Handelsrecht: Quo vadis Automobilvertrieb?

Der Beschluss des OLG Wien vom 12. Mai 2020 hat in der Branche für großes Aufsehen gesorgt. Die Frage stellt sich jedoch, ob diese Entscheidung auch auf Deutschland übertragbar ist, oder aber ob sie nur der Fingerzeig ist, was generell in Deutschland auch schon bereits beachtet werden muss. Inhalte des OLG-Beschlusses Das OLG Wien hatte bekanntlich Peugeot Österreich verpflichtet, u. a. folgende Praktiken abzustellen: - Teilnahme der Händler an von Peugeot vorgegebenen Aktionen betreffend den Neuwagenvertrieb, - die Kopplung von Prämienzahlungen mit dem von Peugeot vorgegebenen System der Kundenzufriedenheitsumfragen, sowie - die Abwicklung von Garantie-Gewährleistungsaufträgen mit nicht kostendeckenden Stundensätzen sowie nicht kostendeckender Erstattung bei Ersatzteilen. Rechtslage in Deutschland Diese Praktiken sind grundsätzlich auch nach deutschem Recht unzulässig, auch wenn in der Vergangenheit hierbei nicht stets auf Kartellrecht abgestellt worden war. Die Kopplung zwischen Prämienzahlungen und dem vom Hersteller vorgegebenen System der Kundenzufriedenheitsumfragen kann auch mit den vom deutschen Bundeskartellamt bereits 1979 aufgestellten Grundsätzen als unzulässig bewertet werden. Danach müssen die vom Hersteller ausgelobten Boni auf objektiven Kriterien beruhen, die jederzeit überprüft werden können. Gerade wenn, wie in dem österreichischen Fall, nur Fragebögen berücksichtigt werden, in denen neun von zehn möglichen Fragen beantwortet werden, bleiben die Bewertungen von Kunden, die möglicherweise weniger Fragen beantwortet haben, völlig unberücksichtigt. Dann wäre der Händler ggf. gezwungen, die Kunden dazu anzuhalten, dass sie mindestens neun Fragen beantworten. Dies kann - nach Annahme des OLG Wien - zu manipulierbaren Ergebnissen führen. Gerade da es der Händler nicht in der Hand hat, wie viele Fragen ein Kunde ausfüllt, wäre eine solche Bewertung einer Kundenzufriedenheit auch nach den Grundsätzen des Bundeskartellamtes nicht kalkulierbar und daher unzulässig. Auch eine Klausel, wonach dem Händler bei der Abwicklung von Garantie- und Gewährleistungsaufträgen nur eine Kostenerstattung zugesagt wird, ist seit der Daihatsu-Entscheidung 1994 unzulässig. Danach muss dem Händler für seine Tätigkeit eine angemessene Vergütung zugebilligt werden. Diese muss insbesondere den Gesamtaufwand, d. h. auch den administrativen Aufwand für die Abwicklung von Garantiearbeiten, miterfassen. "Neu" ist daher allenfalls, dass das OLG Wien die Vorgabe eines Herstellers für bestimmte Aktionen und die mittelbare Verpflichtung des Händlers aus wirtschaftlichen Gründen teilzunehmen, als missbräuchlich ansieht. Hersteller-Aktionen, die regelmäßig dadurch gekennzeichnet sind, dass die Angebote nur für "teilnehmende Händler" gelten, sind auch in Deutschland weit verbreitet. Kaum ein Hersteller lobt nicht Sonderpreise aus, die nur gelten, wenn der Händler an dem Programm teilnimmt. Hier argumentiert das OLG Wien damit, dass die Teilnahme für den Händler nicht mehr freiwillig sei, sondern "erzwungen". Der Händler könne auf die Teilnahme an den Aktionen nicht verzichten, ohne Verluste zu machen. Dies kann nach deutschem Recht auch über § 20 GWB gelöst werden, da nach den Feststellungen des OLG Wien der betreffende Hersteller eine sogenannte "relative Marktmacht" hat. Das Institut der "relativen Marktmacht" hat der BGH in den Jaguar-Entscheidungen bekanntlich bereits jüngst auch im Zusammenhang mit dem Zulassungsanspruch zur Werkstatt mehrfach erfolgreich zugunsten des Handels angewandt. Die Entscheidung des OLG Wien findet naturgemäß zwar keine unmittelbare Anwendung auf die deutsche Rechtslage, inhaltlich ergeben sich jedoch keine großen Unterschiede. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass mit dem OLG Wien ein Kartellgericht massiv zugunsten des Handels unter Zugrundelegung kartellrechtlicher Normen entschieden hat. Ausblick Auf der anderen Seite sind die auch vom OLG Wien aufgegriffenen Punkte nur ein kleiner Teil der Rechtsprobleme, denen sich der deutsche Autohandel ausgesetzt sieht. Abo-Modelle, Direktvertrieb und mögliche Agenturmodelle beherrschen die öffentliche Diskussion. Dabei sind diese Punkte auch schon längst durch die deutsche Rechtsprechung gelöst. Bereits 1994 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein Direktvertrieb eines Herstellers nur dann zulässig ist, wenn der Händler hierfür einen angemessenen Ausgleich erhält - unabhängig davon, ob er das betreffende Fahrzeug ausliefert. Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof in der Folgezeit mehrfach bestätigt. Nur, in den wenigsten Händlerverträgen ist eine entsprechende Kompensationsverpflichtung vorgesehen. Teilweise wird gerade in der jüngsten Zeit sogar ein Direktvertrieb eingeführt, obwohl dieser noch nicht einmal im Händlervertrag vorgesehen ist. Auch herstellereigene Abo-Modelle stellen nicht anderes dar als einen Direktvertrieb. Wenn nunmehr versucht wird, die Verpflichtung zur Zahlung eines angemessenen Ausgleichs dadurch zu umgehen, dass teilweise ein Agenturmodell ins Spiel gebracht wird, ist dieser Versuch untauglich. Soweit behauptet wird, bei einer Agenturlösung würden die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze nicht gelten, wird verkannt, dass dies nur dann gilt, wenn es sich um eine "echte" Agentur handelt. Bereits 2005 hatte der EuGH hinsichtlich der Mercedes-Vertreter festgestellt, dass es sich bei diesem Modell nicht um eine "echte" Agentur handelt, da die Vertreter auch Risiken zu tragen hätten. Dementsprechend ist die Differenzierung zwischen "echten" und "unechten" Handelsvertretern von der EU-Kommission auch ausdrücklich in die Leitlinien zur aktuellen GVO mit aufgenommen worden. Daher kann ein Direktvertrieb ohne eine entsprechende Kompensation nur funktionieren, wenn der Agent keinerlei wirtschaftliches Risiko zu tragen hat. Die Entscheidung des OLG Wien, insbesondere hinsichtlich des faktischen Zwanges der Händler an den Aktionen des Herstellers teilnehmen zu müssen, ist daher zwar ein erstes Zeichen, den Einfluss der Hersteller auf die Preisfindung des Handels einzuschränken. Aber der Intention der Hersteller, den Direktvertrieb und damit den Einfluss auf die Verkaufspreise der Händler auszubauen, muss generell entgegengewirkt werden. Neben einem Vorgehen gegen die Auslobung von Sonderverkaufspreisen, die eine Händlerbeteiligung vorsehen, muss zum einen konsequent den Herstellern verdeutlicht werden, dass für jedes im Direktvertrieb verkaufte Fahrzeug dem Handel ein angemessener Ausgleich zu zahlen ist, auch den Händlern, die mit der Auslieferung der Fahrzeuge nicht befasst sind - zur Not über die Gerichte. Zum anderen muss den Herstellern klargemacht werden, dass diese Kompensationsverpflichtung in einem Agenturmodell nur dann entfallen kann, wenn es sich um eine "echte" Agentur handelt, in der der Agent keinerlei wirtschaftliche Risiken zu tragen hat. Dies bedeutet beispielsweise auch, dass Probefahrten vom Hersteller zu vergüten wären. Die Hersteller werden sich daher entscheiden müssen, ob sie dem Handel einen Ausgleich zahlen oder den Handel von Kosten entlasten. Ein "weiter so" zu Lasten des Handels kann es nicht geben. Ein bisschen schwanger gibt es nicht! Prof. Dr. Tim O. Vogels ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht. 2014 wurde er zum ordentlichen Professor an der Hochschule Fresenius für Wirtschaft und Medien GmbH berufen.

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