Stellantis Deutschland: Ehrgeizige Ziele

Seit Monaten diskutiert Stellantis mit den Händlern in mehreren Arbeitskreisen über die Zukunft des Geschäfts in Deutschland. Nach der Vorstellung des Strategieplans der Gruppe werden die langfristigen Ziele konkreter. Ein Gespräch mit Deutschland-Chef Amaury de Bourmont. AH: Am 1. März stellte Carlos Tavares den Plan "Dare Forward 2030" für Stellantis vor. Darin teilte er mit, dass bis zum Ende dieses Jahrzehnts 100 Prozent der von Stellantis in Europa angebotenen Fahrzeuge batterieelektrisch sein werden. Bis 2030 will der Konzern 75 BEV im Angebot haben, jährlich fünf Millionen E-Autos weltweit verkaufen und den Umsatz auf 300 Milliarden Euro verdoppeln. Wie viele Autos davon sollen in Deutschland verkauft werden und wie ist ungefähr die Verteilung auf die Marken? Zum Vergleich: Wie viele E-Autos verkaufen Sie aktuell hierzulande? A. de Bourmont: Das sind ehrgeizige Ziele, die wir uns selbst gesetzt haben. Zuerst ist es wichtig zu wissen, dass Deutschland schon heute mit rund 25 Prozent Anteil der mit Abstand wichtigste Markt Europas für emissionsarme Fahrzeuge ist. Letztes Jahr sind über alle Marken hinweg ungefähr 680.000 LEVs (Low Emission Vehicle, wie die vollelektrischen Fahrzeuge BEV und Plug-in-Hybride bei Stellantis genannt werden, Anm. d. Redaktion) in Deutschland verkauft worden. Im vergangenen Jahr hatte Stellantis in Deutschland insgesamt 14,5 Prozent Marktanteil. Wir wollen zukünftig mit unseren LEVs mindestens den gleichen Marktanteil erreichen. Letztes Jahr hatten wir mit 65.000 Verkäufen knapp zehn Prozent, das heißt, wir wollen hier weiter ausbauen. 2021 waren gut 20 Prozent von unserem gesamten Mix LEV-Fahrzeuge. In den ersten zwei Monaten von 2022 sind wir schon bei fast 30 Prozent. Der Trend geht also ganz klar in die richtige Richtung. Etliche unserer Modelle sind sehr erfolgreich auf dem LEV-Markt, zum Beispiel ist der Fiat 500e Nummer eins im LEV A-Segment und auch Nummer zwei im gesamten LEV-Markt. Der Corsa-e, der Mokka-e, der e-208 und der e-2008 sind ebenfalls extrem gut repräsentiert und immer wieder auf den ersten Plätzen in den jeweiligen Segmenten. Das heißt unsere Präsenz ist schon stark. Es kommen jetzt zudem viele neue Modelle wie der neue Astra und der neue Grandland bei Opel, der neue 308, der neue Citroën C5 X, der neue Alfa Romeo Tonale und weitere LEV von Stellantis, so dass wir uns immer weiter verbessern werden. Natürlich wollen wir mit diesen ganzen neuen Modellen auch im LEV-Geschäft in Deutschland weiter wachsen und unsere Marktposition weiter ausbauen. Jede Marke mit eigenen Werten AH: Wie werden die Sortimente der einzelnen Stellantis-Marken zukünftig ausgerichtet? Wird es mehr Unterschiede geben oder werden noch mehr Marken zu Vollsortimentern? A. de Bourmont: Ich bin froh, dass wir schon acht Marken der insgesamt 14 im Stellantis-Portfolio in Deutschland haben. 2024 kommt dann noch Lancia hinzu. Damit decken wir ein sehr großes Spektrum ab: Wir fangen an bei weniger als 10.000 Euro für den Rocks-E von Opel und die Bandbreite reicht dann bis zum Maserati für über 200.000 Euro. Die Differenzierung zwischen den Marken, gerade derer, die im gleichen Cluster sind, spielt dabei eine immens wichtige Rolle. Wir produzieren zwar die Autos auf den gleichen Plattformen, um Synergien zu heben. Aber wir stellen dabei natürlich sicher, dass jede Marke für ihre eigenen Werte steht. Wenn man zum Beispiel den Peugeot 308 und den Opel Astra vergleicht, sieht man, dass es gelungen ist, zwei komplett unterschiedliche Fahrzeuge anzubieten. Die beiden Autos haben nichts gemeinsam, was man sehen oder fühlen kann. Auch das Fahrgefühl ist anders. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir für jede Kundengruppe eine Marke anbieten. Premium Cluster AH: Die Neuwagenumsätze aus dem Premium- und Luxusfahrzeugsegment sollen laut Tavares vervierfacht werden. Was bedeutet das für die einzelnen Marken in Deutschland? A. de Bourmont: Mit Lancia, DS und Alfa Romeo werden wir ein Premium Cluster bilden. DS steht für Pariser Chick und Komfort, Lancia für Eleganz und Alfa Romeo für Sportlichkeit. Dazu kommt Maserati als Luxusmarke. Wir sehen für Maserati ein großes Potenzial. Dass der DS 4 jetzt in Rüsselsheim gebaut wird, ist auch ein wichtiges Zeichen für die gelungene Integration von Opel in die Stellantis-Gruppe. Wir wollen mit unseren Premium-Marken auch den Elektrifizierungstrend nutzen, um noch schneller voranzukommen: Lancia werden wir mit einem stark elektrifizierten Produktplan einführen. DS ist heute schon eine fast komplett elektrifizierte Marke und wird die erste sein, die vollständig auf 100 Prozent elektrisch umsteigen wird. Alfa Romeo führt gerade den ersten Plug-in-Hybrid ein und startet damit ins Zeitalter der Elektromobilität durch. AH: Welche Kunden sollen die hohen Preise noch bezahlen können? A. de Bourmont: Der Premium-Markt ist immer wesentlich teurer gewesen als der Volumen-Markt. Man darf auch nicht vergessen: Die Entwicklung geht teilweise weg vom Listenpreis hin zum Abo oder zum Leasing. Dadurch, dass wir immer wieder versuchen, die Restwerte unserer Marken zu verbessern, gelingt es uns, die monatliche Rate attraktiv zu halten. Außerdem werden wir immer weniger Nachlass geben, um die Profitabilität des Geschäfts zu verbessern. Das steigert ebenfalls die Restwerte. Hinzu kommt, dass wir unsere Autos immer mehr "over the air" updaten. Das wird auch dazu beitragen, dass die Fahrzeuge jahrelang aktuell und bezahlbar bleiben - zumindest für diese Kundschaft. Differenzierung AH: Baugleiche Fahrzeuge bei unterschiedlichen Marken werden aufgrund ihrer Preispositionierung zum Problem. Aktuell ist es zum Beispiel so, dass die Leasingrate für den Corsa aufgrund der Förderung 100 Euro günstiger ist als ein baugleicher Peugeot 208. Wie sollen die Händler solche Preisunterschiede durchsetzen? A. de Bourmont: Das Beispiel gibt es nicht mehr, es ist aber auch nicht ganz korrekt, weil die Autos nicht gleich ausgestattet sind: Zum Beispiel hat der Corsa einen einphasigen On-Board Charger, der 208 einen dreiphasigen On-Board Charger. Auf der anderen Seite haben Sie Recht: Wir müssen natürlich sicherstellen, dass es eine gewisse Kohärenz (dt. Abstimmung, Anm. d. Redaktion) zwischen den Modellen gibt. Jede Marke hat einen gewissen Preiskorridor, in dem sie sich bewegen kann. Online-Verkäufe steigern AH: 2030 soll ein Drittel des weltweiten Absatzes online erreicht werden. Wie steht es derzeit bei Ihren Marken auf dem deutschen Markt und was sind die nächsten Schritte? A. de Bourmont: Wir sind in Deutschland bei diesem Thema vorne mit dabei. Bei einigen Marken haben die Kunden jetzt schon die Möglichkeit, ein Auto online zu kaufen. Bei Peugeot und Citroën wurde schon früh mit Bestandsfahrzeugen angefangen. Die Kunden erwarten heute Erreichbarkeit rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Es gibt sicherlich Kunden, die nur online wollen. Sehr viele Kunden wollen aber die phygitale Erfahrung, also die Mischung von Online und Offline. Die Händler spielen hier eine wichtige Rolle und wir müssen den Händlern ein Tool anbieten, das die Kombination aus beidem ermöglicht. Aktuell ist der Anteil des Online-Absatzes noch eher gering, wir lernen in der aktuellen Phase vor allem. Da die Bestände derzeit sehr gering sind, können natürlich auch wenig Verkäufe über diesen Kanal laufen. Je mehr Autos wir im Bestand haben, desto mehr werden es auch im Onlineverkauf werden. Und wir werden noch in diesem Jahr mit Bestellfahrzeugen anfangen. Wir werden also die Zahl der Online-Verkäufe in der Zukunft deutlich steigern. Erfolgreiches System entwickeln AH: Wie wird der Handel zukünftig in den Online-Vertrieb bei den Fahrzeugen eingebunden sein? A. de Bourmont: Wir arbeiten seit Monaten am zukünftigen Distributionsmodell. Wir werden europaweit ab Mai 2023 für den Nutzfahrzeug- und Premiummarkenvertrieb ein Agentursystem einführen. Dasselbe gilt für alle Stellantis-Marken in Belgien, Niederlande und Österreich. In allen anderen Ländern und für unsere Volumenmarken wird es 2026 kommen. Derzeit sind wir - gemeinsam mit den Händlern - dabei, die dafür notwendigen Prozesse zu entwickeln. Wir treten in eine komplett neue Welt ein. Das ist enorm viel Arbeit. Wir haben uns zwei Jahre Zeit gegeben, um die Herausforderungen, die sich derzeit auch bei anderen Marken zeigen, zu lösen. Ich bin sicher, dass wir ein für alle Beteiligten erfolgreiches System haben werden. Geschäft der Zukunft AH: Und was plant Stellantis für die sogenannten "Functions on demand"? Wie wird der Handel da eingebunden sein? A. de Bourmont: Diese neuen Technologien sind das Geschäft von morgen. Der Kunde hat damit die Möglichkeit "over the air" sein Fahrzeug stets aktuell zu halten. Und wir schaffen damit weitere Möglichkeiten der Produktdifferenzierung. Das ist für die Gruppe ein wichtiger Bestandteil der Gesamtstrategie. Damit sind auch ehrgeizige finanzielle Ziele verbunden. Auch hier wird der Handel weiterhin eine wichtige Rolle spielen, weil seine Beratung für den zusätzlichen Verkauf der Services entscheidend sein wird. Kosten reduzieren AH: Den Händlern ist vor allem wichtig, dass sie mit der dann kommenden Agenturprovision ihre Investitionen amortisieren können. Welchen Weg wollen Sie da gehen? Provision hoch oder Standards herunter? A. de Bourmont: Es ist noch zu früh, um darüber im Detail zu sprechen. Wir haben aber schon angekündigt, dass wir das Leben unserer Händler vereinfachen wollen. Wo früher 1.000 Quadratmeter Schauraum für eine Marke nötig waren, können jetzt mehrere Brands auf dieser Ausstellungsfläche stehen - natürlich markendifferenziert. Die Händler werden den Umsatz steigern können, weil sie mehr Kunden bedienen werden. Außerdem werden sie so die Kosten reduzieren. Netzplanung AH: Es wurde bereits bekannt, dass es mit Inkrafttreten der neuen Verträge im Mai 2023 rund 50 Opel-Händler weniger geben wird, bei den anderen Marken wird eine Reduktion der Händlerverträge von zehn bis 15 Prozent erwartet. Wie sieht Ihre Netzplanung aus? A. de Bourmont: Es gibt keine Netzplanung, die die Zahl der Standorte fix festlegt. Das optimale Netz ist eine variable Größe, es entwickelt sich immer weiter. Im Großen und Ganzen planen wir keine starke Reduzierung der Standorte. Was sich möglicherweise ändern wird, ist die Zahl der Investoren, weil wir uns mehr Richtung Multimarkenhändler entwickeln wollen. Unsere Partner sollen nicht nur mehr Marken, sondern auch mehr Standorte führen. Das dient auch dazu, Synergien zu entwickeln und Kosten zu reduzieren. Neue Verträge vor dem Sommer AH: Wann werden die neuen Verträge vorgelegt? A. de Bourmont: Wir werden die neue Gruppenfreistellungsverordnung abwarten, die im Frühjahr 2022 kommen soll. Daraufhin werden wir den Vertrag noch im Detail weiterentwickeln. Ich hoffe, dass wir den neuen Vertrag noch vor dem Sommer vorstellen können. AH: Vielen Dank für das Gespräch! Amaury De Bourmont Amaury de Bourmont verfügt über eine rund 30-jährige Erfahrung in der Automobilbranche. Er hält einen Abschluss von der Wirtschaftshochschule ISG und einen MBA mit Schwerpunkt Sales & Marketing von INSEAD. Bei der Groupe PSA übernahm er seit 1992 unterschiedlichste Führungspositionen im Vertriebsbereich. Zwischen 1999 und 2009 war de Bourmont in Frankfurt, Mannheim und Saarbrücken tätig, unter anderem als Leiter der dortigen PSA-Niederlassungen. 2009 wechselte er als Geschäftsführer für die Marke Peugeot in die Schweiz, bevor er 2012 die Position des Vertriebsdirektors Europa für die Löwenmarke übernahm. Ab 2015 war er als Managing Director für das wirtschaftliche Ergebnis der Marken Citroën und DS Automobiles in Frankreich verantwortlich, bevor er im August 2020 zum Deutschland-Chef der Groupe PSA ernannt wurde. Seit einem Jahr führt er nun Stellantis in Deutschland.

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