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Goslar-Institut: Wer haftet für selbstfahrende Autos?

19.03.2016 15:58 Uhr
Goslar-Institut: Wer haftet für selbstfahrende Autos?
Diskutierten über die automobile Zukunft (v.l.): RA Dr. Thomas Funke (Osborne Clarke), Gerhard Steiger (Bosch), Klaus-Jürgen Heitmann (HUK-COBURG), Moderatorin Carola Ferstl (n-tv), Guido Reinking und Werner Hülsmann (Deutsche Vereinigung für Datenschutz).
© Foto: Walter K. Pfauntsch

Kfz-Versicherer werden auch bei sinkenden Unfallzahlen nicht überflüssig: Das war die Kernaussage des jüngsten "Goslar Diskurses". Dabei wurde auch der Gesetzgeber aufgefordert, die entsprechenden Regeln zügig anzupassen.

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Die Vorstellung ist faszinierend: Selbstfahrende, sogenannte autonome Fahrzeuge, reduzieren die Zahl der Unfälle, Verletzten und Toten im Straßenverkehr auf nahezu null. Doch bis die "Autos ohne Lenkrad" diese Vision Realität werden lassen können, wird es wohl noch länger dauern. Zwar sind die technischen Voraussetzungen für das autonome Fahren in kontrollierter Verkehrsumgebung weitgehend vorhanden, zum Beispiel auf Autobahnen. Es hapert allerdings noch bei den rechtlichen, insbesondere den haftungsrechtlichen Rahmenbedingungen. Zu diesem Fazit gelangten vor kurzem die Teilnehmer am aktuellen Goslar Diskurs der Studiengesellschaft für verbrauchergerechtes Versichern e.V. (Goslar Institut). "Ganz sicher werden demnach die selbstfahrenden Autos auch die Kfz-Versicherungen nicht überflüssig machen, wenn es ,keine' Unfälle mehr gibt", lautete das grundsätzliche Credo der Runde.

Auto ohne Lenkrad irgendwann um das Jahr 2030
"Wir sind heute auf dem Weg vom assistierten zum hoch automatisierten Fahren", skizzierte Gerhard Steiger, Vorsitzender des Bereichsvorstands Chassis Systems Control des Kraftfahrzeugtechnik-Spezialisten Robert Bosch GmbH, die Roadmap des autonomen Fahrens. Elektronische Assistenzsysteme, die den Autofahrer beim Einparken ebenso unterstützen wie beim Spurwechsel und ihn sogar vor dem Einschlafen warnen, haben bereits Einzug in die Cockpits der modernen Fahrzeuge gehalten. Als Nächstes werden teilpilotierte Systeme folgen, mit denen man etwa bei Stausituationen auf der Autobahn das Fahrzeug bis 60/70 Stundenkilometer komplett selbstständig fahren lassen kann, kündigte Steiger an.

Diese Technik solle im nächsten Jahr serienreif sein und dann auf den Markt kommen. Für sogenannte hoch automatisierte Systeme, die es dem Fahrzeug ermöglichen, sich selbstständig auf einer Autobahn von Einfahrt zu Ausfahrt zu bewegen und dabei je nach Situation selbst zu entscheiden, sieht der Bosch-Mann voraussichtlich Anfang der nächsten Dekade die Zeit gekommen. Dabei gehe man aber immer noch von einem Fahrer aus, betonte Steiger. Das voll automatisierte Auto, das ohne Lenkrad fährt, wird nach seiner Einschätzung nicht vor Ende der nächsten Dekade am Verkehr teilnehmen.

Senkung von Unfallzahlen wird auch von der Assekuranz begrüßt
Bis Autos tatsächlich vollständig autonom, also ohne Lenkrad auf den heimischen Straßen unterwegs sind, wird es auch nach Ansicht von Klaus-Jürgen Heitmann, Vorstandsmitglied der HUK-COBURG Versicherungsgruppe, Deutschlands größtem Kfz-Versicherer, noch lange dauern. Heitmann rechnet damit, dass die Unterstützung beim Fahren durch elektronische Systeme sukzessive zunehmen wird – bis das Auto dann eines Tages eigenständig pilotiert. Das oberste Ziel des autonomen Fahrens, die Unfallzahlen zu senken, begrüßte Heitmann.

"Google-Autos fahren bislang schlechter als der Durchschnitts-Deutsche"
Allerdings sei auch das vorerst Zukunftsmusik. Er berichtete beim Goslar Diskurs, dass laut einer Auswertung von HUK-Fachleuten die fahrerlosen Fahrzeuge des Internetriesen Google bei ihren inzwischen rund zwei Millionen zurückgelegten Testkilometern bislang schlechter gefahren seien als deutsche Autofahrer im Durchschnitt. Insofern erwartet Heitmann noch einen weiten Weg, bis dank autonomer Autos die Unfallzahlen drastisch sinken. Dennoch müssten sich die Versicherer auf diesen Trend einstellen, betonte der HUK-COBURG-Vorstand.

"Vorsicht und Qualität vor Schnelligkeit!"
Das autonome Fahren sieht auch Automobil-Publizist Guido Reinking erst nach und nach in den Markt kommen. Er rät der Autoindustrie geradezu, dabei vorsichtig zu Werke zu gehen. Denn sollten die autonomen Autos in Unfälle verwickelt werden, sei ein großes negatives Echo in Medien und Öffentlichkeit sowie infolgedessen ein riesiger Imageverlust absehbar, warnte der Experte beim Goslar Diskurs. Deshalb sein Credo: "Vorsicht und Qualität vor Schnelligkeit!"

Wird der "Autopilot" zum Beklagten?
Die Einführung des autonomen Fahrzeugs werde zudem wesentlich von geschäftspolitischen Entscheidungen der Hersteller abhängen, je nachdem welche Marktmöglichkeiten sie sehen, fügte der Sachverständige für IT-Produkte und Datenschutz, Werner Hülsmann, hinzu. Das Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e.V. schätzt auch die erforderliche Netzinfrastruktur nicht als Hindernis für autonome Fahrzeuge ein.

Bremsen dürften sie vielmehr fehlende gesetzliche Regelungen im Hinblick auf die durch die Elektronik erhobenen Daten und die Haftungsfragen, die sich durch die steigende Zahl der Fahrassistenten ergeben können. Denn die Experten beim Goslar Diskurs halten es für absehbar, dass Autofahrer bei Unfällen künftig versuchen könnten, die Schuld dem "Autopiloten" zuzuschieben.

Funke: "Brauchen ein modifiziertes Haftungsrecht"
Nach aktuellem Recht haftet der Unfallverursacher, wie der Rechtsanwalt und Partner der Kölner Anwaltspraxis Osborne Clarke, Dr. Thomas Funke, erläuterte. Gleichzeitig haften Fahrzeughersteller auch heute schon für eigene mangelhafte Produkte. Mit dem Fortschreiten des autonomen Fahrens werde sich ein Teil des Risikos jedoch vom Fahrzeugführer auf die Autohersteller bzw. Importeure verlagern, erwartet der Jurist. Als Beleg dafür führte er an, dass nach dem Willen der Bundesregierung das Verwenden eines Autopiloten grundsätzlich nicht als Fahrlässigkeit eingestuft werden soll.

Funke hält es als Voraussetzung für die Markteinführung autonomer Fahrzeugtechnik für notwendig, rechtlich eindeutig zu klären, wer für Schäden verantwortlich sei. Dazu sei ein modernes, modifiziertes Haftungsrecht erforderlich, betonte er. Der deutsche Gesetzgeber werde dabei wohl auch weiterhin der Versorgung der Unfallopfer besondere Bedeutung beimessen, stellte HUK-COBURG-Vorstand Heitmann zu den derzeit im Bundesverkehrsministerium in Arbeit befindlichen Gesetzesnovellen fest. Das beste Mittel, um Unfallopfer zu schützen, sieht er in einem Festhalten an der Halterhaftung. Denn das deutsche System der Halterhaftung sei für Verkehrsopfer sehr vorteilhaft, begründete Heitmann seine Position. Deshalb nimmt er auch nicht an, dass es zu dem Rückgang bei den Kfz-Versicherungsprämien um 45 Prozent bis zum Jahr 2030 kommen wird, von dem derzeit in einigen Medien die Rede ist.

Auch der HUK-Experte rechnet damit, dass mit zunehmender Verbreitung des Autos ohne Lenkrad die Rolle der Produkthaftung der Hersteller wachsen wird. Allerdings nicht, um die Halterhaftung abzulösen, wie Heitmann hervorhob.

Gefahr kompletter "Bewegungsmuster" durch Fahrzeughersteller
Weiterhin große Unsicherheit im Zuge des Fortschritts der Elektronik im Auto konstatierten die Fachleute des Goslar Diskurses in Bezug auf die damit verbundene Datenerhebung. Die schöne neue Welt der autonomen Automobilität mit weniger Unfällen und Verkehrsopfern bringe eben auch eine neue Datenwelt mit sich, hieß es übereinstimmend. Konkret bedeutet dies, dass die Hersteller künftig Zugriff auf immer mehr personenbezogene Daten des Autofahrers bekommen. Daraus lassen sich komplette Bewegungsmuster ebenso ablesen wie Hinweise zum jeweiligen Fahrverhalten.

Transparenz und Missbrauchs-Schutz elementar
In dieser Hinsicht haben die Hersteller nach Meinung von Datenschutzexperte Hülsmann mehr Transparenz als bisher zu schaffen: welche Daten sie erheben, zu welchem Zweck dies geschieht und an wen sie diese Daten weitergeben. Dabei will der Datenschützer Irreführungen und Manipulationen ausgeschlossen wissen. Diese Transparenz sei notwendig, um den Autokäufern Vertrauen in die neue Technik zu geben, sagte Hülsmann. Er brachte dazu auch Zertifizierungen von solchen Systemen ins Gespräch. Zudem verlangte er von der Gesetzgebung, sicherzustellen, dass mit den personenbezogenen Daten der Autofahrer kein Missbrauch getrieben werden kann.

"Wahlfreiheit weiter stärken"
In dieser Hinsicht sieht Jurist Funke jedoch derzeit noch eine "Wild-West"-Szenerie gegeben, in der "das Recht des Stärkeren" gelte: "Wer die Daten aus den Autos bekommt, wird sie kommerzialisieren, weil er daran nicht wirksam gehindert wird", meint der Anwalt. Er setzt seine Hoffnung jedoch auf das neue EU-Datenschutzrecht: Es mache Datenschutzrechtsverletzungen in Zukunft richtig teuer, sagte Funke. Die Wahlfreiheit des Verbrauchers müsse ebenso gestärkt werden wie der Wettbewerb im Service- und Ersatzteilmarkt, der immer stärker vom Datenzugang abhänge. Da es bislang rechtlich noch kein Eigentum an den maschinell erzeugten Daten gibt, hält der Jurist ein gesetzliches Update zu den Nutzungsrechten für dringend erforderlich.

"FAS sind aufmerksamer als der Mensch und werden nicht müde"
Denn "Daten sind das neue Gold", wie es Automobilexperte Reinking beim Goslar Diskurs formulierte. Weil damit ganze Geschäftsmodelle verbunden sind, von denen man zum Teil heute noch gar nichts ahnt, so der ehemalige Chefredakteur der Fachzeitschrift "Automobilwoche". Jetzt sei der Streit um die Schürfrechte an diesem Gold entbrannt, der wohl noch länger anhalten werde, diagnostizierte Reinking.

Für Bosch-Vorstand Steiger sind dies zwar Themen, die man im Hinblick auf das kommende autonome Fahren nicht ausblenden darf. Wichtiger erscheint ihm allerdings das Ziel, mit der neuen Technik immer mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer zu schaffen. Schließlich sei in mehr als 90 Prozent der Unfälle der Mensch der Verursacher, stellte Steiger fest. Häufigste Unfallursache: Aufmerksamkeitsdefizite. Die neuen elektronischen Assistenzsysteme bis hin zum autonomen Fahren seien zwar noch nicht intelligenter als der Mensch, aber aufmerksamer, sagte der Experte. Und vor allem: Sie werden nicht müde. Nach den Worten des Bosch-Vorstands könnte allein der Notbremsassistent, der jetzt zunehmend in die Autos eingebaut werden soll, rund 30 Prozent aller Verkehrsunfälle mit Toten vorbeugen.    (wkp)

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