sinnvoll möglich. Ein gutes Beispiel ist unsere Kooperation mit dem Dienstleister Copart im Bereich Totalschäden.
Fullservice im Totalschadenfall
AH: Welche Vorteile entstehen den Kunden durch diese Zusammenarbeit?
C. Krams: Mit der Kooperation ist die Versicherungskammer der erste Versicherer Deutschlands, der den Verkauf der Unfallfahrzeuge seiner Kunden übernimmt: Bislang mussten unsere Kunden sich selbst darum kümmern, ihre Fahrzeuge mit Totalschäden zu verwerten. Dies ist nicht mehr zeitgemäß. Im Zuge der Transformation im Bereich Schaden arbeiten wir deshalb mit dem Marktführer im Bereich der Verwertung von Alt- und Totalschadenfahrzeugen zusammen. Die Arbeit von Copart stellt eine Ergänzung und Weiterentwicklung unserer internen Maßnahmen dar. Insbesondere der ausgezeichnete Service hat uns überzeugt.
AH: Wie sieht dieser in der Praxis aus?
C. Krams: Copart kümmert sich um das geschädigte Auto und die komplette Veräußerung. Durch die Erfahrung und die hochprofessionelle Abwicklung wird in der Regel ein höherer Restwert erzielt, von dem der Kunde direkt profitiert. Entscheidend ist zudem, dass er einen völlig neuen Service erlebt, da ihm jegliche Tätigkeiten vom Transport über Verhandlung bis zum Verkauf abgenommen werden.
Agile Teams im Einsatz …
AH: Um Ihr Schadenmanagement auch in anderen Bereichen weiter zu verbessern, setzen Sie auf agile Teams. Was ist darunter zu verstehen?
C. Krams: Wir orientieren uns hier an einem Grundprinzip der Softwareentwicklung. Um dieses auf ein Schadenteam zu übertragen, mussten wir zunächst definieren, was Agilität für uns bedeutet. Kurzum: An welchen Stellen helfen uns agile Methoden, effizienter zu arbeiten und gleichzeitig im Sinne des Kunden zu handeln? Anfang des Jahres ist unser Team mit der Mission gestartet, als Impulsgeber agile Schadenprozesse mitzugestalten, selbst zu erproben und so Beziehungen zu Kunden zu stärken. Mit der Methode Scrum bearbeitet es Kraftfahrt-Haftpflichtschäden und arbeitet in sogenannten Sprints. Nach jeweils vier Wochen stellt das Team seine Ergebnisse in Reviews vor und sammelt Feedback.
AH: Welche Ergebnisse gibt es inzwischen zu verzeichnen?
C. Krams: Mittlerweile haben wir mit dem Team eine Fülle an kreativen Lösungen entwickelt: Vom Lernen in der Gruppe, über die Nachstellung von Kundendialogen bis hin zur Vorbereitung auf ein schwieriges Gespräch – mit verschiedenen Methoden entwickeln wir Maßnahmen, die sowohl den Kunden als auch die Sachbearbeiter auf eine ganz neue Ebene bringen. Wir kamen zudem zur Erkenntnis, dass ein rascher und direkter Austausch mit dem Kunden, vorzugsweise per Telefon oder E-Mail, schnell Klarheit bringt und Missverständnisse ausräumt. Darüber hinaus drücken wir uns in der schriftlichen Kommunikation deutlich und leicht verständlich aus.
… auch standortübergreifend
AH: 2020 war von der Arbeit im Home Office geprägt. Funktioniert dieser Ansatz auch auf Entfernung, also bei verteilt arbeitenden Teams?
C. Krams: Ja, und das meiner Meinung nach sehr gut. Derzeit fokussiert sich das agile Schadenteam darauf, agile Methoden, Arbeitsergebnisse und Erfahrungen an andere Teams im Konzern weiterzugeben. Diese Gruppen gründen sich aktuell in verschiedenen Schadenabteilungen – egal, ob in Berlin, München, Saarbrücken, von zu Hause aus oder standortübergreifend. Das agile Schadenteam begleitet sie auf dem Weg, berät sie und gibt Orientierung.
AH: Herr Krams, vielen Dank für dieses Gespräch. (kt)